Altstadtsatzung die schlechteste Entscheidung 2022
Der FDP-Fraktionssprecher kritisiert das Umwandlungsverbot von Läden als einen Eingriff ins Eigentum. Weiter gebe es "keinen zwingenden Grund für ein Neubaugebiet".



FDP-Fraktionssprecher in Schriesheim
Von Micha Hörnle
Schriesheim. Wolfgang Renkenberger hält als FDP-Fraktionssprecher mit Ulrike von Eicke die liberale Fahne im Rat hoch. Einsam waren sie im letzten Jahr, als es um die Altstadtsatzung zum Schutz der Ladenlokale ging, die beide ablehnten.
Herr Renkenberger, das Jahr 2022 war eines der vielen Krisen. Was war denn für Sie die Schlimmste?
Der Ukrainekrieg. Ich hatte anfangs Befürchtungen, dass der sich noch schlimmer bei uns auswirkt: dass die Betreuungseinrichtungen, gerade die Kindergärten, angesichts des Ansturms von Flüchtlingen kollabieren. Aber das ist, Gott sei Dank, nicht eingetreten. Das hat die Stadt gut hinbekommen.
Von einer anderen Krise, dem Hackerangriff, haben die Bürger, aber auch wir Stadträte, relativ wenig mitbekommen. Auch wenn der heftig war, konnte die Stadtverwaltung einigermaßen weiterarbeiten. Anfang des Jahres herrschte ja noch Corona. Aber mit dem Wegfall der meisten Beschränkungen ab Frühjahr wurde die Stimmung lockerer. Alles in allem ist die Stadt mit allen Krisen ganz gut fertig geworden.
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450 Flüchtlinge wohnen im Stadtgebiet. Ist da nicht auch mal eine Kapazitätsgrenze erreicht?
Ich kann mich da auf keine Zahl festlegen. Aber ich bin mir sicher, dass uns das Rathaus das mitteilen würde, sollten das Erreichen einer Grenze sichtbar werden.
In Altenbach wurde sogar ein ehemaliges Hotel belegt.
Das ist suboptimal, so viele Leute nach Altenbach und dann noch ganz an den Ortsrand und dann auch noch ohne Supermarkt in der Nähe einzuquartieren. Aber bis jetzt scheint es noch keine großen Beschwerden gegeben zu haben.
Aber umso schlimmer ist es, dass es ausgerechnet jetzt auf dem Rathaus keine Integrationsmanager gibt.
Ja, diese braucht man wohl, ich sehe das auch mit Bedauern. Aber die Stadtverwaltung ist da dran. Ich gehe davon aus, dass diese Stelle schnell wieder besetzt wird.
Sind solche Stellen wie die Integrationsmanager nicht auch ein Grund, dass beispielsweise die Flüchtlingskrise vergleichsweise gut bewältigt wurde?
Ja, ich glaube schon. Das zeigt, dass das Rathaus krisenfest arbeitet. Wir haben ja auch gute Leute, und wir müssen dafür sorgen, dass die auch bleiben.
Wie hat sich Bürgermeister Oeldorf als Krisenmanager bewährt?
Dadurch, dass von diesen Krisen wenig bei den Bürgern angekommen ist, kann man schließen, dass das Krisenmanagement im Rathaus gut ist. Es funktioniert geräuschlos, und ich habe auch keine Beschwerden der Bürger gehört.
Vermissen Sie Oeldorfs "Handschrift"?
Nein, er und die Stadtverwaltung waren auch gut beschäftigt dieses Jahr. Er hat auch große Projekte übernommen – und da muss er schon schauen, dass er sie organisiert bekommt. Man merkt schon, dass er in Verwaltungsabläufen deutlich mehr drin ist, als sein Vorgänger, zum Beispiel dass er ohne Rücksprache mit den Amtsleitern Fragen beantworten kann. Wir wollten einen Verwaltungsfachmann, und den haben wir auch bekommen.
Aber eigene Projekte kann er noch nicht präsentieren.
