Die Schadstoffe sind in sämtlichen Wänden zu finden
Stadträte bekamen vor Ort Eindruck von den Sanierungsarbeiten. Der künftige OB Specht pocht auf Kostenkontrolle.

Von Alexander Albrecht
Mannheim. Das Nationaltheater ist den Mannheimer lieb und teuer – völlig aus dem Ruder laufen sollen die Kosten bei der Sanierung des unter Denkmalschutz stehenden Traditionshauses freilich nicht. Aktuell gehen die Planer von 247 Millionen Euro aus, Bund und Land haben bereits zugesagt, 120 Millionen Euro zu übernehmen. Bei einem Projekt dieser Größenordnung – "der größten städtebaulichen Maßnahme seit den 50er-Jahren", so Oberbürgermeister Peter Kurz – tauchen immer Probleme auf, auch unerwartete.
Die vor einem Jahr begonnene "OP am offenen Herzen" ist ins Stocken geraten. Bei einem Baustellenrundgang mit dem scheidenden Stadtoberhaupt und (nur wenigen) Stadträten zeigt Architekt Marcus Augsburger auf dem angrenzenden Goetheplatz eine große Grube. Diese musste von einem riesigen explosionssicheren Bagger aufgegraben, der Boden auf Kampfmittel untersucht werden.
Zudem sorgen Schadstoffe im Gebäude für Verzögerungen: Asbest, langlebige chlorierte Kohlenwasserstoffe, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und einige mehr. "Die kamen beim Öffnen der Wände überall hervor", sagt Augsburger, der im Auftrag der Stadt die Generalsanierung organisiert und managt.
Deshalb müssen teilweise die Räume nacheinander mit Folien sicher abgeklebt, dann Unterdruck erzeugt und all das Material entfernt werden. Dieses wiederum lagert in Fässern und schweren Foliensäcken, muss fachgerecht entsorgt und zu einer Spezialdeponie gebracht werden. Das alles geht ins Geld und kann dauern.
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Das auf fünf Jahre angelegte Sanierungsvorhaben steht ohnehin schon unter Druck, weil die Gesamtkosten auf mindestens rund 300 Millionen Euro wachsen werden. Darin eingerechnet sind das Probenzentrum Neckarau, der Neubau des Zentrallagers, die temporäre Auslagerung der Probebühnen sowie die Miete und der Bau von Interimsspielstätten. Zweiter Grund: Die Arbeiten wirbeln im wahrsten Sinne viel Staub auf und vermiesen den Anwohnern das Verweilen auf ihren Balkonen. Um die Belastung in der Luft einigermaßen erträglich zu halten, läuft auf der Baustelle eine Beregnungsanlage. Seinen Optimismus hat Kurz beim Ortstermin nicht verloren. "Ich bin sicher, dass dieses Projekt nicht entgleist", sagt er. Und zieht wie alle anderen Teilnehmer des Rundgangs zur Sicherheit einen Bauhelm auf.
Bei der Suche nach Kampfmitteln hätten die Detektoren bislang rund 100 Anomalien, also Verdachtspunkte, angezeigt, erklärt Augsburger. Gefunden worden sei lediglich Metallschrott. "Und ich hoffe, dass das auch so bleibt." Denn in diesem Fall müssten das Theresienkrankenhaus und das Uniklinikum wegen ihrer geringen Entfernung zum Theater aufwendig evakuiert werden. Bleiben soll der Weltkriegsbunker, der sich noch unter dem Goetheplatz befindet und saniert werden soll. Nur Teile davon, zum Beispiel die alte Zugangsrampe, müssen weg, um Platz zu schaffen für das geplante unterirdische Raumkonzept. So soll der Orchesterprobensaal zur Vergrößerung seines Volumens sechs Meter tiefer gelegt werden. Beim Rundgang dürfen die Teilnehmenden ganz vorsichtig auf die Einzelbaustelle spicken. Drei Meter haben die Bagger bereits geschafft.

An der Seite zur Goethestraße kommen im Untergrund ein neuer Chorprobensaal sowie ein Stimm- und Einsingzimmer hinzu. Am Friedrichsring sollen unter dem Platz dringend benötigte Werkstätten für die täglich anfallenden Arbeiten und Reparaturen entstehen. Eine oberirdische Erweiterung war aufgrund des Ensembleschutzes des 1957 im Bauhausstil eingeweihten Gebäudes wegen des Denkmalschutzes nicht möglich. Die neuen Räume müssen laut Augsburger alle nahe der Bühne sein, seien aber bislang viel zu beengt untergebracht gewesen – unter Verletzung von Brandschutz- und Arbeitsschutzvorschriften. Tageslicht erhalten sie über verglaste Lichthöfe. Daher werde der Theatervorplatz "künftig wesentlich weniger bespielbar sein", etwa bei Schillertagen oder Theaterfesten.
Der langjährige Kämmerer und baldige Oberbürgermeister Christian Specht will auf die Kostenentwicklung genau achten. Der CDU-Politiker kündigte im Wahlkampf an, keine unkontrollierten Steigerungen zu akzeptieren und für ein "engmaschiges Controlling" zu sorgen. Zusätzliche Ausgaben müssten an anderer Stelle der Generalsanierung ausgeglichen werden. Darüber herrscht weitgehend Konsens im Gemeinderat.




