Jugendherberge Dilsberg

Abschied beim "Ausverkauf"

Viele sicherten sich beim "Flohmarkt" ihr Stück der Herberge - Motto: "Wir haben noch alle Tassen im Schrank"

18.03.2018 UPDATE: 19.03.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 58 Sekunden

Der Torturm aus dem 15. Jahrhundert ist Teil der Jugendherberge. Foto: Alex

Von Christoph Moll

Neckargemünd-Dilsberg. So viel los war in der Jugendherberge schon lange nicht mehr. Seit über zwei Jahren ist das Traditionshaus auf dem Dilsberg inzwischen geschlossen, doch am Samstag kehrte das Leben zurück. Vollbepackt verließen Menschen im Minutentakt das stattliche Gebäude am Eingang der Bergfeste. "Wir haben noch alle Tassen im Schrank" - mit diesem Motto lockte das Jugendherbergswerk die Neckargemünder. Und die kamen in Scharen. Wie beim Winterschlussverkauf galt: Alles muss raus!

Das komplette Inventar wird erneuert, große Teile wurden nun beim "Ausverkauf" gegen eine Spende nach Ermessen zugunsten der Herberge vergeben. Der "Flohmarkt" für Privatpersonen und Vereine war auch die letzte Gelegenheit, vor der nun beginnenden Sanierung noch einmal hinter die Kulissen der geschichtsträchtigen Einrichtung zu schauen.

Hintergrund

Historie

Die Dilsberger Jugendherberge ist noch keine 100 Jahre alt, hat aber bereits eine wechselvolle Geschichte, wie im spannenden Buch "80 Jahre Jugendherberge Dilsberg 1924-2004" des örtlichen Heimatforschers Frans Hermans

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Historie

Die Dilsberger Jugendherberge ist noch keine 100 Jahre alt, hat aber bereits eine wechselvolle Geschichte, wie im spannenden Buch "80 Jahre Jugendherberge Dilsberg 1924-2004" des örtlichen Heimatforschers Frans Hermans nachzulesen ist: Die Ursprünge der Jugendherbergen - auch jener auf dem Dilsberg - lagen in der sogenannten Wandervogel-Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Jugendliche zogen wandernd und singend durch Städte und Dörfer.

> Im Jahr 1921 gerieten der Dilsberger Torturm aus dem 15. Jahrhundert und das benachbarte Wachthaus ins Visier der Heidelberger Wandervogel-Gruppe. Die jungen Leute bekamen vom Rathaus den Schlüssel für die Jahrzehnte leerstehenden Räume und brachten sie auf Vordermann. Dabei erlaubten sie sich immer wieder den Spaß, die Bürgerglocke aus dem Jahr 1732 im Torturm nachts zu läuten. Als die Gemeinde den Torturm wieder beanspruchte, trat die Wandergruppe zur Rettung dem "Verband für Deutsche Jugendherbergen" bei - die Geburtsstunde der Dilsberger Herberge, die danach einen Riesenansturm erlebte.

> In den Jahren 1933 und 1934 erfolgte die erste Erweiterung, da das Anwesen Leibfried gleich neben dem Torturm in der Unteren Straße baufällig war. Aus dieser Zeit stammen auch der heute noch erhaltene Kachelofen und das Wandbild "Feldlager am Fuße des Dilsbergs" im Rittersaal. Wenig später versuchte die Gemeinde erneut, den Torturm zurückzubekommen - wieder erfolglos.

> Im Frühjahr 1935 kam es zu einem nächtlichen Attentat auf den Begründer der Jugendherbergen, Richard Schirrmann, der auf dem Dilsberg auf einer Tagung weilte. Schirrmann war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Der Beschuss mit Tränengas hatte Folgen: Schirrmann erblindete.

> In den Kriegsjahren fanden Mütter mit Kindern aus Großstädten Unterschlupf, gegen Ende des Kriegs wurde die Herberge zum "Wehrertüchtigungslager" umfunktioniert. Kurz vor Kriegsende, am Karfreitag, 30. März 1945, zog das deutsche Militär noch 17-Jährige von dort an die Front ein.

> Nach der Eroberung des Dilsbergs durch die Amerikaner beschlagnahmte der Dilsberger Bürgermeister die Herberge als Rathaus, doch das Herbergswerk beharrte auf das Eigentum. In dem Gebäude fanden zunächst Vertriebene eine Heimat, bis 1949 der Herbergsbetrieb mit 60 Betten erneut aufgenommen wurde.

> Im Jahr 1950 räumte das Rathaus die Herberge. In dieser Zeit gesellte sich "Yolande" als neues Haustier zur Herberge - ein Schwein, das von allen Gästen heiß geliebt und mit Essensresten gefüttert wurde. Ein Jahr später verließen die letzten Flüchtlinge die Herberge, alle Betten standen wieder für Gäste bereit. Bis der Torturm wieder genutzt werden konnte, dauerte es aber noch: Die letzten Untermieter zogen im Jahr 1955 aus. In den Folgejahren kamen Schulklassen aus ganz Deutschland auf den Dilsberg.

> In den Jahren 1973 und 1974 wurde die Herberge für 600.000 Mark vergrößert und modernisiert. Eine angrenzende Scheune machte Platz für eine Großküche und eine Wohnung für die Herbergseltern.

