Neckar-Odenwald-Kreis

Warten auf Nachschub für die Grippe-Impfung

Ärzte und Apotheker berichten von großem Patientenandrang - Auch Pneumokokken-Impfstoff fehlt

09.11.2020 UPDATE: 10.11.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde
Die Wartelisten sind lang: Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie wollen sich viele Menschen gegen Grippe impfen lassen. Foto: dpa

Von Caspar Oesterreich

Neckar-Odenwald-Kreis. In den vergangenen Jahren ist der Grippeimpfstoff eher ein "Ladenhüter" gewesen, sagt Dr. Thomas Ulmer. Mit dem Aufruf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Oktober habe sich das jedoch schlagartig geändert, berichtet der Mosbacher Mediziner. Mehr als 1000 Patienten habe Ulmer seitdem in seiner Praxis gegen Grippe geimpft. Obwohl er mit Blick auf die Corona-Pandemie rund 30 Prozent mehr Impfdosen als in den Vorjahren bestellt habe, sei seine Warteliste noch lang: "Unsere Vorräte haben einfach nicht gereicht – jetzt warten wir auf Nachschub." Wann der kommt? "Das wissen wir nicht. Vielleicht Mitte November", hofft Ulmer.

Der Allgemein- und Sportarzt ist bei Weitem nicht der einzige, der im Neckar-Odenwald-Kreis von Engpässen bei der Versorgung mit Grippeimpfstoffen berichtet. In vielen Praxen und Apotheken können sich die Patienten nur noch in Wartelisten eintragen. Vor allem für chronisch Kranke und Menschen über 60 Jahre sei das eine "unbefriedigende Situation", sagt Dr. Christoph Kaltenmaier, Hausarzt in Aglasterhausen. Seiner Meinung nach hätten Risikopatienten sowie das medizinische Personal in diesem Jahr bevorzugt gegen Grippe geimpft werden müssen, "anstatt dass Spahn die große Werbetrommel rührt und jedem eine empfiehlt".

Zwar hat auch Kaltenmaier mit einer erhöhten Nachfrage gerechnet. "Aber dass sie so groß ausfällt, konnte keiner ahnen", sagt er. Die 400 Impfdosen, die ihm Ende September geliefert wurden, seien nach zwei Wochen schon aufgebraucht gewesen. Dabei hatte auch er im Frühjahr mehr Ampullen für seinen Sprechstundenbedarf geordert als er es die Jahre zuvor getan hatte. "Wir haben natürlich sofort nachbestellt, als wir gemerkt haben, dass unser Vorrat nicht ausreicht", erklärt der Arzt. 30 Grippeimpfungen habe er noch bekommen, "aber auf die restlichen 170 Dosen warte ich noch", beschreibt Kaltenmaier den Versorgungsengpass. Er findet die Situation fast schon skurril: "Früher mussten wir immer für die Grippeimpfung werben. Heute rennen uns die Patienten die Türen ein, und wir müssen sie auf Wartelisten setzen."

Die ständigen Anfragen der Patienten, ob und wann denn nun das Serum wieder zur Verfügung steht, würden für eine zusätzliche Arbeitsbelastung in den Praxen sorgen, berichten Ulmer und Kaltenmaier unisono. Dabei sei das eigentliche Zeil Spahns gewesen, durch eine hohe Grippe-Impfquote das Gesundheitssystem während der zweiten Corona-Welle zu entlasten, auch wenn er dabei wohl eher die Belegung der Krankenhausbetten im Auge hatte.

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Wie Dr. Harald Genzwürker, Ärztlicher Leiter der Neckar Odenwald-Kliniken, auf Anfrage der Rhein-Neckar-Zeitung mitteilt, seien in den vergangen fünf Jahren insgesamt 418 Menschen mit Grippe in den beiden Krankenhäusern stationär behandelt worden. Annähernd 100 Patienten habe man in Buchen jeweils in den Jahren 2018 und 2019 registriert. In Mosbach lag der Höchstwert laut Genzwürker bei 52 Erkrankten in 2018. Obwohl die Grippe-Fallzahlen in diesem Jahr niedriger sind (Buchen: 34, Mosbach: 47), habe es am Kliniken-Standort Mosbach bereits "zwei Todesfälle im Zusammenhang mit einer Grippe gegeben", berichtet der Ärztliche Leiter weiter.

Grundsätzlich sei der Appell von Spahn deshalb auch richtig gewesen, sagt Dr. Rainer Schöchlin, Hausarzt in Mosbach und Vorsitzender der Kreisärzteschaft. "Dass am Anfang nicht genügend Impfeinheiten vorhanden sind, war von Beginn an klar." Schließlich dauere die Produktion des Serums rund vier Monate – "das geht nicht von heute auf morgen" –, und auch das Paul-Ehrlich-Institut brauche Zeit, um die Impfstoffe vor ihrer Freigabe zu testen.

Auch Schöchlin spricht von einer "riesigen Warteliste" in seiner Praxis, zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass bald Nachschub kommt. Der temporäre Engpass sei ärgerlich, aber kein Grund zur Panik, erklären ebenso Ulmer und Kaltenmaier. "Besser wäre es vom Gesundheitsminister aber gewesen, sich mit den Ärzten und Apotheken abzustimmen, und erst dann für die Grippeimpfung zu werben", sagt Kaltenmaier.

Normalerweise erreicht die Grippewelle ihr Hoch Ende Januar, Anfang Februar. Da sei es auch noch ausreichend, sich in den kommenden Wochen impfen zu lassen, macht Schöchlin deutlich. Die Immunität trete dann zehn bis 14 Tage nach der Impfung ein. Nebenwirkungen würde es nur selten geben: Manchmal sei die Einstichstelle leicht gerötet, oder es komme zu einem ähnlichen Gefühl wie Muskelkater im Arm. "Aber das geht schnell wieder vorbei", so der Vorsitzende der Kreisärzteschaft.

Wann Nicolai Waschitschek, Inhaber der Mosbacher Rathaus-Apotheke, wieder Grippeimpfungen bekommt, "kann ich nicht sagen", erklärt er im Gespräch mit der RNZ. Der Großhandel könne keine verlässlichen Termine nennen, würde die Lieferung seiner Bestellung immer wieder verschieben. "Aber die Corona-Regeln schützen auch vor einer Ansteckung mit dem Influenzavirus", betont der Apotheker. Seine Kunden würde diese Information meist beruhigen.

Während alle über den Engpass bei Grippeimpfungen reden, würde das Fehlen von Pneumokokken-Impfungen jedoch außer Acht gelassen, kritisieren Waschitschek und Kaltenmaier. "Bei Risikopatienten wird durch eine Pneumokokken-Impfung die Gefahr einer Lungenentzündung deutlich reduziert", sagt der Arzt aus Aglasterhausen. Deshalb sei sie für chronisch Lungenkranke sowie für Über-60-Jährige "dringend zu empfehlen", so Kaltenmaier. Allerdings dauere es wahrscheinlich noch bis Februar 2021, bis die Impfstoffe gegen diese bakterielle Erkrankung wieder von den Pharmafirmen lieferbar seien.

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