Ohne Sanierung fällt 2022 der letzte Vorhang
Neubau ist vom Tisch - Finanzierung nach wie vor unklar

So soll der Vorplatz mit dem in den Boden eingelassenen Orchesterprobensaal aussehen. Illustration: Stadt Mannheim
Von Olivia Kaiser
Mannheim. Dass es so dramatisch steht, war einigen Besuchern des von der lokalen Zeitung "Mannheimer Morgen" veranstalteten Bürgerforums zur anstehenden Sanierung des Mannheimer Nationaltheaters wohl nicht klar. Als Oberbürgermeister Peter Kurz erklärte, dass die Betriebsgenehmigung zum 31. Dezember 2022 erlischt und bei den schwerwiegenden Mängeln, was Brandschutz und Arbeitssicherheit angeht, auch nicht wieder erteilt wird, ging ein leichtes Raunen durchs Publikum.
Etwa 600 theaterinteressierte Bürger kamen am Donnerstagabend ins Schauspielhaus, um sich über die Zukunft ihres Nationaltheaters zu informieren und Fragen zu stellen.
Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten: Neubau, Erweiterung und Sanierung. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass alle Erweiterungsvarianten nicht tragbar seien, so Kurz. Ein Ergänzungsgebäude im Unteren Luisenpark sei ebenso verworfen worden, wie ein weiteres Gebäude direkt vor dem Nationaltheater.
Hintergrund
Das Mannheimer Nationaltheater wurde 1777 von Kurfürst Carl Theodor gegründet und befand sich auf dem heutigen Schillerplatz in B 3. Ein erster Meilenstein war die Uraufführung von Friedrich Schillers Drama "Die Räuber" im Jahr 1782. Das ursprüngliche Hof- und Nationaltheater
Das Mannheimer Nationaltheater wurde 1777 von Kurfürst Carl Theodor gegründet und befand sich auf dem heutigen Schillerplatz in B 3. Ein erster Meilenstein war die Uraufführung von Friedrich Schillers Drama "Die Räuber" im Jahr 1782. Das ursprüngliche Hof- und Nationaltheater ging im Jahr 1839 in städtische Verantwortung über und ist somit das erste kommunale Theater Deutschlands. Eine Gruppe von Bürgern leitete das Haus.
Darin begründet sich die besondere Beziehung der Mannheimer zu ihrem Theater. Das ist aber auch der Grund, weshalb sich die Finanzierung der Sanierung so schwierig gestaltet. Anders als bei den Staatstheatern in Karlsruhe und Stuttgart steht das Land nicht in der Pflicht.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Theater zerstört. Deshalb entstand 1957 nach Plänen des Architekten Gerhard Weber ein Neubau am Goetheplatz. Heute steht das Mannheimer Nationaltheater unter Denkmalschutz. Eine Besonderheit für Schmucker ist die demokratische Innenarchitektur. "Auf allen Plätzen ist die Sicht gut, das ist nicht in jedem Theater der Fall." So verzichtete Weber auf Theaterlogen oder luxuriösere Sitzvarianten für Besserzahler. Dabei handelt es sich laut Andreas Schmucker um "herausragende Theaterarchitektur der Nachkriegszeit". Deshalb täte ihm und auch Opernintendant Albrecht Puhlmann ein Abriss in der Seele weh.
2012 hat das Nationaltheater sein Angebot mit der Bürgerbühne und der Jungen Bürgerbühne erneut erweitert. Seit 2013 wird das Haus von einem fünfköpfigen Direktorium des Eigenbetriebs Nationaltheater geleitet. Die einzelnen Sparten, Oper, Schauspiel, Tanz und Junges Nationaltheater, sind mit eigenen Intendanten vertreten, hinzu kommt der geschäftsführende Intendant. (oka)
Einige Mannheimer favorisieren einen Neubau, so wie bei der Kunsthalle. Man könne beide Häuser nicht vergleichen, betonte der geschäftsführende Intendant, Marc Stefan Sickel. Schon allein die Kosten seine um ein Vielfaches höher - nämlich 380 Millionen im Gegensatz zu 70 Millionen Euro bei der Kunsthalle - wie Kurz hinzufügte. Zudem steht das Gebäude unter Denkmalschutz, die Hürden für einen Abriss sind deshalb überaus hoch.
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Einen Neubau an andere Stelle, wie beispielsweise im Untere Luisenpark oder auf dem Grundstück des Collini Centers, böten nicht den erforderlichen Platz. Bleibt also nur die Sanierung, und die muss an einem Stück passieren. "Eine Abschnitt-Sanierung ist in diesem Fall nicht zu machen", betonte Architekt Andreas Schmucker, der für die Stadt eine Entwurfsplanung gemacht hat.
