Mit 850 Menschen den Abschlussfilm gedreht
Filmemacher Marco Henn schließt Studium ab. Sein Abschluss-Thema: Der Ukraine-Krieg aus Sicht eines Kindes.

Von Christina Schäfer
Weinheim/Hamburg. Der Weinheimer Marco Henn sitzt an diesem Morgen in seinem Büro in Hamburg. Nach zwölf Jahren Selbstständigkeit in Berlin ist er jetzt in der Hansestadt angestellt – und kurz vor dem Abflug nach Dubai. Ein Dreh wartet auf den Absolventen der Filmakademie Ludwigsburg.
In Hamburg ist der 30-Jährige angekommen. In Weinheim aber hat alles begonnen. Dass er in der Filmbranche Fuß fassen will, sei schon während seiner Schulzeit klar gewesen, erzählt Henn. Mit der Go Pro habe er sein erstes Video gedreht, in seiner Zeit an der Johann-Philipp-Reiss-Schule dann den ersten Film. Für die Schule setzte er deren Imagefilm um.

Das sei ein Startschuss für den Berufswunsch gewesen, sagt Henn rückblickend. Wollte er anfangs als Regisseur durchstarten, wich das schnell einer anderen Idee. "Ich bin eher Manager als Kreativer", erklärt Henn sein Umdenken. Er könne organisieren, finde Lösungen für Probleme.
Und so bewarb er sich als Produzent auf einen der so wenigen wie begehrten Plätze in Ludwigsburg. Fünf Jahre hatte er zuvor auf seine Aufnahme hingearbeitet, habe Wissen gesammelt, Praktikantenstellen bei Filmproduktionen angenommen, sei Mädchen für alles gewesen gegen wenig bis gar keine Bezahlung.
Blut, Schweiß und Tränen. Henn hat erlebt, was das bedeutet – zumindest an den Verhältnissen des Berufslebens gemessen. So scheiterten knapp 50 Bewerbungen als Hilfe am Set. Ist es Glück, ist es Können oder sind es Beziehungen, dank denen sich für ihn der Weg geebnet hat?
Der 30-Jährige überlegt. "Ich denke, der Spruch ‚Das Glück ist mit den Tüchtigen’ trifft es ganz gut." Am Ende zahlten sich Durchhaltewillen und Leidensfähigkeit aus: Henn wurde an der Hochschule angenommen. "Es gibt ein Foto, als ich auf der Terrasse den Luftsprung mache", sagt Henn in Erinnerung an das Lesen des ersehnten Briefs.
Das dann folgende Studium führte ihn unter anderem für ein Stipendium an die Universität von Kalifornien. Es hat ihn aber genauso zusammengebracht mit Alex Kühn. Kühn studierte Regie – die perfekte Ergänzung. Das Duo begann, Filmprojekte umzusetzen. Es fand sich auch für den Abschlussfilm zusammen.
Für den drangen sie in eine Dimension vor, die für angehende Absolventen kaum zu schaffen ist. Der Aufwand, das Geld, alles war groß, eigentlich zu groß, so Henn. Das Thema ist es auch. "If I could fly" ist kein Feel-Good-Movie. Es geht um den Krieg in der Ukraine. Um zwei Schwestern und ihre Mutter, die fliehen. Und es geht um den Vater an der Front, zu dem die Ältere in ihrem Traum fliegt, um ihn nach Hause zu holen.

"Es war Alex’ Idee", sagt Henn bescheiden. Gemeinsam entwickelten sie diese Idee weiter. Ursprünglich sei es um das Erzählen von Träumen gegangen. Dann kam der Aspekt der kindlichen Sicht dazu, dann das Fliegen. Der Kriegsbezug ergab sich letztlich durch die persönlichen Beziehungen zu Ukrainern. Sie hätten versucht, den Film als deren Stimme abzubilden, sagt Henn. Dazu passt, dass "If I could fly" als sogenannter Social-Film entstanden ist und eine Spendenaktion zugunsten der Organisation "Voices for Children" die Kampagne begleitet. Knapp 7000 Euro Spenden kamen bereits zusammen.
Für den Film schrieb Kühn das Drehbuch und führte Regie, Henn kümmerte sich um alles Drumherum. 850 Menschen waren am Ende beteiligt. Alle im Ehrenamt. Dennoch brauchte es auch einiges an Geld. Erneut zahlte sich Henns Fleiß aus: Die Firma Haeger Stunt stieg als großer Sponsor in den Film ein, einer ihrer Köpfe war der bekannte Stuntman Leo Plank.
Alles schien zu laufen, doch dann kam der Moment im Mai 2023, der Kühn und Henn den Boden unter den Füßen wegriss: Die Dreharbeiten waren halb abgeschlossen, das Team in Berlin angekommen – für die nächsten Aufnahmen. Dann kam es bei Vorbereitungsarbeiten zu einem folgenschweren Unfall, durch den Leo Plank sein Leben verlor. "Ein Riesenschockmoment", sagt Henn. Und mehr. "Wir hatten einen Freund verloren, einen Film verloren, ein Studium verloren", beschreibt Marco Henn die Gedanken aus dieser Zeit. Die Dreharbeiten wurden gestoppt: "Wir sind in der Leere verschwunden." Monate später aber feil die Entscheidung, den Film doch zu beenden. "Auch für Leo", sagte Marco Henn.
Er habe rund um die Uhr gearbeitet, "es gab nichts anderes mehr". Das Team kam mit Stuntleuten aus Hollywood und in Person von Gerd Nefzer sogar mit einem dreifachen Oscargewinner zusammen. Ende 2023 wurden die Dreharbeiten schließlich abgeschlossen, dann ging es in eine aufwendige Postproduktion. Im Januar 2025 hat Henn das fertige Produkt zum ersten Mal gesehen. Gänsehaut sei das gewesen, sagt er. Im März 2025 feierte der Film in Berlin Premiere. Das große Ziel war endlich erreicht.
Jetzt sitzt Marco Henn entspannt in seinem Büro. Zweieinhalb Jahre hat er in "If I could fly", sein Lebenswerk, wie er es nennt, investiert. Aus seiner Sicht ist das Kapitel Abschlussfilm nahezu fertiggeschrieben. Und auch das Kapitel Film selbst. Henn will in die Werbebranche. Schließlich sei er darüber überhaupt in die Filmwelt gekommen. "Der Rewe-Spot damals – mit dem alten Mann zu Weihnachten", erinnert er sich an den Punkt, an dem seine Entscheidung fiel. Nun bei der Firma zu arbeiten, bei der auch Alex Feil, Regisseur dieses Spots, unter Vertrag ist, ist für ihn ein Traum. "So schließt sich ein Kreis", sagt Marco Henn.
Info: "Voices of Children" bittet weiter um Spenden: https://voices.org.ua/en/projects/IfICouldFly-Fundraiser.