Goldener Hirsch als Symbol für Menschlichkeit
Das Gasthaus war für Geflüchtete erste Station in Oftersheim - Bürgermeister und ehrenamtliche Helfer erinnern sich

Im Gasthaus zum Goldenen Hirsch befand sich die Erstunterbringung von Oftersheim. Seit August steht das Haus leer. Foto: Lenhardt
Von Stefan Kern
Oftersheim. Das Reden über gelungene Ansätze bei der Integration von Geflüchteten steht derzeit immer ein wenig unter dem Verdacht der Schönfärberei. Der Oftersheimer Bürgermeister Jens Geiß ist sich dessen bewusst und weit davon entfernt, alles schön zu reden: "Es gibt Probleme und nicht alles läuft wie im Bilderbuch." Aber diese Formulierung bedeutet eben auch, dass es Erfolgsgeschichten von Menschen gibt, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind und nun beginnen, sich in Deutschland einzuleben.
Die Deutsch gelernt haben und nun eine Schule besuchen oder eine Ausbildung begonnen haben. Genau für diesen Aspekt der Flucht- und Integrationsgeschichte steht symbolisch das Gasthaus zum Goldenen Hirsch. Wobei Geiß betont, dass dieses erfreulichen Kapitel in der Oftersheimer Willkommensgeschichte großteils den ehrenamtlich Engagierten des Asylkreises Oftersheim zu verdanken ist: "Ohne sie wäre das alles so nicht möglich gewesen."
Absehbar war diese Entwicklung nicht. Zu Beginn der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 standen viele Zeichen auf Besorgnis, wenn nicht gar Abwehr. Die Erstunterbringung wurde in einer Halle im Gewerbegebiet eingerichtet. Bei einer Informationsveranstaltung für Bürger prallten damals Zuversicht und Besorgnisse aufeinander. "Die Stimmung war aufgeheizt", erinnert sich der Bürgermeister. In Bezug auf die Gewerbehalle waren die Besorgnisse nicht ganz unberechtigt.
Für Heidi Joos vom Asylkreis war die Unterbringung in der Halle als mindestens suboptimal. Die engen Räumlichkeiten ohne jede Privatsphäre wirkten sich auf die Stimmung nicht gerade förderlich aus. "Das hat mit der Herkunft der Menschen nur wenig zu tun. Viele junge Menschen so eng unterzubringen, fördert Konfliktpotenziale."
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Ganz anders waren die Bedingungen in der ehemaligen Gaststätte Goldener Hirsch. Den Familien konnten eigene Bereiche zugewiesen werden, in denen ein Mindestmaß an Privatsphäre gewährleistet war. In der Hochzeit lebten dort 70 Menschen. Im Schnitt waren zwischen 45 und 50 Menschen untergebracht. Angela Merkels Credo "Wir schaffen das", schien im Goldenen Hirschen möglich.
Der Asylkreis bot den Menschen Hilfe an. Deutsch-, Schwimm- und Computerkurse, Hausaufgabenbetreuung, Sportaktivitäten mit dem TSV Oftersheim und Ausflüge. Viel Zeit habe allerdings die Bürokratie in Anspruch genommen, erinnern sich Heidi Joos und ihre Mitstreiterin Gertrud Demel. Behördengänge, Arztbesuche oder Kindergarten und Schule - ohne die Hilfe der damals rund 120 Asylkreismitglieder wäre da nicht viel gelaufen.
Die Deutsche Bürokratie ist schon für Deutsche manchmal eine Herausforderung. Für Ausländer stellte sie dagegen eine beinah unüberwindliche Barriere dar. Doch die Verwaltung habe viel Entgegenkommen gezeigt. "Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde war beseelt von dem Gedanken gemeinsam Lösungen zu finden", betonte Joos.
Dem Rhein-Neckar-Kreis stellt sie dagegen nicht das allerbeste Zeugnis aus. Gerade im "Hirsch" sei die Sozialbetreuung von Landkreisseite auf ein Minimum reduziert gewesen. Dazu habe es sicher keine offizielle Anweisung gegeben. Aber in Oftersheim klappte alles Dank des Asylkreises einigermaßen. deshalb habe sich der Landkreis wohl auf andere Unterkünfte konzentriert, vermutet Joos. Aber dass sei Schnee von gestern: "Heute können wir sagen, dass wir dabei helfen konnten, den Menschen einen Weg in unsere Gesellschaft zu eröffnen."
Natürlich lief dabei auch nicht immer alles glatt, beispielsweise bei den Deutschkursen. Bei den Kindern gab es da kaum Schwierigkeiten, aber bei den Erwachsenen erwies sich der Weg ins Deutsche manchmal als sehr mühsam. "Man darf nicht vergessen, dass Deutsch eine schwer zu erlernende Sprache ist und dass einige Geflüchtete sicher auch traumatisiert waren", erzählt Gertrud Demel. Viel wurde über das Grauen des Kriegs und die Flucht nicht geredet. Doch war klar, dass viele Geflüchtete schlimme Bilder in sich tragen.
Trotzdem ging es für voran. Die neuen Bürger leben heute so weit als möglich selbstständig in Wohnungen, lernen weiter Deutsch und haben einen Ausbildungsplatz. "Über die Patenschaften sind wir aber natürlich nach wie vor in der Nähe." Den Eindruck, dass sie nur gegeben haben, wehren die Drei dabei schnell ab. "Das soziale Miteinander ist immer ein Geben und Nehmen." Auch wenn das Machtgefälle von Heimat zu Fremde auf den ersten Blick etwas anderes suggeriert. "Nicht nur wir bedeuten eine Bereicherung für sie, sie bedeuten auch eine Bereicherung für uns", sagt Heidi Joos unmissverständlich.
Seit August steht der "Hirsch" leer, der Landkreis hat jedoch einen Zehn-Jahres-Mietvertrag abgeschlossen und zahlt noch bis 2026. Deshalb stellt das Gebäude für Geiß eine Option dar, wenn es um die Anschlussunterbringung von Geflüchteten geht. Für die ist nämlich die Kommune zuständig. Dann könnte die Gemeinde als Untermieter des Kreises fungieren. Allerdings wäre diese Option für den Bürgermeister nur der letzte Ausweg, denn sie steht dem Leitsatz der dezentralen Unterbringung entgegen. Bis jetzt, erklärte Geiß, sehe er die Notwendigkeit nicht. Aktuell befinden sich 150 Geflüchtete in der kommunalen Anschlussunterbringung von Oftersheim.