> Im Jahr 2003 erfolgte die letzte, 15.000 Euro teure Renovierung: Die Steuerung der rund 200 Kilo schweren Bürgerglocke mit einem Durchmesser von 71 Zentimetern und das Ziffernblatt der Uhr wurden erneuert, ebenso wurde an der Innenseite des Turms wieder eine Uhr angebracht. Die Glocke läutete in der Folge immer zur vollen und zur halben Stunde sowie in der Silvesternacht und bei der Beerdigung eines Bürgers. cm

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Schon am frühen Vormittag und noch vor dem eigentlichen Beginn des "Flohmarkts" waren die ersten "Plünderer" gekommen. Auch Annette Knauf war mit ihrem Mann früh auf den Beinen. Die Mückenlocher sicherten sich zehn Stühle und einen großen Massivholztisch, wofür zwei Autofahrten nötig waren. Demnächst soll an dem Tisch Konfirmation gefeiert werden. Überhaupt waren die Stühle aus dem Speisesaal, dem Rittersaal, besonders begehrt. Sie waren ratzfatz weg.

Auch Lisa Xu hat sich ein Stück Jugendherberge gesichert. Sie ist mit ihrem Mann und den beiden Kindern erst vor einem Jahr auf den Dilsberg gezogen. "Es war interessant, die Jugendherberge auch einmal von innen zu sehen", sagt sie, als sie mit Spielen, Schüsseln und Schöpfkellen wieder herauskommt. "Wir kommen aber noch einmal", kündigt Xu an. "Die Tischtennisplatte holen wir noch."

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Hanna Balbach-Schmitt aus Neckargemünd und Roland Albrecht aus Gaiberg nahmen ganz unterschiedliche Dinge mit: eine Schüssel für Katzenfutter, ein Weinglas, eine Gießkanne, Teelichter und Osterdekoration. "Ich brauche eigentlich nichts davon", gesteht die Neckargemünderin. "Aber der Gedanke, dass das einfach weggeworfen wird, besorgt mich." Andere trugen gleich kartonweise Geschirr und Besteck davon - mehrere Hundert Teller, Tassen, Messer und Gabeln warteten auf neue Besitzer. Weniger begehrt waren allerdings die riesigen Gefriertruhen. Was nicht wegging, holt demnächst eine Entrümpelungsfirma ab.

Der "Flohmarkt" machte deutlich: In der "neuen" Jugendherberge wird nicht mehr viel an die "alte" erinnern. Dass die Sanierung dringend notwendig ist, offenbarte sich bei einem Gang durch das Gebäude. Überall hat der Zahn der Zeit genagt. Die meisten Zimmer sind lediglich über schmale verwinkelte Gänge mit Holzverkleidungen zu erreichen - kein Wunder, dass hier der Brandschutz bemängelt wurde.

Sogar der langjährige Ortschaftsrat Lutz Lipski, der sich seit anderthalb Jahren im Ruhestand nebenbei als Hausmeister um die Jugendherberge kümmert, hat sich hier anfangs verlaufen. "Ich habe dann immer aus dem Fenster geschaut, um zu sehen, wo ich eigentlich bin", schmunzelt er. "Den Kindern hat’s hier wohl immer gefallen, weil sie gut verstecken spielen konnten." Das Interesse an der Herberge sei nach wie vor groß, berichtet Lipski: "Wenn die Tür offen ist, schauen immer wieder Touristen rein, die früher mal hier waren."

Die Zimmer sind übrigens schon leer. Die Stockbetten wurden nach Rumänien verkauft. In den Räumen gibt es lediglich Waschbecken mit beigefarbenen und blumigen Fliesen. Was in den 70er Jahren der letzte Schrei war, ist heute zum Schreien. Die Sanitärräume im Keller werden komplett saniert. In den meisten Zimmern ist es recht dunkel. Schade, dass die Fenster so klein sind, denn die Aussicht auf das Neckartal ist wirklich traumhaft - insbesondere in der Pächterwohnung ganz oben, die zu Zimmern umgebaut werden soll. Künftig werden nämlich keine Herbergseltern mehr hier leben, die Leitung erfolgt von der Heidelberger Herberge aus.

Jeder Raum hat übrigens einen Namen wie "Pulverturm", "Schöne Aussicht" oder "Glockenturm". Letzterer im städtischen Torturm war stets besonders begehrt. Direkt darüber befindet sich nämlich die Bürgerglocke aus dem Jahr 1732, die zu jeder halben und vollen Stunde schlägt. Hier wurden offenbar gerne Streiche gespielt, worauf ein Zettel an der Wand hindeutet: "Wer die Uhr verstellt, bezahlt 500 Euro Strafe." Die Zeiger der großen Uhr am Torturm waren wohl vom Fenster aus zu greifen.

Ortsvorsteher Bernhard Hoffmann hätte gerne, dass die Glocke nicht nur zur halben und vollen Stunde schlägt, sondern auch wieder - wie früher - an Silvester und zu besonderen Anlässen läutet. Dies sei derzeit nicht möglich, weil die Steuerung nur aus der Herberge möglich sei. Sinnvoll wäre deshalb eine Fernsteuerung. Hoffmann hofft, dass der Umbau bald beginnt, sodass im nächsten Frühjahr eine moderne Herberge eröffnen und wieder Tausende Touristen im Jahr - zuletzt gab es rund 10.000 Übernachtungen jährlich - empfangen kann. Bis dahin müsse er jeder Person im Umfeld der Herberge besonders freundlich begegnen, wie er schmunzelt. Es könnte ja der anonyme Gönner sein, der mit seiner Spende die 2,7 Millionen Euro teure Sanierung erst möglich macht.

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