Wie ein schmerzhafter Hundebiss zu Polo "Käthchen" führte
Dr. Dorothee Schlegel war mit ihrem Polo grenzüberschreitend unterwegs. Manchmal ging’s nur mit Tricks weiter.

Billigheim. (schat) Wenn man auf dem Dorf aufwächst, dann sehnt man den 18. Geburtstag meist regelrecht herbei. Ist er doch in vielen Fällen eine Art Ticket zu neuer Freiheit, zu Mobilität, zu Selbstständigkeit. Das erste eigene Auto spielt(e) dabei nicht selten eine Hauptrolle – und schon deshalb sind mit ihm besondere Erinnerungen verbunden. Im Rahmen der kleinen Artikelreihe "Mein erstes Auto" kramt die RNZ in diesen Erinnerungen, beleuchtet ganz persönliche "Autobiografien".
Dass die auch außerordentlich schmerzhaft beginnen können, schildert Dr. Dorothee Schlegel. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete aus Billigheim ist nämlich, wenn man so will, erst auf den Hund und dann zu ihrem ersten eigenen Auto gekommen. "Nachdem ich auf den Führerschein gespart hatte, den ich in Form eines grauen Papiers 1977 gleich mit 18 Jahren nach erfolgreicher Prüfung in Händen halten durfte, war der Wunsch nach einem Auto natürlich groß", erinnert sich die Sprachwissenschaftlerin.
Den Herzenswunsch erfüllen wollte sie sich mit einem Job bei der Post, den sie nach dem Abitur antrat. Wie zur Bestätigung gängiger Klischees, wurde die junge Briefträgerin dabei aber heftig vom Hund gebissen. Und zwar so heftig, "dass die Versicherung mir Schmerzensgeld bezahlen musste". Und damit konnte sich die heute 63-Jährige dann tatsächlich ihr erstes Auto leisten – einen ockerfarbenen VW Polo.
Und das erste Auto der jungen Dorothee sollte natürlich nicht namenlos durch die Gegend fahren. "Die Kennziffern HN nach dem WN für Waiblingen führten – nach der Lektüre von Heinrich Kleists ,Käthchen von Heilbronn’ – dazu, dass mein Polo fortan Käthchen hieß." Und gemeinsam mit Käthchen sollte sie insbesondere während ihrer Ausbildungszeit zur Diakonin/Religionspädagogin einiges erleben.
So bestand seinerzeit – Anfang der 1980er-Jahre – nämlich eine Partnerschaft der evangelischen Kirche in Westdeutschland mit den Glaubensschwestern und -brüdern in Ostdeutschland. Und zusammen mit einem knappen Dutzend Kommilitoninnen und Kommilitonen reiste Dorothee Schlegel regelmäßig zum Austausch in die DDR, vom Studienort Ludwigsburg aus bis nach Moritzburg, immerhin rund 500 Kilometer, einfache Strecke. Der kleine Polo machte ohne Mucken mit, zumindest solange er den richtigen Treibstoff intus hatte.
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Einmal war das im Osten aufgenommene Benzin allerdings von derart mieser Qualität (oder schlicht das falsche), dass der kleine Wolfsburger mitten auf der Autobahn seinen Dienst quittierte. Da man sich in der DDR aber bei allem möglichen Mangel meist irgendwie zu helfen wusste, ging’s auch für Schlegel und ihren Mitfahrer irgendwie weiter: "Wir probierten es, wie von einem Helfer empfohlen, ohne Tankdeckel und stattdessen mit einer Plastiktüte mit Löchern darin als Abdeckung – und das funktionierte tatsächlich", berichtet Dorothee Schlegel.
