Hirschberg

Eine Liebe in Wort und Schrift

Wiebke Dau-Schmidt hat aus den Briefen ihrer Eltern ein Buch gemacht.

25.08.2022 UPDATE: 25.08.2022 06:00 Uhr 3 Minuten
Die Leutershausenerin Wiebke Dau-Schmidt mit den Briefen ihrer Eltern, die sich von 1947 bis 1949 seitenweise Nachrichten schrieben, denn sie führten zu dieser Zeit zunächst eine Fernbeziehung. Foto: Dorn

Von Marco Partner

Hirschberg-Leutershausen. Als vor zwei Jahren der erste Corona-Lockdown ausgerufen wurde, waren plötzlich alle auf sich zurückgeworfen. Plötzlich hatte man Zeit, die Dinge anzugehen, die man stets aufgeschoben hatte. Wiebke Dau-Schmidt wusste eigentlich gleich, wie sie diese "Leere" füllen konnte und hat nun mit der RNZ für die neue Serie "Hirschberger Erbschätze" darüber gesprochen. Die frühen Briefe ihrer Eltern wollte sie sich schon lange vorknöpfen.

Von 1947 bis 1949 schrieben sich Mutter Irmgard und Vater Detlef seitenweise Nachrichten, denn sie führten zunächst eine Fernbeziehung. Und so tauchte die Tochter über 70 Jahre später in die frühe Liebe ihrer Eltern ein, bekam die ersten Jahre der Nachkriegszeit eindrücklich vor Augen geführt, und lernte vor allem ihre Mutter von einer fast unbekannten Seite kennen. Nun ist ein richtiges Buch aus den sehr persönlichen Zeitdokumenten entstanden.

Durch die Briefe lernte Wiebke Dau-Schmidt ihre Mutter von einer ihr bislang unbekannten Seite kennen. Foto: Dorn

Zwei dicke Ordner voller Briefe, dazu ein Bündel weiterer Nachrichten, mit einer roten Schnur verknotet: Im März 2020 machte sich Dau-Schmidt daran, die handgeschriebenen Erbstücke ihrer Eltern zu sortieren, die teilweise acht bis zehn Seiten langen Briefe in die richtige Reihenfolge zu bringen, sodass wieder ein Dialog daraus entsteht. "Ich hatte mir das immer schon mal vorgenommen, fast ein Jahrzehnt lang ruhten die Briefe auf dem Speicher. Die Zeit schien nie reif dafür", sagt die Vorsitzende des Olympia-Kino-Fördervereins. Doch Corona machte es letztlich möglich: Aus einem "Könnte-ich-mal-machen" wurde ein "Das-mache-ich-jetzt!"

Und so wurde vor den Augen der Tochter die Jugendzeit ihrer Eltern wieder lebendig. Die Mutter wuchs in einem Beamtenhaushalt in Essen auf, ihr Vater war Sohn eines armen Dorfschullehrers in Schleswig-Holstein. Die erste Begegnung war zufällig und kurz: Um den Bombenangriffen auf das Ruhrgebiet zu entgehen, wurde Irmgard 1943 von ihren Eltern zu Verwandten nach Wien geschickt, um dort die Schule zu beenden.

Aus dem sich anschließenden Arbeitsdienst in den österreichischen Alpen konnte sie wegen der Kriegshandlungen nicht nach Essen zurückkehren und floh stattdessen nach Schleswig-Holstein, wo sie in Schwabstedt bei Husum in einer Metzgerfamilie unterkam.

"Mit dieser freundete sie sich an", erklärt die Tochter. Nach Kriegsende kehrte die Mutter nach Essen zurück, 1947 aber besuchte sie die Familie im hohen Norden. Und lernte bei einem Tanz Detlef kennen. 22 Jahre waren sie damals beide alt, dann ging es Knall auf Fall, eine gemeinsame Woche hatten sie nur, aber verliebten sich heftig.

Was ihnen zunächst nur blieb: ihre Liebe in Wörter zu fassen und durch die Hände der Briefträger gehen zu lassen. "Die Post war damals erstaunlich schnell, manchmal schrieben sie sich sogar mehrmals die Woche, ohne die Antwort des anderen abzuwarten", so Dau-Schmidt. Es war ein gegenseitiges Kennenlernen in Wort und Schrift, ein vorsichtiges Abtasten, um die Einstellungen und Unterschiede des anderen herauszufinden. Auch Blumen oder ein Stück Stoff vom genähten Kleid oder gezeichnete Pläne von Wohnungen zierten die Briefe. "Mein lieber Detlef, fasse es bitte nicht als Verletzung des guten Tons auf, wenn ich als erster – oder haben wir wieder einmal die gleichen Absichten – ein Brieflein auf Reisen gehen lasse. Ich kann einfach nicht anders", schreibt die Mutter am 7. September 1947 von Essen aus.

Zwei Monate lang tippte Dau-Schmidt den Briefverkehr auf den PC ab. Immer verbunden mit einer bestimmten Fragestellung. Wie war ihre Mutter eigentlich als junger Mensch? Ihr Vater gibt sich schon in den frühen Briefen gewohnt grüblerisch. Was kann er bieten, kann das funktionieren, passen wir zusammen, stellt er viele Fragen?. Irmgard aber zeigt sich in den Briefen als treibende Kraft, immer sicher und positiv. Für die Tochter eine fast neue Erfahrung, denn so hatte sie ihre Mutter gar nicht kennengelernt. "Das Nachdenkliche meines Vaters hatte sich auf die Ehe abgefärbt", sagt sie. Mit der Hochzeit im Jahr 1949 und Irmgards Umzug nach Schleswig-Holstein endet auch der Briefverkehr.

Was hat die Tochter durch die besondere Rückschau dazugelernt? "Meine Mutter hat mich verblüfft, sie war davon durchdrungen, dass es gut wird, sehr emotional und positiv", verrät sie. Zugleich erkennt Dau-Schmidt in der Brief-Biografie aber auch die typische Entwicklung einer jungen Frau in der Nachkriegszeit. Schließlich hatte ihre Mutter Abitur gemacht, eine Frauenfachschule besucht, sie hätte Gewerbe-Lehrerin werden oder die Hauswirtschaftsleitung einer sozialen Einrichtung übernehmen können.

Mit der Ehe und drei Kindern aber war das berufliche Dasein abgeschlossen. "Sie hatte viel mehr Anlagen und hätte mehr entgegensetzen können statt Gartenarbeit, Einkochen, Hausarbeit und Kinder großziehen. Aber sie hatte sich nicht mehr aus dieser Rolle befreien können", sagt Dau-Schmidt aus heutiger Sicht.

Und doch hat sie die Reise in die Vergangenheit viel gelehrt: "Es war mir wichtig, sie mit anderen Augen sehen zu können. Sie ist mir dadurch als Persönlichkeit greifbarer geworden." Die frühe Liebe ihrer Eltern ging eben nicht durch die Hände der Postboten, sondern nun auch durch die Finger der Tochter. "Und manchmal denke ich, sie haben die Briefe bewusst so hinterlassen."

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