Neckar-Odenwald-Kreis

Landkreis sucht zentralen Standort für ein Corona-Impfzentrum

Im Interview berichtet Landrat Achim Brötel von ersten Gesprächen mit Eigentümern, dem Defizit bei den Kliniken und über das Aus für die "Transversalen"-Anbindung des Raums Walldürn-Buchen an die A81.

20.11.2020 UPDATE: 21.11.2020 06:00 Uhr 6 Minuten, 52 Sekunden
Die Neckar-Odenwald-Kliniken in Mosbach. Archiv-Foto: Stefanie Kern

Von Alexander Rechner

Neckar-Odenwald-Kreis. Vor 15 Jahren wählte ihn der Kreistag erstmals zum Landrat. Achim Brötel hat entschieden, sich im kommenden Jahr erneut einer Wahl zu stellen. Im Gespräch mit der RNZ hat er Stellung zu Kreis-Themen wie dem Defizit der Neckar-Odenwald-Kliniken und der "Transversale" bezogen. Außerdem äußert er sich zur Corona-Pandemie, warum aus seiner Sicht der Landkreis bislang vergleichsweise gut durch die Krise kam, und gibt bekannt, dass es ein Kreisimpfzentrum geben wird.

Der Landkreis ist bisher im Vergleich zu anderen Regionen gut durch die Coronakrise gekommen, wenn man die Sieben-Tage-Inzidenz betrachtet. Worauf führen Sie dies zurück?

Gerade in den letzten Tagen sind die Infektionszahlen zwar leider auch bei uns stark angestiegen. Nach wie vor liegen wir aber in der Tat zusammen mit dem Main-Tauber-Kreis deutlich besser als alle umliegenden Stadt- und Landkreise. Ich sehe mehrere Gründe dafür. Zum einen leistet das Team unseres Gesundheitsamts unter der Leitung von Frau Dr. Teinert eine wirklich exzellente Arbeit – und das seit März ununterbrochen im Krisenmodus an sieben Tagen pro Woche. Wir gehören zu den ganz wenigen, die die Kontaktpersonennachverfolgung noch vollumfänglich gewährleisten können. Bei vielen anderen ist dieses System hingegen längst zusammengebrochen.

Und: Wir können immer noch mehr als die Hälfte aller Infektionsketten tatsächlich auch nachvollziehen. Das ist zweifelsohne ein zentraler Erfolgsfaktor. Im bundesweiten Vergleich liegt dieser Wert mit rund 20 Prozent deutlich niedriger. Außerdem nehme ich dankbar wahr, dass die Menschen in unserer Heimat schon in hohem Maße achtsam sind. Die allermeisten halten sich an die Regeln. Auch das schlägt sich in den Fallzahlen nieder. Vielleicht haben wir ein Stück weit bisher zudem aber einfach auch Glück gehabt.

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Achim Brötel. Foto: Heiko Schattauer

Der Einzelhandel blickt besorgt in die Zukunft. Das Gastgewerbe ächzt unter der Coronakrise. Befürchtungen werden laut, dass Unternehmen schließen müssen. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Diese Sorgen verstehe und teile ich ganz ausdrücklich. Nach Corona wird wahrscheinlich vieles anders sein. Umso wichtiger ist es aber, dass Bund und Land finanzielle Schutzschirme für die Betroffenen aufgespannt haben und zu helfen versuchen, wo immer es geht. Ich muss aber auch sagen: Selbst wenn manche die angeordneten Maßnahmen als streng oder gar zu streng empfinden mögen – sie schützen uns und sie dienen vor allem auch dazu, dass in unseren Kliniken anders als vielerorts sonst eben noch keine Engpässe bestehen. Das muss über allem anderen stehen, auch wenn es weh tut. Wir werden uns wahrscheinlich ohnehin auf noch wesentlich schwierigere Wochen und Monate einstellen müssen.

Inwiefern?

Im Frühjahr hatte ich noch gehofft, dass wir Corona relativ schnell wieder in den Griff bekommen. Das hat sich leider als Trugschluss erwiesen. Jetzt hat uns die zweite Welle mit voller Wucht erreicht. Und: Ich befürchte, dass wir den Höhepunkt dieser Welle noch gar nicht haben, sondern erst zu Beginn des neuen Jahres erleben werden. Das Virus macht keinen Weihnachts- oder Silvesterurlaub. Gerade dann werden aber viele, sämtlichen Warnungen zum Trotz, im privaten Kreis wohl schon zusammensitzen. Ich sehe dem durchaus mit Sorge entgegen.

Der ersehnte Impfstoff gegen das Coronavirus ist zwar noch nicht am Markt, doch bald könnte es soweit sein. Wie laufen die Vorbereitungen für die Verteilung im Landkreis?

