Walldorfer Halloween-Randale

Ein Brandsatz-Werfer bleibt im Gefängnis

Urteile im zweiten Prozess gefallen - 17-Jähriger verfehlte Fenster des Polizeipostens nur knapp

03.10.2018 UPDATE: 04.10.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde

Ein Mann schleudert einen Molotow-Cocktail gegen ein Gebäude: Solche Szenen wie hier in Athen kannte man vor Halloween im vergangenen Jahr nur aus großen Metropolen. Foto: dpa

Von Alexander Albrecht

Heidelberg/Walldorf. Als sich die jungen Leute am Halloween-Abend 2017 in der Walldorfer Innenstadt versammeln, brennt im Polizeiposten noch Licht. Eine Finte, denn tatsächlich ist die kleine Dienststelle im Rathausgebäude zu diesem Zeitpunkt verwaist. Die beleuchteten Räume sollen abschrecken.

Das hindert den Angeklagten U. jedoch nicht daran, zwei Molotow-Cocktails in Richtung des Polizeipostens zu werfen, die nur knapp das Fenster verfehlen. An dieser Stelle wird die Vorsitzende Richterin Gisela Kuhn besonders deutlich, als sie am Dienstag die "ungeheuren Vorgänge" an jenem Abend Revue passieren lässt.

"Wenn Sie das Fenster getroffen hätten, dann säßen Sie hier wegen versuchten Mordes. Ist Ihnen das überhaupt klar?", fragt Kuhn mit bebender Stimme den Angeklagten U. Der bringt es kaum fertig, der Richterin in die Augen zu sehen. Der damals 17-Jährige kommt mit einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe davon, genau wie drei seiner Kumpels.

Hintergrund

Sozialarbeiter schwieg zweimal

Mitunter stecken Sozialarbeiter in einem Dilemma, sollen sie doch einerseits Vertrauen zu ihrer Klientel aufbauen, andererseits aber auch Distanz wahren und sich staatstreu verhalten. Möglicherweise ist ein Streetworker

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Sozialarbeiter schwieg zweimal

Mitunter stecken Sozialarbeiter in einem Dilemma, sollen sie doch einerseits Vertrauen zu ihrer Klientel aufbauen, andererseits aber auch Distanz wahren und sich staatstreu verhalten. Möglicherweise ist ein Streetworker der Stadt Walldorf in diesen Gewissenskonflikt geraten, gegen den nun die Staatsanwaltschaft Heidelberg wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung ermittelt.

Der Mann war direkt vor Ort, als in der Halloween-Nacht 2017 die Molotow-Cocktails flogen. Anstatt die Polizei zu alarmieren, soll er herbeieilende Anwohner beschwichtigt haben. "Er rief uns zu, dass wir uns zurückziehen sollen, es sei ja nichts passiert", sagte ein Zeuge. Einem anderen Anwohner erklärte der Pädagoge, die Situation "im Griff" zu haben.

Eine Fehleinschätzung. Erst als ein 34-Jähriger von den jungen Leuten geschlagen wurde und am Boden lag, soll er sich schützend und eher hilflos über das Opfer gelegt haben. Bei seiner polizeilichen Vernehmung vermochte der Sozialarbeiter keine Namen zu nennen. Die Ermittler glaubten ihm nicht und informierten die Staatsanwaltschaft ebenso wie die Stadt Walldorf.

Der Mann war in dem Prozess am Montag als Zeuge geladen - machte allerdings von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Die Vorsitzende Richterin Gisela Kuhn forderte den Streetworker dazu auf, sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen: "Sie haben sich vor ihre Jungs gestellt - aber die haben ja bereits hier ausgesagt, dass Sie deren Namen kannten."

Der Mann beriet sich mit seinem Anwalt und erschien am Dienstag erneut vor Gericht. Mit einem Vorschlag. Wenn er aussage und sich damit selbst belaste, solle im Gegenzug das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt werden. Oberstaatsanwalt Florian Pistor ließ sich nicht auf den "Deal" ein ("Das darf ich rechtlich nicht") und stellte dem Pädagogen "lediglich" in Aussicht, dessen Einlassung später positiv zu würdigen.

Der Sozialarbeiter schüttelte den Kopf und verweigerte zum zweiten Mal die Aussage. Inzwischen hat der Mann einen neuen Job und arbeitet seit August als Erzieher in einem privat betriebenen Kindergarten. "Auf eigenen Wunsch", wie die Walldorfer Bürgermeisterin Christiane Staab der RNZ sagte. "Wir haben seine Kündigung nicht vorangetrieben." (alb)

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Der Fünfte im Bunde, der mit Fußfesseln in Saal 1 des Heidelberger Landgerichts geführt wird, muss dagegen im Gefängnis bleiben. Der 21-jährige E. ist schon einmal wegen räuberischem Diebstahl zu zehn Monaten verurteilt worden und hat mit seinen Straftaten an Halloween gegen die Bewährungsauflagen verstoßen.

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Landfriedensbruch, versuchte Brandstiftung, Verstöße gegen das Waffengesetz, gefährliche Körperverletzung: Es sind keine Dumme-Jungen-Streiche, die beim zweiten Prozess gegen die weitgehend geständigen Molotow-Cocktail-Werfer von Walldorf vor der Jugendkammer verhandelt werden. Verteidigerin Iris Lemmer spricht in ihrem Plädoyer von einem "Flächenbrand". Brandsätze flogen auch gegen die Schillerschule, einen Pavillon im Astorpark und eine Fotovoltaikanlage. Man habe der Polizei "die Hölle heiß machen" wollen, räumt ein Angeklagter ein.

