Haushaltsstabilität in der Zeitenwende
Die Stadt hat gut gewirtschaftet und steht gut da, ist angesichts der politischen Lage aber auch in Habachtstellung.

Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Die gedruckte Version des Haushaltsentwurfs der Verwaltung für 2023 umfasst, ohne Anlagen, knapp 600 Seiten und ist, wie immer, eine "Diplomarbeit" von Finanzdezernent Martin Diepgen und den beiden Kämmerinnen Heide Wechs und Bernhardine Weidler. Ihr Vortrag durch Diepgen im Gemeinderat dauerte genau eine Stunde.
In den kommenden Tagen und Wochen werden sich die Gemeinderäte nicht-öffentlich damit und mit ihren eigenen Anträgen befassen.
Öffentlich vorgelegt werden sie am 14. November, damit der Haushalt dann zwei Tage vor der weihnachtlichen Bescherung verabschiedet werden kann. Dazu, dass sich die Wunschzettel im Rahmen halten mögen, kam von Diepgen der unüberhörbare Hinweis, man solle doch auch gleich einen Deckungsvorschlag mitliefern.
Hintergrund
Ermächtigungsreste, also nicht abgerufene Mittel, sind ein Dauerthema, das den "vernünftigen" Gemeinderat ganz besonders fordert, schließlich setzt sich das Problem schon über Generationen fort.
Sie entstehen beispielsweise dann, wenn Bauvorhaben genehmigt, aber im
Ermächtigungsreste, also nicht abgerufene Mittel, sind ein Dauerthema, das den "vernünftigen" Gemeinderat ganz besonders fordert, schließlich setzt sich das Problem schon über Generationen fort.
Sie entstehen beispielsweise dann, wenn Bauvorhaben genehmigt, aber im geplanten Zeitraum nicht oder nur teilweise umgesetzt werden konnten, und können sich so auch über Jahre hinweg "hochschaukeln".
Für das Jahr 2021 waren es 152 Millionen Euro, für 2022 sind die Ermächtigungsreste noch nicht ermittelt; Diepgen will dazu "Transparenz herstellen".
Derzeit wird von 132 Millionen Euro ausgegangen, die auf 2023 übertragen werden. Die so freigewordene Liquidität soll bei 40 Millionen Euro liegen. (bfk)
Städte vergleichbarer Größe können Heilbronn nur beneiden. Auf die Frage, wie Heilbronn das schafft, gibt es kein Patentrezept, aber diese Erklärung von Diepgen: die Wirtschaftskraft der Stadt und das vernünftige und "vorausschauende" Handeln des Gemeinderates.
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Für den Haushalt 2023 wählte er als Überschrift "Stabilität in der Zeitenwende". Das trifft es; die Frage ist nur, wie weit diese Stabilität im Rahmen eigenen Handelns über 2023 erhalten bleiben kann. Die Weltlage lässt sich von Heilbronn aus kaum beeinflussen, dazu äußert auch der oberste Kämmerer der Stadt etliche Bedenken.
Also sorgt er vor: 44,3 Millionen Euro an neuen Krediten waren eingeplant; auf sie konnte nun gänzlich verzichtet werden. Und aus dem im Haushalt 2020/2021 noch eingeplanten Defizit von knapp 23 Millionen Euro wurde ein Plus: Das Gesamtergebnis liegt bei nahezu 50 Millionen, der Schuldenstand der Stadt bewegt sich zum Jahresende mit 1,5 Millionen Euro gegen "Null".
Die Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer sind eben kein Pappenstiel: Aus den ursprünglich erwarteten 95 Millionen sind dann doch 115 Millionen Euro geworden; da verrechnet man sich doch gern, so wie auch beim Plus bei der Einkommenssteuer oder den staatlichen Zuwendungen.
Für die Aufwendungen im Flüchtlingswesen gilt das nicht, sie werden "die größte Unsicherheitskomponente". Wie weit man sich in den Prognosen des Finanzdezernates, die dann doch auf den Boden zurückholen, dennoch "verrechnet" hat, wird auch von dem einkalkulierten Faktor "Zeitenwende" abhängen.
Demnach wird die Gesamtverschuldung bis zum Jahr 2025 bei knapp 106 Millionen Euro liegen. Dann ist es vorbei mit der derzeitigen Pro-Kopf-Verschuldung in niedriger Zweistelligkeit, nämlich zwölf Euro – daraus könnte die hohe Dreistelligkeit von 841 Euro werden.
Diese Prognosen begleiten Diepgens Feststellung, die Stadt habe in den vergangenen Jahren ihre Schulden kontinuierlich abgebaut und auch den Hinweis, dass Ulm und Pforzheim mit ganz anderen Zahlen zurechtkommen müssten: mit einem Schuldenstand zum Jahresende von 85 beziehungsweise 96,2 Millionen Euro. Den nochmals sehr viel höheren von Mannheim erwähnt er erst gar nicht.
Ob diese "schlechte" Nachricht zur Heilbronner Verschuldung Realität wird oder doch relativiert, ist ungewiss. Sehr konkret sind dafür zwei andere Nachrichten: die Ankündigung, die Grundsteuer und die Parkgebühren zu erhöhen. Letztere, auch für Anwohnerparken, sollen 1,5 Millionen Euro mehr einbringen, da scheint auch noch Luft noch oben zu sein.
Die Grundsteuer, deren Hebesätze derzeit für die Grundsteuer B bei 450 Hundertstel und der Grundsteuer A bei 330 Hundertstel liegen, werden auch nach einer Erhöhung im gemäßigten Bereich liegen, soll aber 3,1 Millionen Euro mehr einbringen.
Weitaus höher ist der Betrag, den sich die Stadt mit Freiwilligkeitsleistungen wie dem "kostenfreien Kitaplatz" für alle leistet. Die Frage, ob es bei diesem "Luxus" bleibt, enthält mit Sicherheit einigen Sprengstoff. Diepgen selbst spricht von einem "Dilemma" und "enormen Verzichten", es sollen neun Millionen Euro sein.
Im Ergebnishaushalt machen die Einnahmen aus Gebühren und Kostenerstattung immerhin 16 Prozent aus. Dabei wird es nicht nur um "Ideologie" gehen, sondern auch darum, worauf Diepgen immer wieder insistiert: dass das Regierungspräsidium den Haushalt genehmigen muss.
Unfreiwillig verursacht sind die drei Millionen Euro Mehrausgaben für Energie, die Mindereinnahmen von 2,8 Millionen Euro durch Neuregelungen beim Glücksspielgesetz und in der Einkommenssteuer, hier mit einem Minus von drei Prozent.
Tarifabschlüsse, höhere Energiepreise, Inflation: Diepgen rechnet hier mit einer Steigerung um vier Millionen auf 21 Millionen Euro mehr bei den an sich schon hohen Sach- und Personalkosten.
Dennoch: 269 Millionen Euro stehen für Investitionen in den Jahren 2023 bis 2026 bereit, unter anderem für die weitere Digitalisierung, wobei Heilbronn dabei im Landes-Ranking schon auf Platz 2 liegt – bei 162 Millionen Ergebnisrücklagen und einer "freien Liquidität" von fast 35 Millionen Euro. Auch diese Beträge stehen für das aktuelle Resümee Diepgens: "Gute Ausgangslage" und "unproblematischer Haushaltsausgleich".