"Das sieht bei denen so leicht aus"
Hunderte staunende Zuschauer feuerten die Radprofis in Neckargemünd und Wilhelmsfeld an

Bevor es die Neckargemünder Altstadt hinauf ging, passierten die Radprofis bei der Deutschland Tour die Friedensbrücke. Foto: Willenberg
Von Benjamin Miltner und Daniel Bräuer
Neckargemünd/Wilhelmsfeld. Jakob stellt die entscheidende Frage: "Wann kommen denn die Radler?" Der sechsjährige Knirps spricht aus, was am Sonntag um kurz nach 13 Uhr Hunderte Schaulustige am Neckargemünder Marktplatz dachten. Jakob - ausgestattet mit einer Deutschlandfahne - und die anderen Radsportbegeisterten werden aber schnell fürs Warten belohnt:
Um 13.09 Uhr wuchtet sich das Führungsduo auf der vierten und letzten Etappe der Deutschland-Tour mit kräftigen Tritten die Hauptstraße hoch. Die beiden werden für das Abstrampeln ebenso beklatscht und angefeuert wie die restlichen 119 Fahrer. Die passieren knapp sechs Minuten später das Stadttor - ganze 16 Sekunden braucht es, ehe das Hauptfeld durchgerauscht ist.
"Das sieht bei denen so leicht aus, wie im Schlaf", ist Annette Beraus auch Minuten später noch ganz baff. Sie ist zusammen mit Ehemann Franz aus Helmstadt nach Neckargemünd gefahren - natürlich per Fahrrad. Die Begegnung mit den Radprofis war für sie mehr oder weniger zufällig. "Mein Mann hat eigentlich gesagt, dass wir heute Strecken fahren, wo nicht so viel Verkehr und Trubel ist", lacht Annette Beraus und setzt ihre eigene Tour Richtung Heidelberg fort.

Sperrungen wie hier in der Neckargemünder Hauptstraße gab es gestern überall. Foto: Alex
Neben den vielen Ausflüglern und Hobbyradlern der Region sind auch die Neckargemünder als Fans in ihrer Stadt unterwegs. So wie Touré Laciné. "Mir hat es super gefallen, die Profis so nah zu erleben", schwärmt er von seinem Platz am Stadttor. Der 60-jährige Orthopädietechniker schwingt sich selbst jeden Tag aufs Rennrad, um zur Arbeit nach Schlierbach zu kommen. "Ich kenne auch alle Berge im Odenwald", erzählt Laciné vom Radeln mit seinem Arbeitskollegen. "Heute mache ich aber einen Ruhigen", lacht er.
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Ein weißes T-Shirt mit Tour-de-France-Logo outet Johannes Orths nahe der Friedensbrücke als Radsportfan. Der 65-Jährige freut sich über das "nette Event" in seiner Heimatstadt, sagt aber auch: "Die Frankreich-Rundfahrt ist eine andere Nummer." Was er damit meint, konkretisiert Manfred Pistor: "Ich finde es schade, dass die Stadt kein Rahmenprogramm organisiert hat."
Der 75-Jährige stand auch 2008 an der Strecke, als die Deutschland Tour vor ihrer Pause letztmals durch Neckargemünd sprintete. Pistor hätte sich Beflaggung an der Friedensbrücke und Livemusik am Marktplatz gewünscht. "Wir haben doch so tolle Kapellen und Musikgruppen im Ort", betont er.

Auch in Wilhelmsfeld gibt es 20 Minuten zuvor zwar kein Rahmenprogramm. Die Stimmung ist dort wie im Neckartal gut - aber noch etwas ausbaufähig. Auf der Straße von Altenbach her gruppieren sich immer wieder Hobbyradsportler, die ihre Idole an der Steigung von ganz nah sehen wollen. Auf seinem Klappstuhl im Wald feuert ein einsamer Streckenposten mit einer Plastikklapper alle an, die vorbeiradeln, um noch weiter oben Stellung zu beziehen.
Im Ort ist vor allem die Bergwertung Publikumsmagnet. An die 100 Zuschauer stehen kurz nach dem Ortseingang lange vor der Durchfahrt Spalier. Doch Wilhelmsfeld hat mehr als einen Schau-Platz: Auch an der Kreuzung in der Ortsmitte sammeln sich die Zuschauer und prosten sich zu, als das Fahrerfeld noch eine gute halbe Stunde entfernt ist.
Und auch am Ortsausgang Richtung Peterstal ist einiges los: Da, wo die Fahrer ohnehin von einer 90-Grad-Links-Kurve eingebremst werden, ehe sie in eine der steilsten Rampen des Berges hineinrollen. Die Hoffnung, hier die Fahrer auch einzeln erkennen zu können, hat rund 60 Fans angelockt.
Sie beklatschen jedes Polizeimotorrad der Vorauskolonne, beäugen das Materialfahrzeug und applaudieren dann kräftig, als es endlich ernst wird: Erst strampeln die beiden Ausreißer vorbei, dann das Hauptfeld. Nach sieben Minuten ist das Feld durch. Ein kleiner Junge in der ersten Reihe packt seine Rassel wieder ein.
"Ich habe sie mir noch schneller vorgestellt", sagt eine junge Frau zu ihrem Freund. Keine zwei Minuten später sitzen die ersten, die aus der Umgebung angeradelt sind, schon wieder selbst im Sattel - dem Feld hinterher.
In Neckargemünd ist nach wenigen Minuten wieder Alltag eingekehrt. Neben Radfahrern rollen auch wieder Autos durch die Altstadt, linsen Passanten in Schaufenster hinein, genießen Cafébesucher ihren Kuchen. Die Helfer erledigen derweil letzte Aufgaben. Rund 30 Ehrenamtliche von Stadt, Vereinen und THW hatten zuvor mit der Polizei für Sicherheit und Sperrungen gesorgt.
"Alles hat wunderbar geklappt", sagt Matthias Strifler. Der 37-jährige Mitarbeiter des Ordnungsamts war mit drei Kollegen ab 9.30 Uhr in der Stadt unterwegs - und machte dabei vier Falschparker auf der Strecke aus. "Die Halter haben ihre Autos dann brav weggefahren", so Strifler. Kurz vor 14 Uhr macht auch sein Team Feierabend - die Deutschland Tour ist passé, zumindest für dieses Jahr.



