Mühlhausen

Im "Lamm" trafen sich vor 175 Jahren Kämpfer für Demokratie

Damals entstand in Mühlhausen eine Bewegung für mehr Freiheit. Das Verbot konnte die Menschen nicht einschüchtern.

08.04.2023 UPDATE: 10.04.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 30 Sekunden
Die „kleinen Leute“ ebenso wie die „Dorfprominenz“ machten in Mühlhausen ihrem Unmut über die bestehenden Verhältnisse Luft und trafen sich im März 1848 im Gasthaus „Zum Lamm“ zur Debatte über eine neue, demokratische Ordnung. Repro: Helmut Pfeifer

Von Rudi Kramer

Mühlhausen. Vor 175 Jahren schrieb Baden große Geschichte. Zum ersten Mal wurden auf deutschem Boden Forderungen nach einer demokratischen Grundordnung gestellt. Eine gewaltige Politisierung ging durch das Land. Menschen aller Schichten diskutierten in Gasthäusern, in Vereinen und auf der Straße und setzten sich für eine neue, demokratische Ordnung ein.

In aller Öffentlichkeit hatten sie in Mühlhausen für ihre Treffen geworben, hatten Flugblätter und Zeitschriften verteilt. An einem Sonntagnachmittag wollten sie zusammenkommen, im März 1848, im Gasthaus "Zum Lamm" in der Hauptstraße. Der Treffpunkt war gut gewählt, er lag im Herzen des Dorfes in der Nähe der "Drehscheibe". Hier traf man sich sowieso zum sonntäglichen Stammtisch nach dem Gottesdienst.

Es waren nicht nur die "kleinen Leute", die Landwirte und die Handwerker, die hier ihren Unmut über die bestehenden Verhältnisse äußerten und sich an die Spitze der Bewegung stellten, es war auch die "Dorfprominenz", Bürgermeister Sebastian Rittel, Hauptlehrer Joseph Abbath, Gemeinderat Franz Keilbach und auch Lammwirt Josef Kretz, in dessen Lokal der später gegründete "Vaterländische Verein" seine Besprechungen abhielt.

Zunächst erscheint es wichtig, die tieferen Ursachen für den sozialen, politischen und gesellschaftlichen Sprengstoff in den Gemeinden damals zu suchen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte. Seit dem Jahr 1800 war die Bevölkerung in Mühlhausen, Rettigheim und Tairnbach rasant angestiegen. Die dramatischen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Kriegs waren mehr als ausgeglichen, in den Dörfern wurde es eng. So stieg die Einwohnerzahl von Mühlhausen von 534 im Jahre 1787 auf knapp tausend im Jahre 1850. In Rettigheim lebten 1726 genau 248 Menschen, im Jahre 1802 waren es 368. Tairnbach steigerte seine Einwohnerzahl von 329 im Jahre 1818 auf 476 im Jahre 1852. Schon bald mussten sich die Behörden Gedanken machen, wie die wachsende Bevölkerung untergebracht und ernährt werden konnte.

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Ein zweiter Grund für die wachsende Unzufriedenheit schließt sich nahtlos an: Seit 1846 hatten die Bauern keine guten Ernten mehr in ihre Scheunen einfahren können. Regenfälle ließen die Kartoffeln auf den Feldern faulen, die Erträge der Getreidefelder blieben spärlich. Dann kletterten die Brotpreise in den Himmel, oft um das Dreifache. Die Notjahre 1846 und 1847 brachten in der Gemeinde viele Zwangsversteigerungen. Doch auch das Handwerk war Mitte der 1840er Jahre in die Krise geraten.

Das ganze Elend offenbart ein Rezept, das im Dorf kursierte, um eine "gesunde und wohlschmeckende Suppe" gegen den Hunger zuzubereiten: Kartoffeln, Bohnen, Brot, Lauch, Sellerie sollten miteinander verkocht werden, dazu – wenn vorhanden – etwas Fleisch. Wenn das Fleisch zu teuer sei, könne es auch durch Froschschenkel ersetzt werden.

