Kampfmittel- und Schadstofffunde bringen Zeitplan in Gefahr
Momentan geht nicht viel. Der Orchesterprobensaal kommt unter die Erde.

Von Olivia Kaiser
Mannheim. Erd- und Schutthaufen türmen sich rund um das Nationaltheater, Eisenstangen und Kabel liegen herum, an der Vorderfront des Gebäudes stehen ein Bagger und ein Großbohrgerät. Die Sanierungsarbeiten am denkmalgeschützten Spielhaus und dem Goetheplatz laufen. Doch auf der Gebäudeseite, die dem ehemaligen Parkplatz zugewandt ist, tut sich derzeit nicht viel. Die Zwangspause hat einen gewichtigen Grund: Die Sondierungsbohrungen nach Kampfmitteln haben dort einige Verdachtsfälle ergeben.
"Jetzt muss untersucht werden, ob es sich bei den Anomalien lediglich um Bauschutt, Metallteile oder tatsächlich um Blindgänger handelt", erklärt Marcus Augsburger, Technischer Betriebsleiter der Generalsanierung. Er zeigt auf kleine Löcher im Boden, die ein bisschen aussehen wie Maulwurfshügel. "Das sind die Sondierungsbohrungen." An dem Friedrichsring zugewandten Teil des Goetheplatzes fanden solche Untersuchungen ebenfalls statt. Über 100 Verdachtsfälle gab es dort, die sich glücklicherweise nur als Metallschrott oder kleine Kampfmittel entpuppten.
Die Verdachtsfälle so nah am Gebäude machen ein Schutzkonzept nötig, das derzeit erstellt wird und in der nächsten Woche vorliegen soll. Augsburger hofft, dass sich alle Verdachtsfälle als harmlos erweisen, denn wenn in diesem Bereich tatsächlich eine Weltkriegsbombe entschärft werden muss, dann wäre es nötig, das nahe gelegene Theresienkrankenhaus zu evakuieren.

Das Spielhaus ist an dieser Stelle aufgebrochen, die Glasbausteine wurden entfernt. Dort entsteht eines der wichtigsten und aufwendigsten Projekte der Generalsanierung: der neue Orchesterprobensaal. Der alte Raum war zu klein, zu niedrig und entsprach nicht mehr den Vorgaben des Gehör- und Schallschutzes. Um den alten Orchesterprobensaal entsprechend zu vergrößern, wird sechs Meter tief in die Erde gegraben.
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"Der Saal wird mit neun Metern drei Meter höher als bisher und hat dann ein Volumen von knapp 4000 Kubikmetern", erklärt Architekt Andreas Schmucker vom Büro Schmucker & Partner. "Zum Vergleich: Der bisherige Saal hatte ein Volumen von 1300 Kubikmetern, gesetzlich vorgeschrieben sind mindestens 3000." Da das Spielhaus in diesem Bereich nicht mehr unterkellert ist, müsse das Gebäude "komplett unterfangen" werden. Dazu werde eine Betonemulsion mit Hochdruck in den Untergrund eingepresst, erklärt Schmucker.
Die akustischen Anforderungen sind zudem äußerst komplex: Der Raum muss die Voraussetzungen für die Proben eines Orchesters mit über 100 Musikerinnen und Musikern genauso erfüllen wie für ein kleines Kammerorchester. Schallschutz nach außen sowie nach innen für den Rest des Hauses muss gegeben sein. Dazu sind reflektierende Flächen, Dämpfungselemente und natürlich eine entsprechende Tontechnik nötig. Für die Konzeption wurde ein auf Theaterbau spezialisiertes Akustikbüro aus Belgien beauftragt.
Normalerweise bekommen Zuschauer den Orchesterprobensaal nicht zu Gesicht, im Zuge des Umbaus entsteht jedoch eine Galerie, sodass man von oben in den Saal schauen kann. Auch andere Räume, im Bestand bislang meist fehlende, werden in die Tiefe gegraben: Stimm- und Einsingzimmer, Chorprobensaal, Büros sowie Werkstatt- und Aufenthaltsräume. Am Ende erstreckt sich das Theater unterirdisch über den ganzen Goetheplatz – außer dort, wo sich der Weltkriegsbunker befindet. Ein unterirdischer Gang wird die Areale miteinander verbinden. Insgesamt fünf Lichthöfe, die auch der natürlichen Belüftung dienen, sind geplant.

Andreas Schmucker (links) und Marcus Augsburger vor der Baustelle des Nationaltheaters. Foto: Alfred Gerold
Um die Ausdehnung unter der Erde möglich zu machen, kam der Großbohrer ins Spiel. Mit dem 130 Tonnen schweren und 35 Meter hohen Baugerät wurden Stahlträger für den Baugrubenverbau in den Boden gebohrt. Jede Menge von ihnen ragen aus dem Erdreich um das Nationaltheater. "Dieser Teil der Arbeiten ist abgeschlossen", erläutert Augsburger. Demnächst werde das Bohrgerät abtransportiert.

Sorgen bereiten ihm und Schmucker jedoch die in der bestehenden Bausubstanz entdeckten Schadstoffe. Man habe zwar im Vorfeld viele Untersuchungen gemacht, doch das Ausmaß ist größer als erwartet. "Dass Schadstoffe in gebundener Form in den Abbruchmaterialien enthalten sind, war keine Überraschung", so Augsburger. "Solange das bei normaler Nutzung nicht zerstört wird, besteht keine Gesundheitsgefahr." Allerdings wurde selbst für den Gutachter überraschend nun auch PCB in Anstrichen gefunden, die Abkürzung steht für Polychlorierte Biphenyle. Dabei handelt es sich um organische Chlorverbindungen, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. "Durchgeführte Messungen haben Konzentrationen weit unter den zulässigen Grenzwerten ergeben. Trotzdem muss belastetes Material nun aufwendig entsorgt werden", erklärt Augsburger.

Eine weitere Überraschung versteckte sich in den Lüftungssystemen des Opern- und des Schauspielhauses, die sich in den Podesten jeweils unter den Sitzreihen befinden. Als im Opernhaus zwei Stühle ausgebaut wurden – die Theaterstühle werden allesamt restauriert und aufgepolstert, denn sie stehen wie das Gebäude unter Denkmalschutz – entdeckte man in den Lüftungsauslässen der Druckböden einen Aufdruck mit dem Wort "Eternit". Für die Herstellung von Faserzement – auch als Eternitplatten bezeichnet – verwendete man früher ebenfalls Asbest. Das sei in diesem Fall zwar auch gebunden und daher in der bisherigen Nutzung ungefährlich, so Augsburger. Raus müsse es nach der Entdeckung natürlich dennoch.
Die vermehrten Schadstoff- und Kampfmittelfunde führen höchst wahrscheinlich zu Verzögerungen bei den Arbeiten. Ende Mai will das Architekturbüro einen aktualisierter Zeit- und Kostenplan vorlegen.