Nach der Konzeption des Landes soll in jedem Landkreis mindestens ein Kreisimpfzentrum eingerichtet werden, in dem die Menschen dann den Corona-Impfstoff verabreicht bekommen. Seit Anfang der Woche kennen wir das Anforderungsprofil dafür. Selbstverständlich wird es auch im Landkreis ein solches Zentrum geben. Momentan suchen wir gerade eine geeignete Immobilie, die von der Größe her passt, möglichst zentral liegt und zudem an das öffentliche Nahverkehrsnetz angeschlossen ist. Erste Gespräche mit Eigentümern laufen bereits. Näheres kann ich dazu momentan aber noch nicht sagen. So etwas geht nicht über Nacht.

Wer wird in den Zentren impfen?

Ich will ganz ausdrücklich vor überzogenen Erwartungen in Bezug auf die Impfung warnen. Die Immobilie allein reicht nämlich sicher nicht. Wir brauchen auch den Impfstoff in ausreichenden Mengen und vor allem das Personal, das die Impfungen dann vornimmt. Nach den Vorstellungen des Landes werden dafür jeden Tag selbst in einem Kreis wie bei uns beispielsweise bis zu 14 Ärztinnen und Ärzte gebraucht – und das über Wochen und Monate hinweg. Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wo dieses Personal herkommen soll. Unser Gesundheitsamt kann das jedenfalls nicht auch noch zusätzlich stemmen. Die Pandemie macht ja keine Pause, bloß weil die Impfungen beginnen. Vieles erscheint mir deshalb da noch unausgegoren. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden werden. Wir müssen uns allerdings auch da ehrlich machen: Die ganze Aktion wird wesentlich mehr Zeit brauchen als viele glauben.

Wie sollen dort dann die Impfungen vonstattengehen?

Auch das ist in der Konzeption des Landes momentan noch eher vage. Es wird auf jeden Fall ein Aufklärungsgespräch geben müssen, bei vulnerablen Personen auch eine zumindest kursorische medizinische Untersuchung, dann die eigentliche Impfung und wahrscheinlich auch eine gewisse Phase der Nachbeobachtung. Mit den Reihenimpfungen, wie ich sie noch aus meiner eigenen Schulzeit von früher kenne – also: alle antreten, Oberarm frei und los –, wird das sicher nicht vergleichbar sein. Ich bin deshalb gespannt, wie sich die Überlegungen in den nächsten Wochen weiterentwickeln. Persönlich glaube ich, dass eine solche Aktion ohne den Bevölkerungsschutz nicht gehen wird. Vielleicht werden wir deshalb in größerem Umfang auf Bundeswehr und Rotes Kreuz zurückgreifen müssen. Das wird jedenfalls noch eine spannende Frage werden.

Auch das Defizit der Neckar-Odenwald-Kliniken bewegt die Bürger. Wie lange kann sich der Landkreis die Kliniken noch leisten?

Wenn uns Corona eines ganz deutlich vor Augen führt, dann ist es doch gerade, dass wir die Krankenhäuser in Mosbach und Buchen zwingender denn je brauchen. Wir müssen allerdings allein 2020 voraussichtlich weitere 7,7 Millionen Euro zuschießen, nur um den Fortbestand unserer Krankenhäuser zu sichern. In dieser Größenordnung werden wir uns das auf Dauer sicher nicht leisten können. Es ist für mich allerdings auch nicht akzeptabel, dass ein so elementarer Grundpfeiler der Daseinsvorsorge für die Menschen mit erheblichen kommunalen Finanzmitteln subventioniert werden muss, nur weil das vom Bund beschlossene System der Krankenhausfinanzierung für kleinere Häuser im ländlichen Raum schlicht und ergreifend nicht auskömmlich ist. In diesem Punkt sehe ich deshalb mit Blick auf die Zukunft dringenden Reformbedarf. Trotzdem müssen aber auch hier vor Ort in den Neckar-Odenwald-Kliniken selbstverständlich noch Hausaufgaben erledigt werden. Das erwarte ich von allen Beteiligten.

Welche Hausaufgaben sind das denn?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es bei den krankenhausinternen Abläufen, bei der Verweildauer und beim Entlassmanagement, insbesondere aber auch bei der Dokumentation, Kodierung und Abrechnung durchaus noch Luft nach oben gibt. Ich räume aber ein, dass alles das in der Theorie wesentlich einfacher klingt, als es später dann in der Praxis umzusetzen ist. Ein wichtiger Schlüssel sind für mich jedoch die Ärzte. Wir müssen künftig alles daran setzen, vor allem die jungen Ärzte langfristiger an unsere Häuser zu binden. Eine zu hohe personelle Fluktuation ist nicht dienlich, weil damit auch das gerade mühsam erlernte Wissen immer wieder verloren geht.

Kritik entzündete sich an der Schließung der Geburtshilfe in Mosbach.

