Warum mussten Coco und Poyraz sterben?
Polizeikommissar Thomas Boris hat als Teil der Ethikkommission mitentschieden, dass die beiden Hunde sterben mussten. Sein Fazit: "Die Hunde waren einfach zu gefährlich."

Von Lukas Werthenbach
Leimen/Mannheim. Thomas Boris (49) ist Kommissar bei der Polizeihundeführerstaffel in Mannheim. Er war Vorsitzender der Ethikkommission, die über die Einschläferung der beiden Kampfhunde Coco und Poyraz nach deren Angriff auf einen 15-Jährigen entschieden hat (siehe auch Hintergrund-Kasten).

Herr Boris, warum musste eine Ethikkommission über die Zukunft von Coco und Poyraz entscheiden?
Eine Ethikkommission ist vorgeschrieben, um bei einer solchen Frage sicherzustellen, dass niemand eine einsame Entscheidung trifft. Im Tierschutzgesetz ist klar vorgegeben, dass Wirbeltiere nicht ohne vernünftigen Grund getötet werden dürfen. Daher müssen sich mehrere Fachleute zusammenfinden und gemeinsam darüber entscheiden.
Wer saß außer Ihnen noch in der Kommission?
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Insgesamt waren wir zu sechst: Neben mir waren noch verschiedene Amts-Tierärzte und behandelnde Tierärzte vertreten, die fürs Heidelberger Tierheim zuständig sind und schon öfter Umgang mit den beiden Hunden hatten. Ich selbst war ja seit dem Vorfall auch häufig bei den Hunden im Tierheim.
Wie liefen die Beratungen ab?
Wir saßen mehrere Stunden zusammen und sind verschiedene Optionen durchgegangen. Die Frage war, ob man die Hunde noch mal bedenkenlos an private Halter herausgeben kann, oder ob wir sie weiterhin unter Verschluss halten. Aber wenn der "Beißvorfall" wie in diesem Fall als "schwer" einzustufen ist, ist das ein Grund, die Tiere nicht mehr herauszugeben. Außerdem: Wem gebe ich so einen Hund? Und wie stelle ich sicher, dass die Halter zuverlässig sind? Eine Therapie wiederum wäre aussichtslos gewesen, weil die Hunde einfach zu gefährlich waren. So fiel unsere Abstimmung über die Einschläferung letztlich einstimmig aus.
Hintergrund
> Die Kampfhunde Coco und Poyraz attackierten am Pfingstmontag 2019 im Feld bei der Probsterwaldsiedlung in Leimen-St. Ilgen einen 15-Jährigen und verletzten ihn schwer. Der damals 16-jährige Bruder des Halters der beiden Hunde hatte die Tiere zuvor nach eigener Aussage
> Die Kampfhunde Coco und Poyraz attackierten am Pfingstmontag 2019 im Feld bei der Probsterwaldsiedlung in Leimen-St. Ilgen einen 15-Jährigen und verletzten ihn schwer. Der damals 16-jährige Bruder des Halters der beiden Hunde hatte die Tiere zuvor nach eigener Aussage schon öfter "aus Spaß" an anderen Menschen hochspringen lassen – auch am späteren Opfer der Attacke.
Am Tag des Angriffs ging der Bruder des Halters gemeinsam mit einem 22-jährigen Begleiter und den beiden unangeleinten Hunden auf einem Feldweg. Eigentlich hätten die Kampfhunde der Rasse "American Staffordshire Terrier" nur mit Leine und Maulkorb ausgeführt werden dürfen. Das Opfer fuhr mit dem Fahrrad am Duo vorbei, das dabei die Hunde an den Halsbändern festhielt. Kurz darauf aber ließ der 16-Jährige das eine Tier los und wies seinen Begleiter an, dasselbe mit dem anderen Hund zu tun. Dabei soll er die Tiere mit Worten wie "Los" und "Fass" angestachelt haben. Coco und Poyraz rannten dem Opfer hinterher, rissen es vom Fahrrad und verbissen sich in seinem Gesicht. Dabei verlor der 15-Jährige Teile der Nase und eines Ohrs.
