Weinheim/Region

"Nächster Halt: Armut?" bei OEG-Rundfahrt

Kein Sonderzug für Reiche. Der paritätische Wohlfahrtsverband organisierte die Rundfahrt.

12.10.2023 UPDATE: 12.10.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Musik in der OEG: Das Huub-Dutch-Duo als Träger des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg untermalte vor allem die Zwischenstopps mit Musik, hier in Weinheim. Foto: Kreutzer

Von Marion Gottlob

Weinheim/Region. Die Rundfahrt von Edingen über Heidelberg, Weinheim, Mannheim und zurück nach Edingen dauerte fast drei Stunden: Der Paritätische Regionalverbund Nordbaden ist auf den Schienen der OEG in die "Woche gegen Armut" des Heidelberger Bündnisses gegen Armut und Ausgrenzung gestartet. Regelmäßig gab es Stopps mit Musik des Huub-Dutch-Duos. Zu den Gästen zählten Menschen mit psychischen Erkrankungen, Schüler und Senioren. Rentnerin Heidemarie machte das erste Mal so eine Rundfahrt mit: "Mir gefallen die Musik und die Gesprächsrunden", lobte sie.

Mit der Fahrt unter dem Motto "Nächster Halt: Armut?" beging der Paritätische Landesverband Baden-Württemberg auch sein 75. Jubiläum. "Wir setzen uns seit einem dreiviertel Jahrhundert für soziale Gerechtigkeit ein", sagte Moritz Limprecht, Leiter des Paritätischen Regionalverbands Nordbaden. Auch in der reichen Rhein-Neckar-Region unterhalten Mitgliedsorganisationen des "Paritätischen" Dienste, die arme Menschen unterstützen. Das reicht von der Sozial- und Schuldnerberatung, über materielle Unterstützung bis hin zu Hilfen beim Wohnen oder in schwierigen Lebenslagen.

Der Verband geht davon aus, dass 16,9 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Armut betroffen sind. In Baden-Württemberg liegt die Armutsquote bei 14,1 Prozent, in der Region bei 15,4 Prozent. Die Zahlen beruhen auf Statistiken von 2021. "Dabei sind die Folgen des Ukraine-Kriegs, der Inflation und der hohen Energiepreise noch nicht berücksichtigt", so Limprecht.

Wie sieht Armut aus? Anna Delong, Gründerin und Leiterin der Tagesstätte für psychisch kranke Menschen des Vereins "Vincent" in Heidelberg, schildert ein Beispiel: Stefanie (die Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert) war an einem Unfall mit einem Todesopfer beteiligt. Sie selbst war unschuldig, aber erlitt einen Schock. In der Folge verbrachte sie Monate in psychiatrischen Kliniken, kann nicht mehr arbeiten. Inzwischen hat sie ihre Ersparnisse aufgebraucht.

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Nun hat die Empfängerin von sozialer Unterstützung von der Verwaltung ihrer Stadt die Aufforderung erhalten, ihre Wohnung wegen der zu hohen Miete zu wechseln. Die Einwanderin Cecile hat lange in der Gastronomie gearbeitet. In einer schweren Lebenskrise erkrankte sie an einer Depression. Eigentlich kann sie im Moment nicht arbeiten, aber dann würde das Geld nicht mehr ausreichen. Also überwindet sie sich.

Die Statistiken des "Paritätischen" zeigen: Von Armut sind vor allem Alleinerziehende, Kinder und Jugendliche sowie Familien mit drei oder mehr Kindern betroffen. Ebenso sind Nicht-Erwerbstätige, Menschen mit niedrigem Bildungsniveau und Menschen mit Migrationshintergrund oft von Armut betroffen oder bedroht. Einen Höchststand gibt es bei älteren Menschen und Rentnern, vor allem bei Frauen.

Auch Schüler eines Ethikkurses des Ludwig-Frank-Gymnasiums in Mannheim machten die Fahrt mit. Lehrer Elia Agnetta sagte: "Ich möchte das Thema Armut nicht theoretisch behandeln. Hier können Schüler mit Betroffenen reden. Das fördert Empathie und Toleranz." Die bisherigen Vorstellungen von Armut waren unter den Jugendlichen offenbar verschieden. Emirkaan (13) sagte: "Für mich bedeutet Armut, dass Menschen mit wenig Geld obdachlos auf der Straße leben."

Samuel (14) ergänzte: "Wer arm ist, hat nicht genügend Geld für Essen und ein Dach über den Kopf." Leni (13) plädierte dafür, Kindern aus ärmeren Familien den Zugang zur Bildung zu erleichtern, damit sie Schritte aus der Armut gehen können. Emil (13) fand, dass manche Menschen wenig Geld hätten und doch reich in der Seele seien.

In der Region hat Martin Dreßler vom Vorstand des Paritätischen Kreisverbands Heidelberg/Rhein-Neckar-Odenwald eine Zunahme an Armut beobachtet: Wohnraum in Heidelberg werde unbezahlbar, die Kosten für Obst und Gemüse steigen ("von Fleisch gar nicht zu reden"), für Kinder werden Schulausflüge zu teuer ("sie melden sich krank"), modische Kleidung für Kinder sei schier unerschwinglich. "Viele haben ein Handy, aber der Zugang zum Internet über Laptop oder PC wird finanziell schwierig."

Er wünsche sich, dass die Regelsätze des Sozialamts wie auch das Wohngeld an den tatsächlichen Bedarf angeglichen werden. Für Kinder mit Einschränkungen will er mehr Unterstützung beim Schulbesuch.

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