Die stehen ja sowieso an oder kommen auf ihn zu – wie das Neubaugebiet oder das Feuerwehrhaus, womit er sich dann herumschlagen muss. Mit der Gymnasiumsanierung, dem Neubau von Kindergärten oder der Talstraßensanierung wurde ja schon oder wird bald begonnen, das muss er dann zu Ende bringen.
Und auch die Neuausrichtung des Mathaisemarkts ist verschoben.
Das ist auch nachvollziehbar, dass er in seinem ersten Dreivierteljahr nicht nur große Räder drehen kann. Aber allen ist bewusst, dass es im nächsten Jahr beim Mathaisemarkt Veränderungen geben wird. Ich bin übrigens positiv überrascht, dass das Gewerbezelt erhalten bleibt – da gab es ja vorher ganz andere Signale.
Aber hätte es nicht schon dieses Jahr erste Neuerungen geben können?
Es wäre nicht schlecht und eine gute Gelegenheit gewesen. Aber ich kann nachvollziehen, dass die größte Sorge war, dieses Fest überhaupt hinzubekommen – gerade angesichts des Personalwechsels im Ordnungsamt. Auf jeden Fall freue ich mich auf den Mathaisemarkt 2023: auf den Umzug, vor allem auf die Mittelstandskundgebung.
Reden wir von dem, was im letzten Jahr liegen blieb, reden wir vom Neubaugebiet. Schlimm, dass nichts voranging?
Nicht schlimm, aber das Thema wabert ja schon seit Jahren durch die Stadt. Und es ist kein Thema, das man mit Ja oder Nein beantworten kann. Mein Eindruck ist, dass die Befürworter gespalten sind: Die einen wollen mit dem Neubaugebiet Geld verdienen, um den Abbau des Sanierungsstaus zu finanzieren. Die anderen wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen. Beides zusammen geht nicht.
Wir als FDP sehen zur Zeit überwiegend Gründe gegen das Neubaugebiet. Auch ist es ja so, dass den zukünftigen Generationen die letzte Entwicklungsmöglichkeit genommen würde. Und wir befürchten zudem höhere Folgekosten, sollte es mehr Einwohner geben – zum Beispiel beim Betreuungsangebot für Kinder.
Wieso legen Sie sich jetzt schon fest, wenn alle noch auf eine Kosten-Nutzen-Analyse des Neubaugebiets warten?
Wieso festlegen? Als FDP sehen wir keinen zwingenden Grund für das Neubaugebiet, aber wir können derzeit nicht alle Aspekte, insbesondere die finanziellen, überblicken. Aber tendenziell sind wir für die Innenverdichtung.
Damit meinen Sie die Bebauung ungenutzter Grundstücke. Mit denen lässt sich nie auf einen Schlag so viel Wohnraum schaffen wie mit einem Neubaugebiet.
Das Problem sehen wir auch – vor allem wegen der großen Nachfrage. Und doch ist das für mich kein zwingender Grund für ein Neubaugebiet.
Sie wohnen selbst direkt am Kreisaltenheim. Da sehen Sie doch selbst, wie lange so ein Mini-Baugebiet mit gerade mal 40 Wohneinheiten dauert.
Das stimmt schon, das hat sich ordentlich gezogen. Wie es überhaupt bei uns einige Areale gibt, die sich noch entwickeln ließen. Aber ich glaube nicht, dass ein Neubaugebiet deutlich schneller wäre.
Sie gehören zu den großen Befürwortern der Gymnasiumsanierung. Haben Sie nach dem arg verzögerten ersten Bauabschnitt nicht Angst, dass Ihnen dieses Projekt um die Ohren fliegen könnte?
Ich hatte zu Beginn der Sanierung deutlich mehr Angst. Kostensteigerungen sind immer möglich – zumal wir den naturwissenschaftlichen Trakt erst ausgeklammert und dann dazugenommen haben –, aber wir müssen das Gymnasium jetzt zu Ende sanieren. Das Schulzentrum ist das Herzstück unserer Stadt, und daran sollten wir nicht sparen. Gerade, wenn wir offenbar so viel Geld für einen Pumptrack haben.
