"Pocket Orchestra" begeisterte mit englischer Streichermusik
"Kleines Format, große Wirkung" lautete das Motto bei der "Musik zur Blauen Stunde".

Von Wolfram Link
Aglasterhausen. Die sommerliche Konzertreihe "Musik zur Blauen Stunde" kommt hervorragend an, sowohl beim Publikum als auch bei den ausführenden Künstlern, die die besondere Atmosphäre schätzen. Auch am vergangenen Sonntag hatte das Mosbacher "Pocket Orchestra" wieder eine große Zuhörerschaft nach Aglasterhausen in die alte katholische Kirche gelockt.
Während die meisten Streichquintette mit zwei Celli oder zwei Bratschen besetzt sind, hat dieses Ensemble zusätzlich zur üblichen Quartettbesetzung einen Kontrabass am Start und repräsentiert damit alle fünf Streicherstimmen im Orchester. Das erlaubt es ihm, neben Originalwerken für Quintett auch Stücke zu spielen, die eigentlich für ein ganzes Orchester geschrieben wurden. Die Transparenz und kammermusikalische Flexibilität, die diese Werke in der solistischen Ausführung gewinnen, finden die fünf Musiker besonders spannend und experimentieren gerne mit den subtilen Klangfarben des kleinen Formats.
Ein (fast) rein englisches Programm hatten Pia Geimer und Annelies Lukas (Violine), Volker E.E. Daub (Viola), Bernard Lukas (Cello) und Friederike Lagler (Kontrabass) für diese "Blaue Stunde" mitgebracht: Los ging es mit den "Lachrimae or Seven Teares" von John Dowland (1563 – 1626), die ursprünglich für fünf Gamben komponiert wurden. Drei der melancholischen Lachrimae-Pavanen, aufgelockert durch flotte, tänzerische Sätze erklangen hier als Auswahl aus der Sammlung, die ihren Namen Dowlands sicher berühmtesten Lautenlied "Flow my Tears" verdankt.
Dessen Melodie klingt unverkennbar in der ersten Pavane an und bildete ganz leise und mit Dämpfer gespielt den Auftakt zu einem abwechslungsreich und durchdacht zusammengestellten Programm. Nach der englischen Renaissance folgte ein Abstecher in den englischen Barock mit einer Suite aus der Oper "The Fairy Queen" von Henry Purcell (1658-1695). Deren zehn kurze Sätze sind ein wunderschönes Beispiel für die sprühende Fantasie dieses überaus einfallsreichen Komponisten.
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Das Ensemble spielte bis auf den Cellisten Bernard Lukas im Stehen, was besonders bei den tänzerischen Sätzen für einen sehr lebendigen Kontakt zwischen den einzelnen Musikern und eine schöne Geschlossenheit als Ensemble sorgte.
Das folgende "Andante grazioso" – ein spannungsgeladener Variationensatz, angeführt vom Cello – war dann wieder eine Originalkomposition aus der Feder von George Onslow (1784–1852). Der Komponist war von englisch-französischer Abstammung, lebte und wirkte aber hauptsächlich in Frankreich. Als begabter Kammermusik-Komponist stand er jedoch im Schatten seines großen Zeitgenossen Beethoven, weil das Publikum damals vor allem sinfonische Musik hören wollte.
Also ging Onslow den entgegengesetzten Weg vom Westentaschen- zum Sinfonie-Orchester und arbeitete einige seiner über 30 Streichquintette zu Sinfonien um. Nachdem er nach seinem Tod ein wenig in Vergessenheit geraten war, wurde seine Kammermusik in den letzten Jahren wiederentdeckt und steht heute in einer Reihe mit den Romantikern Mendelssohn und Schubert.
Charles Hubert Hastings Parry (1848 – 1918) wird nicht ohne Grund auch "der englische Brahms" genannt, seine "Lady Radnor’s Suite" gehört zu den interessantesten Suiten für Streichorchester überhaupt. Wie bei Edvard Griegs "Holberg-Suite" entsprechen die Sätze der barocken Tanzfolge, die Musik selbst hat aber eine ganz und gar romantische Tonsprache, wobei Parry dabei zuweilen die Hörerwartungen gegen den Strich bürstet. In der "Pocket Orchestra"-Version zeigte die schwungvolle Suite eine wunderschöne Eleganz und Luftigkeit.
Die hohe rhythmische Präzision, aber vor allem die ansteckende Spielfreude und das stimmige Miteinander im Zusammenspiel zeigten eindrucksvoll, wie gut diese Truppe, die ansonsten regelmäßig im Mosbacher VHS-Kammerorchester in größerer Formation musiziert, auch als Kammermusik-Ensemble funktioniert. Als Zugabe bekam das begeisterte Publikum noch einmal ein Stückchen englische Romantik mit auf den Heimweg, das charmante "Menuett" aus John Irelands "Downland-Suite".