Ein Neubau hätte Probleme mit Statik und Baurecht
Ein Boden wie eine Hüpfburg - Gebäude schwimmt gewissermaßen auf dem Nägelsee

Die Gebäude des Dr.-Schmeißer-Stifts. Foto: Rainer Hofmeyer
Von Rainer Hofmeyer
Eberbach. Der Nägelsee. Heute ist er verschwunden, jedenfalls nicht mehr zu sehen. Bis zur Erweiterung der Stadt vor dem Unteren Tor war das ein freies, unbebautes Gelände. In einem alten Grundriss der Stadt vom Ende des 18. Jahrhunderts zeigt sich dort in der Nähe noch der zweigeteilte Holderbach, der Jahre später entlang der Bahnlinie zur Itter umgeleitet wurde. Ein Hinweis auf den alten See ist geblieben: die "Nägelseegasse".
Aber es gibt den Pfuhl noch - zumindest seinen ehemaligen Untergrund. All das, was zu seiner Zeit aus dem Odenwald an Schlamm und Geröll Richtung Neckar gespült wurde, ist nämlich keinesfalls im Laufe der Jahrhunderte abgetragen worden: Das Dr.-Schmeißer-Stift schwimmt gewissermaßen auf dem Nägelsee. Die Baufachleute aus der Entstehungszeit des Altenheims wissen ein Lied davon zu singen.
Das Altersheim ist nämlich nicht auf Felsen gestellt. Persönliche Erinnerungen und heute noch vorhandene Unterlagen zeugen vom Risiko, das Architekt, Statiker und Bauunternehmer beim Rohbau tagtäglich vor Augen hatten. Ohne besonders vorsichtiges Vorgehen wäre das Haus irgendwann umgekippt, fast sprichwörtlich im "Brabbel" gelandet.
"Brabbel" - so bezeichnet man in Eberbach eine feuchte und schwer zu definierende matschige Mischung aus heller und dunkler Erde, aus Kies und Sand, Schlamm, Wasser und Morast. Die Geologen sprechen bei so einem Allerlei von "Schluff". Eine erdgeschichtliche Bohrung wurde damals vor Baubeginn eingebracht - vorsichtshalber, weil man von dem ehemaligen See vor der Stadt wusste.
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Die Überraschung kam, als das Gutachten auf dem Tisch lag: Eine bis zu neun Meter tiefe Problemzone gibt es an der Ecke der Friedrich-Ebert-Straße, gleich neben dem früheren evangelischen Pfarrhaus, der alten Villa Knecht-Leutz.

So sieht das freie Gelände des früheren Nägelsees (Kreuz) auf einer Eberbach-Karte von 1787 aus. Repro: Rainer Hofmeyer
Doch unter dieser Schicht ist das Problem immer noch nicht zu Ende. Der Schluff wird noch von zusammenpressbarem Sandsteingeröll unterlagert. Das ergibt Geländeeigeschaften fast wie bei einer Hüpfburg: es schnellt auf einer Seite hoch, wenn man die andere belastet. "Die Geologen stellten uns vor größere Probleme", erinnert sich heute Diplom-Ingenieur Robert Moray, der die Statik des Dr.-Schmeißer-Stifts verantwortete.
Und die im Gutachten angesagten Probleme kamen auch. Die große Bodenplatte des ersten Abschnittes "schaukelte" beim Aufziehen der Wände quasi auf dem alten Seegrund.
Es musste fortwährend durch pendelartiges Bauen ein Gewichtsausgleich geschaffen werden, damit Bodenfläche und Gebäude nicht in Schieflage gerieten. Der besagte weiche Untergrund wurde durch die Last des immer schwerer werdenden Hauses immer mehr verdichtet oder verdrängt, sackte dazu auch noch ab.
Der kritische Unterboden verursachte zwangsläufig Mehrkosten. Das alte Pfarrhaus sollte eigentlich erhalten werden. Der Schluff von nebenan kam in Bewegung, drückte gegen die Kellerwände, es zeigten sich erhebliche Schäden. Die Villa Knecht-Leutz musste abgerissen werden. Die Baukosten stiegen.
Für das Wirtschaftsgebäude wurde eine eigene, gleichsam schwimmende Bodenwanne gebaut. Genauso war es beim späteren Pflegetrakt.
Drei massige und unabhängig voneinander betonierte Wannen bildeten letztlich die Fundamente. Für die ersten Jahre sagten die Geologen ein Absenken des gesamten Altersheimes um rund vier bis sieben Zentimeter voraus. Das kam auch so. Alle Leitungsanschlüsse mussten angepasst und nachjustiert werden. Wenn jetzt das Gebäude abgerissen und neu gebaut würde, müsste man sich erneut auf den schwierigen Untergrund des früheren Nägelsees einstellen.
Statiker haben erhebliche Zweifel, dass die drei auf die jetzigen Gebäude abgestimmten Bodenwannen bei einem Neubau weiterverwendet werden könnten. Die einen halben Meter dicken Stahlbetonplatten sind gewissermaßen punktgenau auf die Belastung durch die bestehenden Häuser abgestimmt.
Geologie und Statik sind aber nur eine Seite einer möglichen Neubau-Medaille. Baurecht ist die andere. Der 1972 eingeweihte Bau überragt die Häuser links, rechts sowie gegenüber. Wenn kein Bebauungsplan für ein Gebiet vorhanden ist, kommt es auf Art und Maß der baulichen Nutzung der näheren Umgebung an.
Die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden darf, müssen sich in die Nachbarschaft einfügen. So gilt nach Bundesbaugesetz hier die angrenzende dreigeschossige Bebauung als Richtlinie.
Der frühere Bürgermeister Dr. Hermann Schmeißer wusste sich mit seinem Vorhaben durchzusetzen. Sein Wanderfreund Landrat Georg Steinbrenner war ein großer Befürworter des geplanten Eberbacher Heimes. Es gab eine Ausnahmegenehmigung für die hohen Häuser.
Einen Anspruch auf einen genauso strukturierten Neubau wie das alte Dr.-Schmeißer-Stift mit seiner Bauhöhe und der vollen Ausnutzung der Grundfläche gibt es allerdings nicht. Sollten also das sechsgeschossige Altersheim je abgerissen und an seiner Stelle Neubauten errichtet werden, werden diese wohl über drei Geschosse nicht hinauskommen.
Ein Bauriegel über die Länge des gesamten jetzigen Grundstücks wird wahrscheinlich auch niemals genehmigungsfähig sein. Dann zerlegt sich das bisherige große Dr.-Schmeißer-Stift am Ende auf drei kleinere einzelne Gebäude, zwischen denen auch noch der Feuerschutzabstand einzuhalten ist.
Wenn das leer stehende Altersheim denn nicht noch gerettet werden wird. Die Eberbacher wünschen sich das. Allerdings fehlen noch viele Spenden.



