Wie zwei verwaiste Rehkitze sich näher kamen
Rehe Gretel und Wilhelm freundeten sich im Stall an - Waisen werden bis zur Auswilderung gepflegt

Von Lukas Werthenbach
Gaiberg. Die Rehkitze Gretel und Wilhelm waren gerade einmal wenige Tage alt, als sie zu den Steffens kamen. Auf deren Grundstück zieht "Kitz-Mama" Anne Steffen die beiden Findelkinder seither liebevoll groß, anfangs gab sie ihnen alle drei Stunden das Milch-Fläschchen. Sie sind keine Geschwister, teilen aber ein Schicksal. Und es sei durchaus zu beobachten, dass sich die in Rauenberg und Germersheim unabhängig voneinander gefundenen Tiere in den vergangenen Wochen angefreundet hätten, wie Ralph Steffen sagt. Er ist stellvertretender Kreisjägermeister und Vorsitzender der bekanntlich neu gegründeten "Rehkitzrettung Rhein-Neckar".
Beim zweiten Fototermin mit der RNZ sind Gretel und Wilhelm ein bisschen scheu. Der erste fand statt, als die Kitze etwa zwei Wochen alt waren. Diesmal aber passte ihnen das Wetter wohl nicht so recht. "Wenn es windig ist, sind sie etwas nervös und nicht ganz so fotogen wie normal", erklärt Ralph Steffen. Doch schließlich sprangen doch wieder ein paar schöne Motive dieser tierischen Freunde heraus. Dabei zeigte sich schnell: Die beiden Rehe orientieren sich aneinander, sie sind die Gesellschaft des jeweils anderen längst gewöhnt.
"Man könnte es auch als Zwangsfreundschaft sehen", sagt Steffen, "es sind beides Waisen und sie wurden ja einfach zusammengeworfen." Aber es deute tatsächlich einiges darauf hin, dass sich die beiden inzwischen etwa zehn Wochen alten Rehe mögen: "Sie liegen nachts schön beieinander", berichtet der selbstständige Forstwirt, "und wenn einer etwas abseits ist, während es Futter gibt, fängt der andere an zu fiepen." Dieser Laut sei als Suche nach dem "Partner" zu verstehen, in der Natur geschehe dies oft zwischen Geschwistern.
Selbstverständlich sei es indes nicht, dass sich zwei Artgenossen miteinander verstehen. "Wir haben zuletzt noch einen Bock hinzubekommen, er war nach einem Unfall stark verletzt und hat nicht überlebt." Doch in der Zeit, in der das männliche Reh in dem Gaiberger Stall bei Gretel und Wilhelm untergebracht war, habe es zwischen den beiden Böcken etwas geknallt: "Wilhelm ist auf ihn drauf und hat angefangen ihn zu boxen", sagt Steffen. "Das heißt, er hat den Kopf runtergenommen und damit angegriffen, wo später ein Geweih ist."
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Dass Wilhelm und Gretel so gut miteinander auskommen, könnte auch mit deren Alter und dem unterschiedlichen Geschlecht zusammenhängen, so Steffen. Aber Böcke seien nun mal wie Menschen "testosterongesteuert", erklärt der 52-Jährige: "Die sind schwieriger als die Mädels." Das Duo sei zwar noch nicht geschlechtsreif, habe sich in dieser Hinsicht aber schon ausprobiert: "Wilhelm wollte auf Gretel drauf, aber sie wissen ja noch gar nicht, was sie da machen", schmunzelt Steffen. "Aber Gretel hat es bei ihm auch schon versucht, sie ist emanzipiert."
Die zwei Kitze suchen zwar stets die Nähe zueinander, aber das für beide wichtigste Lebewesen ist Anne Steffen. So musste die 58-jährige Büro-Assistentin auch beim Fototermin mit der RNZ dabei sein. "Ohne meine Frau kommen wir nicht an die Kitze", sagt Ralph Steffen, "sie ist die totale Ersatz-Mama für sie." Der Forstwirt komme höchstens auf einen Meter an Gretel und Wilhelm heran. "Dann riechen sie mich und sind scheu." Im Oktober dürften die Rehe dann alt und stark genug sein, um ausgewildert zu werden – vielleicht bleibt diese tierische Freundschaft ja auch in der Natur bestehen...