Genervt waren die jungen Männer von den Ordnungshütern. Genervt von den verstärkten Kontrollen an ihrem Treffpunkt in der "Sozialen Mitte", nachdem sich in der Nachbarschaft wohnende Eltern kleiner Kinder über Lärm, Glasscherben, Zigarettenkippen und leere Haschischtütchen auf der Straße geärgert hatten. Die Beamten trafen hauptsächlich auf Heranwachsende, die ihre Zeit mit Alkohol und Kiffen verschwendeten und regelmäßig die Schule schwänzten.

Auch ein 34-Jähriger gehörte zu jenen Anwohnern. Er feierte mit Nachbarn am Halloween-Abend ein kleines Straßenfest, als er das Feuer in der nahen Schillerschule entdeckte. Gemeinsam mit weiteren Feiernden machte er sich zum Tatort auf. Und wurde von mit Sturmmasken und Schals getarnten Schlägern übel zugerichtet. Auch die Angeklagten U. und G. gehörten nach Überzeugung des Gerichts zu den Angreifern.

Klinikärzte stellten bei dem 34-Jährigen später eine Platzwunde unter dem linken Auge, Prellungen am Kopf und Oberschenkel, eine Rückenprellung, Blutergüsse sowie eine leichte Gehirnerschütterung fest. Er ist inzwischen weggezogen. Aus Angst vor seinen Peinigern sagt er seine neue Adresse im Gerichtssaal leise. So fielen die Urteile aus:

Hintergrund

Die Prozesse: Insgesamt 17 überwiegend junge Angeklagte müssen sich wegen der in Walldorf geworfenen Molotow-Cocktails verantworten. Im ersten Prozess vor der Heidelberger Jugendkammer waren ein 17- und ein 20-Jähriger jeweils zu einer Jugendstrafe von einem

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Die Prozesse: Insgesamt 17 überwiegend junge Angeklagte müssen sich wegen der in Walldorf geworfenen Molotow-Cocktails verantworten. Im ersten Prozess vor der Heidelberger Jugendkammer waren ein 17- und ein 20-Jähriger jeweils zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden, in beiden Fällen zur Bewährung ausgesetzt. Ein weiterer 17-Jähriger kam mit einer Verwarnung und Arbeitsstunden davon. Nach den Urteilen im zweiten Prozess am Dienstag folgt noch ein drittes Verfahren in Heidelberg, ein viertes wird vor dem Jugendgericht in Wiesloch verhandelt. Termine gibt es dafür noch nicht. alb

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Angeklagter U.: Er gestand neben den zwei geworfenen Brandsätzen auf den Polizeiposten auch, einen Molotow-Cocktail auf einen Streifenwagen geschleudert zu haben. Damals war er erst 17. "Ich wollte cool sein, doch es war einfach nur dumm", sagt U. rückblickend. Die Jugendkammer verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Hoch rechnet ihm das Gericht an, dass er sich kurz nach der Tat persönlich bei den Beamten im Walldorfer Polizeiposten entschuldigte. U. will nun seinen Realschulabschluss machen.

Angeklagter B.: Der zum Tatzeitpunkt 17-Jährige ermunterte seine Kumpels am Halloween-Abend dazu, ernst zu machen und die Molotow-Cocktails zu bauen. Er wird zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und muss 1000 Euro Schmerzensgeld an das 34-jährige Opfer zahlen. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, da sein Verteidiger und Oberstaatsanwalt Florian Pistor auf Rechtsmittel verzichten. B. hat während des Prozesses Mittäter belastet. Er jobbt in einem Logistikunternehmen.

Angeklagter G.: Der ambitionierte Kreisliga-Fußballer hat sein Leben geändert und eine kaufmännische Lehre begonnen. Früher habe er regelmäßig getrunken, gekifft und in den Tag hineingelebt, sagt der 19-Jährige. Auch das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig: eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie 500 Euro Schmerzensgeld an das Gewaltopfer.

Angeklagter D.: Der 18-Jährige hat kürzlich eine Ausbildung zum Dachdecker aufgenommen. Da sein Tatbeitrag gering war, verurteilt ihn das Gericht zu einer Vorbewährung. Sollte er in den nächsten zwei Jahren gegen die Auflagen verstoßen, kommt wie bei den anderen Jugendstrafrecht zur Anwendung.

Angeklagter E.: Die Mutter gestorben, der Vater ein Krimineller - der älteste Angeklagte hatte es nicht leicht im Leben und geriet immer wieder auf die schiefe Bahn. Er flog zweimal von der Schule und schmiss seine Ausbildung hin. Der 21-Jährige und sein Verteidiger halten es für besser, dass der mehrfach Vorbestrafte noch einige Monate im Gefängnis sitzt. Deshalb erkennen die beiden genau wie Pistor das Urteil auch an: zwei Jahre und vier Monate ohne Bewährung. In das Strafmaß eingerechnet ist die Verurteilung wegen räuberischem Diebstahl. Inzwischen haben sich E. und sein Vater wiedergefunden - im Knast. Sie wollen sich eine Zelle teilen. 

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