Aber allein eine Verzögerung auf der Baustelle um ein Jahr kostet eine Million Euro – nur an Containermiete.
Dass diese Sanierung ein finanzielles Risiko ist, war allen Befürwortern bewusst. Aber was wäre denn die Alternative gewesen? Eine Flickschusterei wie bei der Grund- und Realschule? Der "Worst Case", eine Investitionsruine, wird keinesfalls eintreten. Wir müssen alle drei Bauabschnitte finanziell schultern.
Und dann wird der Kindergarten in der Conradstraße um das Doppelte teurer. Haben Sie da kein schlechtes Gewissen?
Auch wir standen da erst mal vor einem Rätsel, denn es sollte doch eher ein Standard-Kindergarten gebaut werden, bis auf einmal die Kosten explodierten. Aber wir brauchen nun mal den Kindergarten. Wenn die Verwaltungsspitze sagt, dass die Kosten notwendig sind, hätten wir eher ein schlechtes Gewissen, wenn wir nun dagegen stimmen würden.
So richtig emotional wurden Sie bei einem anderen Thema, der neuen Altstadtsatzung, die die Ladenlokale erhalten soll. Was haben Sie dagegen?
Natürlich wollen wir, wie alle anderen auch, die Geschäftswelt schützen – aber nicht, indem man den Vermietern dermaßen ans Schienbein tritt. Dass Ladenlokale ungenutzt bleiben könnten, liegt doch nicht an den Vermietern.
In Großstädten kann man für Ladenlokale eine Menge verlangen, aber in Schriesheim gibt es doch keine solche Preistreiberei. Zumal es hier nur kleine Räumlichkeiten gibt, in denen es sich nicht lohnt, ein Geschäft aufzumachen – schon gar nicht angesichts des Online-Handels. Bereits heute sind die meisten Läden bis zur Decke voller Waren.
Ich hätte mich ja noch mit einer Veränderungssperre anfreunden können, die auch Einzelfälle zulässt. Aber dieses neue Instrument ist nicht nur untauglich, sondern auch ein brutaler Eingriff in die Eigentumsrechte. Für mich die schlechteste Entscheidung des letzten Jahres.
Aber wenn die Läden in Schriesheim alle so unrentabel wären, wie Sie sagen, müsste es doch viel Leerstand geben.
Einige Geschäfte sind nicht existenzsichernd oder halt alteingesessen. Aber es geht ja darum, dass sich bei der Schließung eines bestehenden Geschäfts eine neue Unternehmensgründung lohnen muss. Die Pandemie wäre eventuell eine Chance für die Digitalisierung des Schriesheimer Einzelhandels gewesen, also statt bei Amazon bei "Schriesezon" bestellen.
Der Verkehr ist eines der ganz großen Themen in der Stadt. Versprechen Sie sich etwas vom Mobilitätskonzept, das in diesem Jahr verabschiedet werden soll?
Ich habe Zweifel, ob man wirklich alles regeln kann, zum Beispiel den ruhenden Verkehr. Verbote sind da oft keine gute Lösung. Da werden sich die Leute auch wehren. Wir haben zwar unlängst schöne Ziele verabschiedet, aber vollkommen offen ist, ob die umsetzbar sind. Und so rechne ich beispielsweise damit, dass angesichts der Platznot weiter auf Gehwegen geparkt wird und werden muss.
Aber die Rechtslage ist eindeutig: Die Autos gehören auf die Straße, nicht auf den Gehweg.
Ja, aber nicht umsonst gehen die meisten Kommunen pragmatisch damit um. Selbst wenn alle Garagen leer wären; die Frage ist ja auch, ob die heutigen Autos da noch reinpassen. Früher galt die Faustregel "Ein Haushalt, ein Auto", heute ist es eher "Ein Erwachsener, ein Auto". Ich habe mir mal die Daten geben lassen: In Schriesheim haben wir bei 15.000 Einwohnern 12.000 Autos. Und die müssen ja irgendwo parken.
Wenn das Mobilitätskonzept sowieso unerfüllbar ist, wieso hat man es beauftragt?
