Bauschutt Kernkraftwerk Obrigheim: Nun sind mehr Kontrollen erforderlich
Landesweite Handlungsanleitung zur Entsorgung von freigemessenem Bauschutt fertiggestellt - Lückenlose Überprüfung der Freimessungen

Auf dem Deponiegelände wird der Betonmüll des im Rückbau befindlichen Atommeilers Obrigheim eingebaut werden. Eine landesweit einheitliche Handlungsanleitung des Landkreis- und Städtetages mit einheitlichen Sicherheitsstandards ist nun erarbeitet worden. Unsere Aufnahme zeigt den Bau der Basisabdichtung des neuen Verfüllabschnitts VA8 auf einer Fläche von ca. 1,5 Hektar. Foto: AWN
Von Alexander Rechner
Buchen. Der Betonmüll aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim (KWO) wird auf der Deponie Sansenhecken abgeladen werden. Dies ist nun klar. "Die rechtliche Seite ist eindeutig: Wir sind entsorgungspflichtig", sagte Dr. Mathias Ginter, Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft des Kreises (AWN). Wann jedoch der erste Laster mit seiner Fracht aus Obrigheim vor der Buchener Deponietüre stehen wird, kann er derzeit nicht sagen. Die EnBW als Besitzer des abgeschalteten Reaktors muss hierzu erst eine Anfrage bei der Mülldeponie stellen. Und eine solche liegt im Moment nicht vor, wie Ginter gestern in einer Pressekonferenz in Buchen darlegte.
Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) wies in einer Pressemitteilung erneut "auf die klare Rechtslage" hin. "Demnach sind die Kreise verpflichtet, auf ihren Deponien freigemessene Abfälle anzunehmen und zu lagern", heißt es in der Mitteilung. Im amtsdeutschen Jargon als "freigemessen" gilt ein Bauschutt, bei dem eine Prüfung ergeben hat, dass die Strahlung innerhalb der Grenzwerte liegt.
Hintergrund
Dezember 2012: Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen, fragt nach, warum Rückbaumaterial vom KWO in Sinsheim und nicht im zuständigen Buchen eingelagert wurde (rund 100 Tonnen).
Juli 2013:
Dezember 2012: Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Grünen, fragt nach, warum Rückbaumaterial vom KWO in Sinsheim und nicht im zuständigen Buchen eingelagert wurde (rund 100 Tonnen).
Juli 2013: Schreiben von Landrat Achim Brötel an Umweltminister Franz Untersteller mit dem Wunsch nach einer Moderation dieses Prozesses. / Antwortschreiben Untersteller: Eine Moderation wird nicht als notwendig angesehen.
Oktober 2013: Pressegespräch der Bürgerinitiative "Bigmueg".
November 2013: Öffentlicher Vortrag im AWN-Gebäude. / Schreiben von Brötel an Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Dezember 2013: Gemeinderatssitzung in Buchen. Rat sprach sich einstimmig gegen die Annahme von Rückbaumaterial aus Obrigheim aus. / Schreiben von Ministerin Silke Krebs, auch im Namen von Kretschmann, an den Landrat Brötel.
Januar 2014: Bürgerinitiative übergibt rund 2000 Unterschriften "gegen die Einlagerung von Rückbaumaterial in Buchen".
August 2015: Vorstellung der Handlungsanleitung.
Der Landkreis mit Landrat Achim Brötel an der Spitze und die kreiseigene AWN setzten in der Vergangenheit auf eine landesweit einheitliche Regelung mit einheitlichen Sicherheitsstandards. Intensiv arbeitete man daran, eine solche standortunabhängige Lösung auf den Weg zu bringen. Und diese Regelung gibt es nun: Eine sogenannte Handlungsanleitung für den Umgang mit den Abfällen aus dem Abriss von Atomanlagen ist fertiggestellt.
Sie wurde unter Federführung des Landkreis- und Städtetages unter Mitwirkung der Deponieexperten und dem Umweltministerium Baden-Württemberg als die zuständige atomrechtliche Aufsichtsbehörde erarbeitet. Darin geht es auch um Sicherheitsstandards. So sollen nur die Abfälle auf der Mülldeponie angenommen werden, die als freigemessen gelten.
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Als einen "Quantensprung" und einen "deutlichen Fortschritt in Sachen Sicherheit" bewertete der Geschäftsführer, dass nun die Freimessung des Bauschutts zu 100 Prozent kontrolliert und überprüft wird. Die atomrechtliche Aufsichtsbehörde, das Umweltministerium in Stuttgart, beauftragt einen Sachverständigen, der diesen Vorgang der Freimessung vollständig kontrolliert.