Der 16-Jährige wurde im Dezember vor dem Heidelberger Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt. Sein Begleiter und sein ebenfalls 22 Jahre alter – bei der Attacke nicht anwesender – Bruder als Halter der Hunde wurden wegen grob fahrlässiger Körperverletzung zu einjährigen Bewährungsstrafen und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt. Nachdem vor einigen Wochen beantragte Revisionen gegen die Urteile verworfen worden waren, entschied eine Ethikkommission, die seit der Attacke im Heidelberger Tierheim untergebrachten Hunde einzuschläfern. luw
Sie haben die Hunde mehrmals im Tierheim besucht. Wie war Ihr Eindruck?
Erstmals war ich zwei Tage nach dem Vorfall bei den Tieren, da ging es um die Einstufung der Rasse. Dabei hat insbesondere die Hündin altersbedingt – sie war damals elf Monate alt – Angriffsversuche auf mich gestartet. Es wurde deutlich, dass die Hunde völlig falsch geprägt sind, die Erziehung durch die Halter hat dieses Verhalten unterstützt, das sie letztlich gezeigt haben. Ich habe damals ja auch als Zeuge vor Gericht gesagt, dass ich nicht davon ausgehe, dass die Halter das bewusst mit dem Ziel eines solchen Angriffs gemacht haben. Aber sie haben das aggressive Verhalten gefördert, indem die Hunde zum Beispiel öfter "aus Spaß" auf andere Menschen gehetzt wurden.
Wie hat sich das Verhalten von Coco und Poyraz nach Ihrem ersten Besuch entwickelt?
Ich war zwei Wochen später noch mal für einen weiteren Gentest dort. Da konnte ich schon nicht mehr in den Zwinger zu den Tieren, das wäre zu gefährlich gewesen. Das Problem war nach meinem Eindruck, dass die Hunde in einen Altersbereich kamen, wo unerwünschte Verhaltensweisen hätten korrigiert werden müssen. Einen Trainer für solche Fälle gibt es im Heidelberger Tierheim aber nicht.
Woraus haben Sie geschlossen, dass ein Betreten des Zwingers zu gefährlich gewesen wäre?
Wenn ich nur vor dem Zwinger stand, war die Hündin Coco schon auf 180. Mit ihrer Körpersprache hat sie ihre Aggressivität signalisiert. Sie hat gebellt, ihre Zähne gezeigt und ist gegen das Gitter gesprungen. Damit hat sie klar gezeigt: "Ich lass’ hier keinen rein."
Ist so ein Verhalten für diese Rasse typisch?
Das ist wie bei uns Menschen individuell unterschiedlich ausgeprägt. Insgesamt gehören "American Staffordshire Terrier" aber wie alle Terrier-Rassen zu denen, die eine höhere Triebveranlagung haben, Lebewesen als Beute zu jagen. Die Vorfahren von Coco und Poyraz waren teils reinrassige "American Staffordshire Terrier", die eben ursprünglich mal für den Kampf gezüchtet wurden.
Was halten Sie von dem Begriff "Kampfhund"?
Ich sehe das rein pragmatisch, dass die entsprechenden Rassen historisch gesehen für Kämpfe gezüchtet wurden. Teilweise waren das Kämpfe unter Hunden oder auch gegen andere Tiere zur Volksbelustigung. Der Begriff muss aber keine Rückschlüsse auf das Verhalten zulassen. Speziell im Fall von "American Staffordshire Terriern" ist das für mich einfach ein "gefährlicher Hund im Sinne der Polizeiverordnung".
Würden Sie ein generelles Verbot der Zucht von Kampfhunden befürworten?
Es gibt sicher ganz viele normale Leute, die ein Faible für diese Tiere haben. Die Tiere sind ja auch oft sehr umgänglich. Und das Verbot von bestimmten Rassen würde nichts bringen, weil die Züchter dann andere Wege und Schlupflöcher im Gesetz suchen würden. Zum Beispiel durch die vermehrte Zucht von sogenannten "XXL-Bullys" und "American Bullys" würde sich diese Frage dann nur verlagern.
Leimens OB Hans Reinwald dachte nach der Attacke laut über einen Hundeführerschein nach – wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Also ein Schein beinhaltet ja meistens eine Prüfung – und Prüfungen sind Momentaufnahmen. Man kann sich ja auch während der Prüfung zum Autoführerschein ordentlich verhalten und nach dem Bestehen mit Bleifuß unterwegs sein. Mit einem Hundeführerschein würde man vielleicht die Leute dazu zwingen, sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aber dann müssten wir heutzutage so vieles regeln, nicht nur im Zusammenhang mit Tieren – da wüsste ich nicht mehr, wo man anfangen und wo man aufhören sollte.