Weil es dabei um alle Arten der Mobilität geht, nicht nur um Autos – auch um Fußgänger und Radfahrer oder Öffentlichen Nahverkehr.
Was für Ideen haben Sie für die Heidelberger Straße?
Es ist schon wichtig, dass sie attraktiver werden sollte. Man sollte es vielleicht einfach mal ausprobieren, sie am Wochenende, vor allem im Sommer, mal stundenweise zu sperren. Aber bei festen Pollern wäre ich vorsichtig: Die Autos werden sich zurückstauen, und die Anwohner werden nicht motiviert sein. Denen hat man ja jetzt auch noch diese Enteignungssatzung vors Schienbein genagelt. Ich bin da eher für eine Geschwindigkeitsbegrenzung, am besten Schritttempo, wie es auch auf dem Schwetzinger Schlossplatz der Fall ist.
Sind Sie mit der Entscheidung, die Hans-Pfitzner-Straße nicht umzubenennen, und mit der Erklärtafel zufrieden?
Ich bin zufrieden, dass sich unser Argument durchgesetzt hat: Ausradieren hilft nicht gegen das Vergessen, nur Aufklärung hilft gegen das Vergessen. Und dafür hat sich die Mehrheit entschieden. Uns wurde ja der Vorwurf gemacht, wir seien mutlos und vor den Anwohnern eingeknickt. Ich finde aber diesen Beschluss mutiger als den einfachen Weg des Verwaltungsvorschlags der Umbenennung.
Wieso haben Sie da Mut bewiesen?
Die Diskussion war in der Öffentlichkeit klar dominiert von den Befürwortern der Umbenennung. Da sah man mal wieder den Unterschied zwischen Öffentlichkeit und Mehrheit. Unser Argument gegen das Vergessen wurde nicht gesehen. Man wollte die Geschichte bereinigen.
Sind Sie mit dieser Mehrheitsentscheidung dem Bürgermeister nicht in den Rücken gefallen?
Nein! Ich verstehe die Vorgehensweise der Verwaltung absolut: Wie gehen andere Kommunen damit um? Aber das war für mich kein "politischer" Vorschlag, sondern eben typisch Verwaltung. Unsere Entscheidung hingegen war politisch motiviert.
Sind Sie mit dem Erklärschild zufrieden?
Ganz klar: Nein! Das ist schon sehr unglücklich und missverständlich formuliert, vor allem für Auswärtige. Das lässt sich aber mit ein, zwei Zeilen mehr beheben.
Haben Sie eine Meinung zum Kompressorenhaus?
In der Diskussion wurde zu wenig dem Umstand Beachtung geschenkt, dass es um Naturschutz geht, um ein Naturschutzgebiet. Über die Bürgerinitiative war ich erstaunt, es hatte doch über Jahrzehnte niemanden interessiert. Ich denke, dass ein Abrissbeschluss gefasst werden wird.
Spielt es für Sie keine Rolle, dass es einen Förderverein zum Erhalt des Gebäudes geben könnte?
Es ist positiv zu bewerten, wenn ein Verein entsteht, der sich kümmern will. Ich halte aber einen arbeitsfähigen Verein für eher unwahrscheinlich. Der muss dann halt dazu auch einiges Geld in die Hand nehmen. Hier warte ich ab – und bis dahin ist der Naturschutz meine Entscheidungsgrundlage.
Was war für Sie 2022 am überraschendsten?
Der aussichtslose Kampf der FDP gegen das Umwandlungsverbot, also die Enteignungsatzung für die Altstadt. Und dass alle anderen "Bürgerlichen" unisono dafür waren.
Worauf freuen Sie sich 2023 am meisten?
Auf den guten Fortgang der Gymnasiumsanierung – und auf den Mathaisemarkt.

Und nun erfüllt Ihnen eine gute Fee einen materiellen Wunsch.
Ich bin mir unsicher, ob das ein Fall für die Fee ist, aber: eine volle Stelle für den Stadtarchivar Dirk Hecht. Die habe ich mir schon beim letzten Jahresgespräch gewünscht.