Etliche Male absolvierte der Polo in der Folge die verbindenden West-Ost-Reisen dann noch klaglos, auch Teil-Demontagen zu Kontrollzwecken an der Grenze ließen er und seine Besitzerin immer mal wieder geduldig über sich ergehen. Dass der gerade mal 50 PS starke Kleinwagen – der eigentlich als Audi 50 das automobile Licht der Welt erblickt hatte – auch zügig konnte, bewies er später bei Touren von Ludwigsburg nach Nürnberg, wo Dorothee Schlegel regelmäßig einen Brieffreund besuchte. "140 auf der Autobahn waren schon drin", erinnert die für die SPD im Kreistag aktive Kommunalpolitikerin. Mit dem Auto sei sie grundsätzlich gerne schnell unterwegs, nicht erst seit der Energiekrise habe sie sich aber eine möglichst ressourcensparende Fahrweise angeeignet.
Zurück zu Käthchen: Nach vielen gemeinsamen und erlebnisreichen Jahren trennten sich die Wege Ende der Achtziger-Jahre dann doch. "Die Reparaturen kamen immer häufiger, irgendwann hat es sich dann einfach nicht mehr gelohnt", skizziert Dorothee Schlegel einen Haupttrennungsgrund. Einen Unfall hatte sie mit ihrem kleinen Volkswagen unterdessen nie, wie auch all die Jahre danach – bis heute – schadensfrei blieben. Mit einer klitzekleinen Einschränkung: "Einmal bin ich ein Stück zu weit nach hinten gefahren und mit der Stoßstange an einem Geländer hängen geblieben", erzählt die Mosbacher Sportkreisvorsitzende: "Da war dann aber nur ein Minibeule im Chrom, das konnte man einfach lassen."
Nachfolger des ersten Autos wurde übriges wieder ein Polo, allerdings deutlich jüngeren Baujahrs und weniger reparaturanfällig. Einen Namen bekam der dann allerdings nicht mehr, ebenso wenig wie der schnittige blaue Mazda MX-5-Roadster, der später wiederum den zweiten VW ersetzte.
Mithalten mit dem, was Käthchen für die junge Dorothee Schlegel bedeutet hatte, konnten ihre automobilen Erben ohnehin nicht. "Ich bin ja auf dem Dorf groß geworden, wo nach zehn am Abend halt kein Bus mehr gefahren ist. Da war das natürlich ein Stück große Freiheit mit dem ersten eigenen Auto", erinnert sich Dorothee Schlegel noch ganz genau an jene Zeit Ende der Siebziger, als Achtzehnjährige.
Wenn sie heute die "sorgsam aufbewahrten" alten Fotos von ihrem ersten Wagen im signalockerfarbenen Blechkleid herausholt, dann lächelt die inzwischen 63-Jährige. Und die gemeinsamen Wege von ihr und Käthchen sind ganz schnell wieder vor dem geistigen Auge präsent, mit allen Abzweigungen, Schlaglöchern und doch unfallfrei erreichten Zielen.

Modell: VW Polo (1. Serie)
Farbe: ocker
Kaufpreis: 6000 DM
Erste Fahrt: Zur Patentante nach Renningen
Beste Erinnerung: Eigentlich viele, wenn ich meine Tagebucheinträge von damals nachlese. Mit meiner Schwester war ich etwa eine Woche lang in Dänemark unterwegs, wobei wir auch im Auto genächtigt haben – Vordersitze ganz vor, Rückbank umklappen, gut gepolstert, warme Schlafsäcke, viel Spaß.
Schlimmstes Erlebnis: Mit qualmendem Motorraum auf der Schweizer Autobahn. Nach dem Abschleppen wurde ausgelaufenes Öl mit Hochdruck entfernt. Dann ging’s weiter nach Grindelwald, wo im August 1981 plötzlich ein halber Meter Schnee lag – und der Polo hatte natürlich Sommerreifen drauf.
Das kam nach der Nummer eins: Ein neuer Polo II Steilheck, türkisblau, 75 PS stark
Mit Abstand betrachtet: ... sind da die vielen Möglichkeiten und Freiheiten, jederzeit (fast) überall hinfahren zu können. Aber auch immer, unfallfrei ans Ziel gekommen zu sein.
Was ist geblieben? Die Unabhängigkeit. Auch wenn mir das selbstfinanzierte Auto manches Mal an anderer Stelle viel Verzicht abverlangte.