Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma

Mit Erinnern alleine ist es nicht getan

Der antiziganistische Hass lebt noch. Große Sorge gibt es derzeit um die Minderheit in der Ukraine.

03.08.2022 UPDATE: 03.08.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden
Ramelow (2.v.r.) geht in Begleitung von Romani Rose (3.v.r.) und dem Präsident des Verbands der Roma in Polen, Roman Kwiatkowski (4.v.r), durch das Tor von Auschwitz-Birkenau. F.: dpa

Heidelberg. (we) Es ist die erschreckende Aktualität, die den "Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma" aus dem ritualisierten Erinnern mit seinem Versprechen "Nie wieder" hervorhebt. Was Bundesratspräsident Bodo Ramelow als Vertreter der Bundesrepublik und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, an der Stätte des größten Menschheitsverbrechens in Auschwitz-Birkenau anmahnten, war der leidenschaftliche Aufruf, Widerstand zu leisten gegenüber all denjenigen, die versuchen, Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus wieder salonfähig fähig zu machen. Mitten in Europa.

77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. 2015 erklärte das Europäische Parlament den 2. August zum Gedenktag für die 500.000 in Europa ermordeten Sinti und Roma, die dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fielen.

Am gestrigen Dienstag kamen neben Angehörigen der Minderheit aus mehreren Ländern, jüdischen Vertretern, Repräsentanten des polnischen Staates, der Kirchen, Botschafter und diplomatischen Vertretern an der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau im ehemaligen Lagerabschnitt B II e, dem sogenannten "Zigeunerlager", zusammen, um zu erinnern. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, hatte hier die SS die letzten überlebenden 4300 Sinti und Roma, Kinder, Frauen, alte Männer mit Flammenwerfern in die Gaskammern getrieben.

Als "brandgefährlich" für den Frieden und als Angriff auf die europäischen Werte verurteile Romani Rose, wenn sich jetzt der ungarische Präsident Orbán wieder über "Rasse und ethnische Reinheit" auslässt. "Wir als Europäer müssen uns gegen solche Versuche der Spaltung geschlossen zur Wehr setzen und dürfen solche hetzerischen Aussagen nicht unwidersprochen lassen", sagte Rose. Der fortgesetzte Antiziganismus stelle eine "ernste Bedrohung" für die Minderheit dar. Ebenso unwidersprochen dürften aber auch die "menschenunwürdigen Lebensumstände" der etwa 400.000 ukrainischen Roma hingenommen werden. Schon vor dem russischen Angriffskrieg sei dort die Minderheit "ausgegrenzt und diskriminiert" worden. Rose: "Es gab regelrechte Pogrome durch nationalistische und rechtsextreme Gruppierungen".

Antiziganistischen Hass und Gewalt macht Rose aber auch in den Ländern Südost- und Mitteleuropas aus. "Was bedeutet Erinnern und Gedenken, angesichts von Apartheid in diesen Staaten, die der Minderheit jegliche Chance bei der Arbeitssuche, im Bildungsbereich oder der Gesundheitsversorgung nehmen?", fragte sich Rose. Hier sei nicht nur die europäische Politik, "hier sind wir alle aufgerufen, unser Verständnis von Gleichheit und Recht durchzusetzen", als "Vermächtnis der Menschen, die an diesem historischen Ort auf grausame Weise ums Leben kamen". Und weiter: "Was nützt es, Menschenrechte weltweit zu fordern, wenn wir selbst die Menschen vor unserer eigenen Haustür vergessen und übersehen?"

Für die EU sei es eine "Selbstverpflichtung", auf "Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma" in ihren Mitgliedsstaaten zu drängen, machte die EU-Kommissarin für Gleichheitspolitik, Helena Dalli, in Auschwitz deutliche. In diesem Jahr werde die EU-Kommission eine erste Bewertung der nationalen Roma-Strategien vorlegen, die es seit 2020 gilt, umzusetzen. Darin werde analysiert, wie die Mitgliedstaaten gegen Antiziganismus vorgehen. In einer Zeit, in der Holocaust-Leugner, und rechtsextreme Politiker im Aufwind seien. Außerdem sei die EU entschlossen, alle Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, "ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe, aufzunehmen". Denn gerade die "russische Aggression gegenüber der Ukraine" habe dazu geführt, dass eine "beispiellose Zahl von Flüchtlingen, darunter "zahllose Roma" in der EU Schutz suchten.

Mit Bodo Ramelow sprach erstmals ein deutscher Bundesratspräsident am Europäischen Holocaustgedenktag für Sinti und Roma. "Wir sind heute hier, um dem Grauen ins Gesicht zu schauen und es dadurch sichtbar zu machen", sagte er. Für ihn unabdingbar, dass es ein "Europa ohne Gleichberechtigung" der Minderheit nicht "geben darf". Für den thüringischen Ministerpräsidenten ist der Umgang mit der Minderheit "ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme neuer Länder in die EU".

Mit Verweis auf den russischen Überfall auf die Ukraine mahnte er: "Dieser Krieg darf nicht die Kulisse sein oder gar als Vorwand dienen für eine Vertreibung der Roma aus der Ukraine". Die Sinti und Roma seien ein Teil des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Europa. "Sie gehören zu uns. Bitte verstecken Sie sich nicht, wir müssen Sie sehen", appellierte er an die Minderheit. Um am Ort des unvorstellbaren Leids auszurufen: "Wir feiern mit euch das Leben".

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