Der Kreistag hat gerade in diesem Jahr einen umfassenden Maßnahmen- und Strukturplan beschlossen, um beide Häuser nachhaltig zukunftssicher zu machen. Das führt auch zu Einschnitten, die richtig weh tun. Ich denke dabei in der Tat an die Schließung der Geburtshilfe in Mosbach, genauso aber auch an die Schließung des Schockraums in Buchen. Solche Entscheidungen trifft niemand gern. Ich habe deshalb hohen Respekt vor den Mitgliedern unseres Kreistags, die das in Verantwortung für den Fortbestand unserer Kliniken insgesamt trotzdem getan haben. Jetzt muss die neue Struktur in beiden Häusern aber auch umgesetzt und gelebt werden. Dabei sind wir alle gefordert, übrigens auch als potenzielle Patientinnen und Patienten.

Der Kreistag hat den Kliniken als Ziel vorgeben: Die Grenze von maximal 7,7 Millionen Euro Jahresverlust muss eingehalten werden. Gelingt das denn?

Bis jetzt liegen wir sogar fast 650.000 Euro besser als der Plan. Das ist eine Botschaft, die mich gerade für die Belegschaft, die unter schwierigen Bedingungen momentan wirklich Großes leistet, auch persönlich sehr freut. Das Oktober-Ergebnis bewegt sich mit einem Verlust von 510.000 Euro ebenfalls fast exakt auf der vorgegebenen Linie von 500.000 Euro. Allerdings kommt uns dabei ehrlicherweise auch das Schutzschirmverfahren bei der Service GmbH wirtschaftlich zugute. Von daher: Wir sind noch nicht am Ziel. Es müsste im November und Dezember aber schon viel passieren, um die 7,7 Millionen Euro noch zu überschreiten. Momentan spricht jedenfalls wesentlich mehr dafür, dass wir unter diesem Wert bleiben. Vor den letzten beiden Monaten haben wir unter Einbeziehung des noch nicht, auch nicht anteilig, gebuchten Sicherstellungszuschlags für den Standort Buchen rund eine Million Euro Puffer.

Sollte der Bund in der Coronakrise weiterhin finanziell unterstützen?

Der Bund muss das sogar tun. Deshalb ärgert es mich maßlos, dass der Bundesgesetzgeber uns jetzt auch beim am Mittwoch beschlossenen zweiten Covid-Rettungsschirm für die Krankenhäuser wieder einmal im Regen stehen lässt. Dass die Basis-Notfallversorgung, die die Neckar-Odenwald-Kliniken hervorragend leisten, generell außen vor bleibt, ist wirklich ein Skandal, fügt sich aber nahtlos in das ein, was die Politik schon seit Jahren mit Häusern der Grund- und Regelversorgung macht. Manchmal fehlen einem wirklich die Worte.

Die "Transversale" (die direkte Anbindung des Raums Walldürn und Buchen an die A81) steht nun vor dem Aus. Was hat Sie dazu bewogen, das Projekt nicht mehr weiter zu verfolgen?

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen haben wir es heute mit ganz anderen Anforderungen im Bereich des Natur- und Umweltschutzes zu tun, als das 2005 der Fall war. Hinzu kommt, dass der Eckenberg bei Adelsheim sich in Sachen Standfestigkeit partout nicht an das halten will, was die geologischen Gutachter ermittelt hatten. Alles das zusammengenommen führt dazu, dass wir es auch mit einer erheblichen Kostenexplosion zu tun bekommen. Schon heute liegen wir ziemlich genau beim Vierfachen dessen, was 2005 einmal am Ausgangspunkt der Überlegungen ermittelt worden war. 54 Millionen Euro können wir aber nicht schultern. Wer alle diese Aspekte verantwortungsbewusst abwägt, kann deshalb eigentlich nur zu einer einzigen Entscheidung kommen. Schade, aber es ist einfach so.

Sie haben sich entschlossen, erneut als Landrat anzutreten. Wie wollen Sie den Landkreis voranbringen?

Für mich gibt es drei große und zentrale Handlungsfelder, die über die Zukunftsfähigkeit unseres Kreises entscheiden: Gesundheit, Mobilität und Bildung. Das umfasst ausdrücklich keine Rangfolge. Alle drei Bereiche stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Ganz allgemein würde ich mir aber auch wünschen, dass wir alle einen anderen Blick auf unsere Heimat und ihre objektiven Pluspunkte bekommen. Die größte Geißel der Menschheit ist doch die permanente Unzufriedenheit mit dem, was man hat. Wir leben in einer wunderbaren Landschaft, einem noch weitgehend intakten sozialen Gefüge, mit einem beispielhaften ehrenamtlichen Engagement und mit ganz vielen wirklich tollen Menschen. Ich selbst möchte jedenfalls nirgends anders leben als hier. Genau diese Botschaft sollten wir mit Blick auf die Zukunft gemeinsam deshalb noch sehr viel mehr verinnerlichen. Dafür würde ich gerne als Landrat weiterarbeiten – mit derselben Leidenschaft wie bisher.

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