Walldorfer Kunstpreis

Manfred Emmenegger-Kanzlers "Kartenhaus" kam in die engere Wahl

Aus kindlichem Spiel wird tiefer Ernst - Gedankenarbeit mit dem Handy

04.06.2018 UPDATE: 05.06.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 52 Sekunden

Ans kindliche Spiel, Bierdeckel zu stapeln, erinnert Künstler Manfred Emmenegger-Kanzler sich gerne zurück. Doch seine Skulptur vor dem Walldorfer Rathaus drückt die Fragilität menschlichen Daseins aus und verweist per QR-Code auf drängende Probleme. Fotos: Pfeifer

Walldorf. (seb) Auf den ersten Blick ist es verspielt: Mit dem "Kartenhaus" auf dem Vorplatz des Rathauses hat Künstler Manfred Emmenegger-Kanzler klar sein inneres Kind kanalisiert und ein nettes Haus gebaut, das ganz witzig wirkt. Doch das ist nur, was der erste Blick verrät, der neugierig gewordene Betrachter soll nähertreten und genauer hinschauen. Denn was der Künstler hinter dem harmlos-putzigen Äußeren verbirgt, hat es in sich.

Zunächst muss man das Handy zücken: Die Muster auf den "Bierdeckeln" sind nämlich sogenannte "QR-Codes" ("Quick Response" bedeutet "schnelle Antwort"). Die schwarzen und weißen Quadrate stellen Daten binär da, die man ursprünglich beispielsweise für Baugruppen oder Komponenten in der Logistik brauchte. Sie sind vergleichbar mit Strichcodes auf Waren und inzwischen beinah ebenso allgegenwärtig, erlauben sie doch, wie der Name schon sagt, den schnellen Zugriff auf ergänzende Informationen, sogar ganze Internetseiten.

Manfred Emmenegger-Kanzler.

Im Fall des "Kartenhauses" verweisen die Symbole auf den sechs Tafeln auf Beiträge über Klimawandel, Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Plünderung der Ressourcen, die Todsünden oder auch Neoliberalismus. Es ist damit sowohl abstrakte Skulptur als auch lebendiger Informationsträger. Das erläutert Walldorfs Kunstbeauftragter Hartmuth Schweizer.

Viel Gedankenarbeit ist ihm zufolge bei zeitgenössischer Kunst ohnehin gefragt, hier kommt noch die Suche mit dem Handy dazu. Zeitgenössisch ganz bestimmt die verschiedenen Bezüge zu Politik, Gesellschaft oder Religion. Zeitgenössisch sicher auch die Verwendung eines banalen Titels und so einfacher Baumarktmaterialien wie resopalbeschichtete Sperrholzplatten und Edelstahlscharniere. Ohne die könnte das "Kartenhaus" selbstverständlich nicht im Freien aufgestellt werden, wäre aber wackliger und damit eigentlich interessanter.

Metapher für Vergänglichkeit

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Das meint übrigens der Künstler selbst, der sich nach eigener Auskunft gerne ans kindliche Spiel, Bierdeckel zu Häusern zu stapeln, erinnert: selbst kleine Kunstwerke, wenn man will, bis sie einstürzen. Schlichte Formen des Verhaltens zur Kunst zu erheben, hat Tradition, das unverbildete, ungekünstelte Verhalten und Fühlen eines Kindes war vielfach Inspiration für die Kunst seit dem beginnenden 20. Jahrhundert, Schweizer denkt da beispielsweise an Picasso.

Die Fragilität beziehungsweise das Equilibrium gehören unverzichtbar zur Skulptur dazu, machen den Reiz aus. Heute ist sie damit für Emmenegger-Kanzler eine Metapher für die Unsicherheit und Vergänglichkeit menschlichen Tuns, der menschlichen Existenz. Ergänzend weist er dann noch auf die aktuellen Probleme und Katastrophen hin, gestalterisch-formal und inhaltlich sind die QR-Codes fester Bestandteil des Werks.

Auch das war für ihn naheliegend, werden in der heutigen Zeit doch die alten Kinderspiele ersetzt durch all die virtuellen Zeitvertreibe per Smartphone. So hat Emmenegger-Kanzler in seinem "Kartenhaus" Vergangenheit und Gegenwart verbunden, zieht Parallelen zwischen dem Spielen damals und heute und kontrastiert die frühere Unbesorgtheit mit der Ernsthaftigkeit heute.

Ähnlich wie bei anderen Akteuren des Walldorfer Kunstpreises lassen Emmenegger-Kanzlers umfangreiches, vielfältiges Werk und seine rege Ausstellungstätigkeit nicht unbedingt vermuten, dass er, 1953 in Waldshut geboren, zunächst Geologie in Freiburg studierte. Dann wiederum befasste er sich mit Keramikdesign, studierte es in Krefeld. Seit 1988 ist er freischaffend als Bildhauer tätig und hat seit 1999 seine Werkstatt in Ottersweier.

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