Diese Hungerjahre führten auch in Mühlhausen zu Unruhen. In der Gemeinde tauchten anonyme Drohbriefe auf, in denen der Bürgermeister und die Gemeinderäte unter Druck gesetzt wurden, damit sie mehr gegen die Not unternehmen. In den Jahren 1846/47 waren die Gemeinden Mühlhausen, Rettigheim und Tairnbach durch Überbevölkerung und Missernten an der Talsohle einer Wirtschaftskrise angelangt. Vor allem gab es zu wenig ertragreichen Boden, doch der Landhunger der Menschen war groß.

So hielt man in Rettigheim Ausschau, ob noch Wald gerodet und in Ackerfläche verwandelt werden könnte, oder ob sich in Mühlhausen nasses und sumpfiges Gelände längs des Angelbachs entwässern ließ. Wenn man den wilden Lauf des Angelbachs eindämmte, so dachte man, könnte man aus den oft durch Hochwasser überfluteten Uferzonen neue Wiesen oder Ackerland gewinnen. Aber bald musste man einsehen, dass die Natur dem weiteren Landausbau Grenzen setzte. Die bereits begonnene Entwässerung der Angelbachniederung erwies sich als Fehlschlag, der ertragreiche Boden war nicht beliebig vermehrbar.

In Mühlhausen suchte man in diesen schweren Zeiten auch Kontakte zu Gleichgesinnten. So besuchte Bürgermeister Sebastian Rittel am 19. März 1848 die sogenannte "Offenburger Versammlung", an der 25.000 Menschen teilnahmen. Neu war der Wunsch zur Bildung von "Volksvereinen", die das Ziel hatten, die demokratische Bewegung landesweit zu organisieren und auf eine breite Basis in der Bevölkerung zu stellen. Acht Tage später tagte auf dem Schlosshof in Heidelberg die nächste Volksversammlung, "um der deutschen Volksfreiheit und Volkseinheit mächtigen Vorschub zu leisten", wie der "Neckarbote" in Nummer 26 am 30. März 1848 schrieb.

Auf Initiative von Bürgermeister Rittel bildete sich im April 1848 in Mühlhausen ein "Vaterländischer Verein" als Vorläufer des Volksvereins, dessen Aufgabe es war, für die Bewaffnung der Bürger sowie für die politische Bildung der Menschen zu sorgen. Dem Verein blieb jedoch keine Zeit zur Entfaltung. Bereits am 4. Mai wurde die Mühlhausener Ortsgruppe verboten: "So hat sich diese gegliederte Einrichtung an sich als unvereinbar mit der Staatsordnung dargestellt, weshalb Wir die oben bezeichneten Volksausschüsse hiermit für aufgelöst und ihr Fortbestehen verbieten. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 4. Mai 1848, Leopold."

Den erfolglosen "Heckerzug" vom 13. bis 20. April 1848 könnte man für die Dorfgeschichte fast vergessen, wenn nicht zwei Revolutionäre aus Mühlhausen daran teilgenommen hätten: Nikolaus Zimmermann und Johann Seiferling. Sie waren mit dabei, als der bunt zusammen gewürfelte Haufen von Konstanz aus in den bewaffneten Aufstand zog.

Der folgende Kampf bei Kandern war schnell entschieden: Die schlecht bewaffneten Bauern und Handwerker hatten der gut ausgebildeten Übermacht der regulären Truppen nichts entgegenzusetzen. Viele liefen einfach davon, vermutlich auch die Revolutionäre aus Mühlhausen, die nämlich ein Jahr später beim Aufstand im Dorf kräftig mitmischten.

Durch das Verbot des "Vaterländischen Vereins" ließ man sich in Mühlhausen kaum einschüchtern. Ganz im Gegensatz zum enttäuschten Friedrich Hecker, der sein Heil in der Schweiz und jenseits des Atlantiks suchte. Die Verantwortlichen im Dorf erkannten die Chance, durch umfassende Aufklärung echte Voraussetzungen für ein Gelingen des nächsten demokratischen Anlaufs zu schaffen, der im Winter 1848/49 gestartet wurde, aber von preußischen Truppen niedergeschlagen wurde.

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