Ökumenische Hospizhilfe

"Es wird geweint, gelacht - und vor allem gelebt"

Ökumenische Hospizhilfe möchte mehr über ihre Arbeit aufklären.

25.01.2023 UPDATE: 25.01.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 57 Sekunden
Wollen stärker über die Hospizhilfe aufklären: (v.li.) Anne Böhler, Elke Wezler und Nicole Broghammer. Foto: S.Lerche

Von Sebastian Lerche

Region Wiesloch. "Bitte kein Heiligenschein": Anne Böhler, Nicole Broghammer und Elke Wezler von der Ökumenischen Hospizhilfe Südliche Bergstraße wollen für ihr Engagement für schwerstkranke und sterbende Menschen nicht glorifiziert werden. Eine sachliche Darstellung genügt ihnen völlig: Momentan stoßen sie nämlich häufig neben Verehrung auf Verständnislosigkeit.

Dieses "Du stehst Sterbenden bei? Das könnte ich nicht" ist ein Weg, das unangenehme Thema Sterben, Tod und Trauer von sich zu schieben. Dabei geht es uns alle an, stellt Anne Böhler das Offensichtliche fest. Also sollte man mit mehr Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit im Alltag darüber nachdenken und reden, findet Böhler – und die Angebote für Sterbende und deren Angehörige sollten stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Auf vielfältige Weise versuche man bereits, die Hemmschwellen abzubauen und aufzuklären.

Das fängt schon damit an, dass man Hospizhilfe und Hospiz auseinanderhalten muss. Ja, das Team um die Vorsitzende Anne Böhler ist auch im Hospiz Agape, einer Herberge für Menschen in ihrer letzten Lebensphase, tätig. Aber nicht nur: Das Einsatzgebiet der Hospizhilfe umfasst den gesamten südlichen Rhein-Neckar-Kreis, man ist beispielsweise auch im Psychiatrischen Zentrum in Wiesloch tätig, in demnächst zwölf Pflegeeinrichtungen und vor allem auch im häuslichen Umfeld. Gerade im ambulanten Bereich erreichten die Hospizhilfe viele Anfragen: "Die meisten wollen zu Hause sterben", so Wezler.

Rund 90 ehrenamtliche Kräfte hat die Hospizhilfe, die es seit über 28 Jahren gibt, dazu eine Handvoll Hauptamtliche um Anne Böhler, die zweite Vorsitzende Elisabeth Mächtel-Lott und Schriftführerin Nicole Broghammer sowie das Koordinatorinnen-Team Elke Wezler, Ute Ritzhaupt und Silke Kübler. Weil die Krankenkassen die Sterbebegleitung nur zum Teil und die Trauerarbeit gar nicht mitfinanzieren, ist man auf Spenden angewiesen.

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Das Ziel ist, den Menschen ein würdiges Leben bis zuletzt und möglichst in vertrauter Umgebung zu ermöglichen. Dazu gehört sicher viel innere Stärke, aber eigentlich muss, wie Nicole Broghammer betont, der Aufwand nicht groß sein. Im Gegenteil: Die Begleitung solle nicht "professionalisiert" werden, die Freiwilligen sollten Menschen mitten aus der Gesellschaft und aus dem alltäglichen Leben sein, "wie normale Nachbarn oder Freunde", so Broghammer.

Das können ganz unterschiedliche Hintergründe sein, Akademiker, Manager, Handwerker oder Angestellte habe man im Team, und nicht nur Rentner, sondern auch junge Leute. Kurz: "Es sind ganz besondere Menschen, aber ganz normale."

Nicole Broghammer stellt klar: "Wir versorgen nicht medizinisch, wir pflegen nicht, therapieren nicht." Und weiter: "Wir helfen nicht zu sterben", auch diesem Missverständnis begegne man bisweilen. Man sei für die Menschen da, widme ihnen Zeit, führe Gespräche – man müsse offen sein für deren Bedürfnisse. "Wir betreuen, begleiten, leisten Beistand, auch beim Einkaufen oder Kochen, oder wir lesen mal vor", ein Mal die Woche oder öfter, sehr individuell.

