Sind Neckargemünder Stadträte denn keine Bürger?
Ein Grünen-Rat meldete sich mangels Alternative in der Bürgerfragestunde und löste einen Eklat aus. Der Bürgermeister entzog ihm das Wort.

Von Christoph Moll
Neckargemünd. Eklat im Gemeinderat der Stadt am Neckar: Bei der jüngsten öffentlichen Sitzung kam es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Bürgermeister Frank Volk und dem Stadtrat und Landtagsabgeordneten der Grünen, Hermino Katzenstein. Mehrere Stadträte verließen sogar den Saal.
Was war passiert? Wegen der Coronakrise sollen Sitzungen so kurz wie möglich sein. Deshalb hatte Bürgermeister Frank Volk den sonst üblichen Tagesordnungspunkt "Mitteilungen und Anfragen" von der Tagesordnung gestrichen. Dieser wird von den Stadträten meist gerne genutzt, um verschiedene Themen anzusprechen und die Stadtverwaltung kritisch zu befragen.
Petra Groesser (Grüne) und ihr Fraktionskollege Hermino Katzenstein wollten dies nicht hinnehmen. Sie umgingen das Absetzen des Tagesordnungspunktes und setzten sich gleich zu Beginn der Sitzung in den Zuhörerraum, um an der Bürgerfragestunde teilzunehmen. Diese gibt es weiterhin. Die Anfrage von Petra Groesser nach mehr Unterstützung für die Gastronomie in der Coronakrise beantwortete Volk noch. Doch dann meldete sich Giuseppe Fritsch (Freie Wähler) vom Ratstisch aus und wollte auch eine Frage stellen. Volk lehnte ab. "Ist das überhaupt zulässig, auf diesem Weg Fragen zu stellen?", fragte er. "Ich finde das komisch und lasse das prüfen." Volk sagte, dass er noch am Sitzungstag Anfragen von Stadträten per Mail beantwortet habe.
Als sich dann Hermino Katzenstein aus dem Zuhörerraum meldete, erteilte ihm Volk doch das Wort. Der Grünen-Rat monierte, dass Stadträte derzeit keine andere Möglichkeit hätten, Fragen von Bürgern weiterzugeben und Mitteilungen zu geben. Fragen würden zwar schriftlich beantwortet, aber davon bekomme die Öffentlichkeit nichts mit und es sei kaum oder gar nicht möglich, über diese zu diskutieren oder Nachfragen zu stellen. Außerdem könne man nicht kurzfristig Informationen austauschen. Er wollte wissen, ob und wenn ja, wann es wieder den Tagesordnungspunkt "Mitteilungen und Anfragen" geben wird.
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Wegen Corona – natürlich! Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, dass das ungeliebte Virus als Ausrede für alles Unliebsame sogar ganz willkommen ist. Ein Bauprojekt zum Beispiel wird später als
Christoph Moll zum Eklat im Neckargemünder Gemeinderat
Wegen Corona – natürlich! Manchmal könnte man den Eindruck bekommen, dass das ungeliebte Virus als Ausrede für alles Unliebsame sogar ganz willkommen ist. Ein Bauprojekt zum Beispiel wird später als geplant fertig? Warum? Wegen Corona – natürlich! Dass es noch andere Gründe gibt, die eine größere Rolle gespielt haben – sei’s drum! Schuld ist nur das Virus. Oder wie jüngst bei der Sitzung des Neckargemünder Gemeinderates, als die Stadträte einmal mehr keine – sonst meist kritischen – Fragen an den Bürgermeister stellen durften. Warum? Wegen Corona – natürlich! Die Sitzung sollte möglichst kurz sein, was die sonst oft ausufernde Fragerunde wohl verhindert hätte.
Aber Moment mal! Kurz war die Sitzung mit zwei Stunden wirklich nicht. Allein über eine halbe Stunde davon referierte ein Experte über ein Einzelhandelsgutachten, über das nicht entschieden werden musste, sondern das der Gemeinderat nur zur Kenntnis nehmen sollte – und das er schriftlich vorliegen hatte. Da hätte Bürgermeister Frank Volk, der zuvor um eine kurze Präsentation gebeten hatte, eingreifen müssen. Corona rechtfertigt Vieles, aber nicht, von Bürgern gewählten Stadträten das Wort zu entziehen beziehungsweise es ihnen erst gar nicht zu erteilen. Wegen Corona? In diesem Fall nicht!
Mit Katzensteins Vorgehen waren einige Stadträte nicht einverstanden und verließen aus Protest den Saal – darunter Winfried Schimpf, Jens Hertel, Anna-Magdalena Oehne-Marquard und Lilliane Linier (alle SPD) sowie Jürgen Rehberger und Steffen Wachert (beide Freie Wähler). Doch Katzenstein redete weiter: "45 Minuten mehr für eine Fragestunde wären vertretbar", meinte der Landtagsabgeordnete. Volk unterbrach ihn und konterte: "Ihre Ministerien haben doch darum gebeten, Sitzungen kurz zu halten." Nur damit Stadträte Öffentlichkeit bekommen, lasse er keine Fragen zu. Volk entzog Katzenstein daraufhin das Wort. "Dann kann ich auch nicht mitteilen, welche neue Unterstützung es für Kommunen gibt", gab der Abgeordnete zu bedenken. "Dann erfahre ich es auf anderem Wege", meinte Volk.
Auf Katzensteins Einwand, dass er seit 15 Jahren auch Bürger von Neckargemünd sei, sagte Volk nur noch, dass er die "Sitzung ordnungsgemäß weiterführen" wollte. Daraufhin kehrten die anderen Stadträte wieder zurück. Freie-Wähler-Fraktionschef Rehberger warf in den Raum, dass es eine klare Absprache unter den Fraktionen gegeben habe, dass es keine Fragestunde für die Stadträte gibt. Die Grünen widersprachen: Es habe keinen einstimmigen Beschluss darüber gegeben.
"Ach, ich finde es vor allem schade, dass seitens des Bürgermeisters und einiger Stadträte so empört und aufgeregt reagiert wurde", so Katzenstein gegenüber der RNZ, der sich "mehr Gelassenheit und Konzentration auf die Sacharbeit" wünscht. "Ein cooler Bürgermeister wäre doch viel cooler." Dass derzeit Diskussionen zu Anliegen aus der Bürgerschaft und zu "Verschiedenes" im Gemeinderat nicht möglich seien, sei ein "erhebliches Manko": "Die Transparenz leidet", meint Katzenstein. "Die zusätzliche Länge der Gemeinderatssitzung von 45 Minuten wäre tolerierbar und macht aus Infektionssicht keinen Unterschied."
Doch durfte Bürgermeister Frank Volk dem Stadtrat überhaupt die Frage verwehren? Die RNZ fragte beim Landratsamt nach, bei dem auch das Kommunalrechtsamt angesiedelt ist. Dessen Sprecherin Silke Hartmann betont, dass auch Stadträte Bürger seien, die in einer Bürgerfragestunde Fragen stellen dürfen. Schließlich müsse jeder Gemeinderat auch die Bürgereigenschaft besitzen. "Die Teilnahme an der Bürgerfragestunde kann daher nicht verwehrt werden", so Hartmann. Aber: Der Bürgermeister dürfe als Sitzungsleiter auch Fragen ohne Begründung unterbinden.