Politikwissenschaftler von Beyme spricht über Putin, den Westen und den Syrienkonflikt
Der Heidelberger Politikwissenschaftler Klaus von Beyme sprach bei "Punktsieben" in Walldorf

Klaus von Beyme (li.) ging auf russische Befindlichkeiten und die Versäumnisse des Westens ein. Rechts Johannes Franzkowski vom "Punktsieben"-Team. Foto: Sabine Hebbelmann
Walldorf. (heb) Obama und Putin, die beim Uno-Gipfel miteinander anstoßen. Auch wenn es etwas verkrampft wirkt: Dieses Bild wäre vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen. "Die weltpolitische Lage hat uns Russland näher gebracht", sagt Klaus von Beyme vor rund 150 interessierten Zuhörern im evangelischen Gemeindehaus in Walldorf. Denn Putin sei ein entschiedener Kämpfer gegen den Islamismus. Bei "Punktsieben", dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, ging der ehemalige Leiter des Instituts für Politikwissenschaft in Heidelberg nicht nur auf russische Verhältnisse und Befindlichkeiten ein, sondern auch auf Fehler und Versäumnisse des Westens.
Um Punkt Sieben ging es los: Dr. Johannes Franzkowski vom "Punktsieben"-Team erinnerte an die deutsch-russische Freundschaft zu Zeiten Gorbatschows, als Russlands Präsident "für uns noch der Gorbi war". Auch Putin habe bis 2000 als Westler gegolten, bemerkte von Beyme. Er habe aber versäumt, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft weiter zu entwickeln. Weil er sich nicht ernst genommen gefühlt habe, habe Putin zudem einen Drang entwickelt, sich zu profilieren. Die USA trügen eine Mitschuld, denn sie seien Russland nicht auf Augenhöhe begegnet. Von kurz vor Petersburg bis Japan im Süden fühle sich Russland von feindlich gesonnenen Mächten eingekreist.
Man hätte nicht versuchen sollen, die Ukraine in die EU zu ziehen, betonte Klaus von Beyme weiter. Nur 42 Prozent der Ukrainer seien für einen Anschluss, ein Drittel für eine Zollunion mit Russland. Und mehr als die Hälfte spreche zu Hause Russisch. "Ein Eintrittsticket für die EU - da bin ich ganz und gar dagegen", betonte der Politologe. "Die Medien in Russland werden gleichgeschaltet, während sie sich im Westen teils selbst gleichschalten und feste draufhauen", so von Beyme. Dass die Sanktionen nach dem Minsk-Abkommen nicht aufgehoben wurden, habe Putin enttäuscht.
"Was kann der Westen tun, damit Russland nicht zum Pulverfass wird?", fragte "Konfrontator" Matthias Kaiser vom "Punktsieben"-Team, der die Diskussion eröffnete. Von Beyme riet, die Sanktionen aufzuheben und Russlands Wirtschaft zu unterstützen. Der Westen sollte sich zurückhalten und nicht versuchen, die Ukraine in die EU zu ziehen. Von Beyme plädierte dafür, die eurasische Union (mit den Ex-Sowjetrepubliken Russland, Weißrussland, Kasachstan und Kirgistan) in einem Kooperationsverhältnis anzubinden. Er bezog sich auf Genscher, der eine lose Konföderation zwischen den Wirtschaftssystemen Eurasien und EU vorgeschlagen hatte.
Mit Blick auf die US-Atomwaffen, die nach wie vor noch in der Pfalz gelagert sind, äußerte er: "Wir verhalten uns immer noch wie ein besetztes Land. Deutschland sollte selbstbewusster gegenüber den USA auftreten." Über die Ängste der baltischen Staaten vor dem großen Nachbarn sagte von Beyme, sie sollten lernen, mit ihren russischen Minderheiten und mit Russland konstruktiv umzugehen.
Gefragt wurde er auch nach der Pressefreiheit und dem Verhältnis von Kirche und Staat. Von Beyme sagte dazu: Aus Machtpragmatismus lasse Putin die neoslawische Allianz zwischen Staat und Kirche zu. Man solle Schröder einspannen, Putin davon zu überzeugen, im Innern toleranter zu sein. "Wir müssen den lupenreinen Demokraten fördern", so Klaus von Beyme.
Und natürlich war auch der Bürgerkrieg in Syrien Thema. "Wir trauen uns nicht mehr zu, zu intervenieren", stellte von Beyme fest und sprach sich dafür aus, im Kampf gegen den islamistischen Terror zumindest vorübergehend mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad zusammenzuarbeiten. In Afrika habe der Westen schließlich mit jedem zweiten Diktator kooperiert. Den Syrienkonflikt sah er auch als eine Chance für Putin, der jetzt vor der Uno-Vollversammlung seine Zusammenarbeit mit Assad verteidigte und eine internationale Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz vorschlug. Selbst US-Außenminister John Kerry habe inzwischen eingesehen, dass man Assad in eine politische Lösung einbeziehen müsse.