Die Hospizhilfe könne Pflegekräfte nicht ersetzen, aber ergänzend bieten, was Geist und Seele guttut. Es sei auch nicht alles Trübsinn und Schwermut, betont sie, "es wird getrauert, es wird geweint, aber es wird auch gelacht – und vor allem wird gelebt". Freilich gehöre auch dazu, dabei zu helfen, die letzten Dinge zu regeln, und den Sterbenden und deren Angehörigen beim Abschiednehmen beizustehen – "die Hospizarbeit endet nicht mit dem Moment des Todes", so Broghammer. Das Ganze sei "äußerst vertraulich" – und kostenfrei, ergänzt Elke Wezler: "Sie kriegen keine Rechnung."

Essenziell sei die fundierte Qualifikation der Ehrenamtlichen, erklärt Anne Böhler. Das unterscheide die Hospizhilfe von Besuchsdiensten oder Laienhelfern: "120 Stunden in Theorie, 40 Stunden Praxis, beispielsweise in einem Pflegeheim", sodass alle schnell merkten, ob sie fehl am Platz seien.

Die Hospizhilfe hat sich vielfältig vernetzt, in der Region und darüber hinaus, etwa über Hospiz- und Palliativverbände, mit Sozialstationen und anderen Akteuren. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit sogenannten SAPV, privaten Anbietern einer "speziellen ambulanten Palliativversorgung", also Ärzten und Pflegekräften, die sich um Schwerkranke und Sterbende zu Hause kümmern. Diese Profis verabreichen bei Bedarf Schmerzmittel oder erleichtern das Atmen, was Kenntnisse, Medizin oder Geräte erfordert, die den Kräften der Hospizhilfe nicht zur Verfügung stehen.

Aufgaben, Ziele und vor allem auch Handlungsbedarf fasst die "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen" in Worte. Sie wurde Böhler zufolge bereits 2010 von 50 Organisationen verabschiedet, mittlerweile sind über 2700 Organisationen und nahezu 30.000 Einzelmitglieder beigetreten und bekunden damit "ihre Bereitschaft, sich im Sinne der Charta für die Verbesserung der Situation schwerstkranker und sterbender Menschen, ihrer Familien und der ihnen Nahestehenden einzusetzen". Nachdem darin steht, "was in Wiesloch und Umgebung "schon immer unsere Aufgabe war", war es der Hospizhilfe wichtig, die Charta auch zu unterzeichnen, so Broghammer.

Die fünf Leitsätze der Charta stellen das Ideal dar, eine Art Verfassung, so Böhler, wobei ein einzelner Verein sicher nicht alle in gleichem Maß bewältigen kann. Auf die internationale Politik einzuwirken oder medizinische Forschung zu unterstützen, hat jetzt keine Priorität. Aber sehr wohl die Öffentlichkeitsarbeit.

Allem voran will das Team darüber aufklären, wie das Sterben ohne Angst, in Würde und "lebendig bis zuletzt" gelingen kann, so Böhler. Wenn die Charta sich gegen die Legalisierung der Tötung auf Verlangen ausspreche, verstehe man das so, die Alternative eines würdigen Sterbens bekannter zu machen.

"Ich hatte eine verzweifelte Frau am Telefon", erzählt Wezler: "Ihre Schwiegermutter leide an Parkinson und habe keinen Lebenswillen mehr. Sie sage: ,Ich will sterben, das ist meine Entscheidung.’" Wezler erklärte nach eigener Auskunft daraufhin zunächst, was die Hospizhilfe ist und was sie anbietet. Sie gab auch zu bedenken, dass die Schwiegermutter womöglich depressiv sei – und vor allem: dass sie wahrscheinlich gar nicht wisse, wie für sie ein Weiterleben und schließlich ein Sterben in Würde aussehen könne. Für Wezler stand fest: Die Hospizhilfe wird zuallererst das Gespräch mit der Betroffenen und ihrer Familie suchen.

Anne Böhler hat Ähnliches erlebt. Eine junge Frau mit Multipler Sklerose habe ihr Leben als unerträglich empfunden. Vor Ort aber klärte sich, dass es weniger an der körperlich-seelischen Verfassung lag. Das neue Pflegebad war ihr zufolge seit Wochen eine Baustelle, keine Handwerker zu finden, aus Fachkräftemangel hatte überdies der Pflegedienst gekündigt. Nachdem sie Kontakt zum Pflegestützpunkt Rhein-Neckar aufgenommen hatte, habe sie eine Lösung gefunden, so Böhler. "Einen Zwang zum Sterben fühlen? Wegen äußerer Umstände oder weil man der Familie nicht zur Last fallen will? Das darf nicht sein."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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