Was macht denn der Baum mit den Steckern?
Das Werk "Unplugged" des Freiburger Künstlers Konrad Wallmeier hat den ersten Platz beim Walldorfer Kunstpreis errungen

Zurückhaltend, scheinbar simpel, mit einfachsten Materialien verwirklicht - und doch effektvoll: Damit verkörpert Konrad Wallmeiers Werk "Unplugged" ein Ideal der zeitgenössischen Kunst und belegt beim Walldorfer Kunstpreis daher den ersten Rang. Foto: Pfeifer
Walldorf. (seb) Das bunte "Laub" dieses Baums wiegt sich im Wind, scheint manchmal nach Passanten zu greifen oder auf den Trubel um ihn herum zu deuten, das Gewimmel der Kinder auf dem Spielplatz, das Kommen und Gehen auf dem Parkplatz, den Verkehr auf der Walldorfer Hauptstraße, die hier auf die Bundesstraße trifft. Die bunten Schnüre kommentieren die Hektik, verströmen aber zugleich Gelassenheit, haben etwas Meditatives, so wie die Natur selbst, wenn sie den Geist zur Ruhe kommen lässt.
"Unplugged" heißt Konrad Wallmeiers Werk, das den ersten Platz beim Walldorfer Kunstpreis erreicht hat und mit 7500 Euro belohnt wurde. Geht der Betrachter näher hin, sieht er die Stecker, die am Ende der Textilkabel angebracht wurden, die gezogenen Stecker: Ist der Mensch "unplugged", ausgestöpselt, steht er nicht mehr unter Strom, ist nicht mehr für alle Welt erreichbar, kennt für den Moment keine Eile, keinen Druck. Die Natur unverfälscht und ursprünglich zu erleben und "mit allen noch so kleinen Facetten auf eine neue Weise zu erfahren", ist Konrad Wallmeiers Anliegen. Denkt man das weiter, ist sein Werk vielleicht ein Appell, der Natur mehr Raum zu geben.
Das Werk verkörpert ein Ideal der zeitgenössischen Kunst, wie Walldorfs Kunstbeauftragter Hartmuth Schweizer erläutert: Große Wirkung mit einfachsten Mitteln, noch dazu alltäglichen, vergänglichen Mitteln (ein Stecker fehlt bereits) aus dem Baumarkt. Mehr Schnüre, dicker, greller, scheckiger, dürften es nicht sein. Das Werk ist absichtlich zurückhaltend, fein ins grüne Laub integriert, "es verschwindet fast in der Landschaft und fällt doch auf", es regt zum Schmunzeln und Nachdenken an.
Das Werk verlangt Schweizer zufolge aktive Betrachter, die herangehen, darum herum gehen, näher hinschauen, sich auf Farben, Lichtstimmungen und Bewegungen einlassen - nur so entfaltet es seine volle Wirkung. Bei der leisesten Berührung, nur ein bisschen Wind, reagieren die Schnüre, so Schweizer, in ihrer Länge sind sie an die Neigung des Geländes angepasst und wachsen künftig mit dem Baum mit in die Höhe. So machen sie die Natur also auf neue Art erlebbbar - und das ohne Verstärker, "unplugged" eben. In einer Art komplexem Gedankenspiel nehmen wie die Schnüre mit dem Wind die Stecker mit der Erde eine Beziehung auf, als könnten sie jederzeit Energie daraus beziehen. Doch auch andere Interpretationen sind ihm zufolge zulässig, so Bürgermeisterin Christiane Staabs Eindruck, dass der Baum der "Ausgestöpselte" ist, der sich aus den Banden, die ihn als Setzling noch hielten, befreit hat und nun eigenständig weiterwächst. "Und das macht die Qualität des Werks aus, das macht es preiswürdig", so Schweizer, es sei verspielt und klug.
Diese Kunst beeindruckt nicht mit auserlesenen, teuren Materialien, sondern allein durch Einfallsreichtum. Das ist der Kern der zeitgenössischen Kunstauffassung: Künstler müssen weder von Stand noch Vermögen oder Gelehrsamkeit her irgendeiner Art Elite angehören, sie brauchen nur eine gute Idee. Für Relevanz und kulturelle, politische oder wissenschaftliche Bezüge ist eine künstlerische Ausbildung natürlich wertvoll, sie allein aber macht noch keinen Künstler. Konrad Wallmeiers Werdegang passt sozusagen ins Bild, so ungewöhnlich, wie er ist: 1960 im westfälischen Sassenberg geboren, studierte er an der Universität Kassel und war zunächst auf dem Gebiet der Solar- und Sonnenphysik tätig. Erst seit 2004 ist Wallmeier selbstständiger experimenteller Künstler und fokussiert sich auf Lichtobjekte, interaktive Arbeiten und Installationen. Seit 1991 lebt und arbeitet er in Freiburg und entfaltet eine rege Ausstellungstätigkeit. Zu seiner wissenschaftlichen Fachkenntnis gesellt sich eine breit gefächerte Bildung als Treibstoff seiner Kreativität, so befasste er sich jüngst beispielsweise mit Zen-Buddhismus und ließ sich von Gedichten Gottfried Benns inspirieren.