Zudem kann die AWN selbst tätig werden und ihrerseits einen eigenen Sachverständigen hinzuziehen, der diesen Vorgang stichprobenartig überprüft. "Davon werden wir auch Gebrauch machen und einen Experten nach Obrigheim schicken", betonte Ginter. Der Geschäftsführer richtete seinen Blick kurz in die Vergangenheit: "Früher sollten nur zehn Prozent der Vorgänge überprüft werden".
Der AWN-Chef weiß um dieses sensible Thema. Es geht um Vertrauen und Ängste. "Wir haben versucht, dem Rechnung zu tragen, und uns dafür eingesetzt, dass die Sicherheitsstandards mit dieser Handlungsanleitung nochmals angehoben wurden." Obwohl er den Müll für unbedenklich hält.
Dabei sei der AWN Transparenz wichtig. Mathias Ginter möchte weiter um das Vertrauen der Menschen werben. Die AWN hat hierzu auch Christian Küppers zu Hilfe geholt, einen Experten für Nuklearsicherheit des Darmstädter Öko-Instituts. Er begleitet die AWN mit seinem Fachwissen in diesem Prozess und unterstrich gestern: "Ein Vorgehen nach dieser Handlungsanleitung trägt nochmals dazu bei, die Risiken für die Anwohner und für die Beschäftigten der Deponie zu reduzieren."
So werden die Betonreste in verschlossenen Big-Bags angeliefert, die zudem verplombt sind. Ferner wird die Anlieferung auf ein Zeitfenster von jeweils wenigen Tagen im Jahr konzentriert. Und rund 3000 Tonnen Bauschutt fallen dem Experten zufolge über die Rückbauphase an, die auf der Deponie Sansenhecken entsorgt werden sollen.
Im Gespräch wurde der ANW-Chef nicht müde zu betonen, dass man mit Nachdruck alternative Entsorgungswege geprüft habe. Dabei machte er keinen Hehl daraus, den Schutt hätte man aus Sicht der AWN auch anderswo lagern können – in den Salzstollen in Heilbronn. Dort wurden in der Vergangenheit schon große Massen an Bauschutt aus dem Rückbau der Brennelementfabriken in Hanau eingelagert, wie Küppers sagte.
Jedoch pocht das Land Baden-Württemberg auf die Entsorgung der freigemessenen Abfälle in Buchen. Das bedeutet: Die Betonreste aus Obrigheim müssen nach Buchen.
Der Landesminister hat gestern die Vereinbarung zwischen Landkreistag, Betreiber und Atomaufsichtsbehörde erarbeitete Handlungsanleitung als eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme begrüßt. "Mit dieser schaffen wir Transparenz und ein Mehr an Kontrolle im Sinne der Bürger", betonte Untersteller.
Diese Handlungsanweisung ist jedoch kein Gesetz. Dennoch ist man bei der AWN fest davon überzeugt, dass alle Beteiligten sich an dieses Konsenspapier halten werden. "Es wird von allen getragen", betonte AWN-Bereichsleiter Thomas Gambke, der die Deponie Sansenhecken bei den Beratungen des Papiers vertrat.
Unmissverständlich äußerte sich der AWN-Chef dazu: "Für uns ist die Handlungsanleitung die Grundlage des Handelns. Und der Bauschutt, der nach diesen Kriterien nicht behandelt wurde, nehmen wir nicht an." Thomas Gambke ergänzte, dass kein Freimessungsbescheid erteilt werden könnte, wenn die Betonreste nicht lückenlos überprüft wären.
Diese Handlungsanleitung bewertete der Umweltminister als nicht selbstverständlich. "Damit gehen wir weiter als gesetzlich vorgeschrieben, aber wir schaffen damit eine Basis, um Konflikte im Umgang mit Abfällen aus dem Rückbau kerntechnischer Anlagen zu vermeiden", so Franz Untersteller.
Die Betonteile, die derzeit in Big-Bags oder Container vor Ort in Obrigheim gelagert würden, müssten ebenfalls nochmals vollständig überprüft werden, unterstrich der AWN-Chef. Zudem werden die Protokolle des freigemessenen Bauschutts aus dem Meiler von Obrigheim, der in Buchen eingelagert werden soll, bei der AWN archiviert.
Zufrieden darüber, dass der Bauschutt nun doch nach Buchen kommt, war Mathias Ginter nicht, aber er betonte: "Wir haben ein Höchstmaß an Sicherheit für die Bürger verankert, wesentlich mehr als zu Beginn vor rund zwei Jahren."