Vom Dachboden bis zum Keller hat Andreas Schmucker das Gebäude genau begutachtet. Dabei stellte er fest, dass die zuvor veranschlagten 185 Millionen Euro nicht ausreichen, mittlerweile geht man von 200 Millionen Euro aus. Zunächst standen sogar 220 Millionen Euro im Raum, doch bei der Planung wurden ein paar Abstriche gemacht.
"Nicht, was Brandschutz oder Technik betrifft", stellte der Architekt klar. Allerdings habe man sich entschlossen, die Anschaffung eines Orchesterzimmers (Bühnenaufbau, der für Aufführungen von Sinfoniekonzerten in Opernhäusern benutzt wird) zunächst zurückzustellen.
Das Haus ist zwar ohne Zweifel in die Jahre gekommen, allerdings zeigte sich der Architekt überaus beeindruckt von der Struktur: "Es ist ein Haus, das auch nach 60 Jahren noch überzeugt, und ein epochemachender Theaterbau, der heute noch Vorbildcharakter hat."
Deshalb ist auch nicht vorgesehen, an der Struktur etwas zu verändern. Opern- und Schauspielhaus bleiben in ihrer Dimension und Anordnung unangetastet. Sogar das Design der Stühle, die auf einer Stahlstütze stehen, wird beibehalten.
Auch die Räumlichkeiten hinter der Bühne, wie die Maskenzimmer, werden nicht verändert. Bei der Generalsanierung geht es vor allem darum, das Gebäude zu modernisieren, so dass es den heutigen Standards in Sachen Brandschutz und Sicherheit entspricht.
Hintergrund
Die Entwurfsplanung von Andreas Schmucker sieht sechs Bereiche vor:
Foyer: Es soll ein offenes Foyer mit Kassenbereich entstehen.
Glasfoyer: dort soll eine funktionierende Gastronomie
Die Entwurfsplanung von Andreas Schmucker sieht sechs Bereiche vor:
Foyer: Es soll ein offenes Foyer mit Kassenbereich entstehen.
Glasfoyer: dort soll eine funktionierende Gastronomie entstehen.
Opernhaus und Oberes Foyer: bleibt in Struktur bestehen.
Schauspielhaus und Oberes Foyer: bleibt in Struktur bestehen.
Orchesterprobensaal: Der Schalldruck des alten Orchesterprobensaals ist nicht mehr zulässig. Für einen Raum, der den heutigen Anforderungen entspricht (400 Quadratmeter groß und zehn Meter hoch) ist kein Platz im bestehenden Gebäude. Deshalb schlägt Schmucker vor, ihn vor dem Theater im Boden zu versenken.
Außenbereich: Das Umfeld soll laut Schmucker dem Bau mehr Rechnung tragen. Vor allem der Parkplatz wird neu strukturiert, aber so, dass nur wenige Parkplätze wegfallen.
Andreas Schmucker schätzt, dass die Sanierung vier Jahre dauern wird. "Es geht in jedem Fall weiter", betont Marc Stefan Stickel: "Wir entlassen unser Ensemble nicht oder schicken das Orchester auf Tournee." Tanz und Schauspiel finden im ehemaligen Kino im Benjamin-Franklin-Village ein neues Domizil. So eine Eins-zu-eins-Lösung gibt es für die Oper nicht.
Opernintendant Albrecht Puhlmann sieht für seine Sparte in einer dezentralen Strategie eine Chance, um Neues auszuprobieren. So könnten gerade barocke Werke im Rokoko-Theater in Schwetzingen gezeigt werden, für die experimentelle Oper böte sich eine Zeltlösung an, und dann gibt es noch das Tanzhaus in Käfertal und das Probenzentrum in Neckarau.
Zudem könnte die Oper auch im Ludwigshafener Pfalzbau unter kommen, erste Gespräche mit der Stadtspitze hat es bereits gegeben, wie Peter Kurz berichtete. Allerdings resultierte das Ansinnen in Ludwigshafen in der Besorgnis, das eigene Profil zu verlieren. "Der Pfalzbau ist zwar ein Theater ohne eigenes Ensemble, hat sich aber einen Ruf für hervorragende Gastspiele erarbeitet und hat ein eigenes Festival", erklärte Puhlmann.
In Mannheim hofft man jedoch auf die Gastfreundschaft und darauf, dass zumindest ein paar Produktionen im Pfalzbau laufen könnten. Ob auch Heidelberg eine Option sei, wollte eine Bürgerin bei der Fragerunde wissen. "Heidelberg hat ein eigenes Ensemble und ist deshalb außen vor", so Puhlmann.
"Wann die Sanierung beginnt, ist noch unklar", lautete die Antwort des Oberbürgermeisters auf die Frage eines Bürgers, wann es losgeht. "Das hängt von der Finanzierung ab." Sicher ist allerdings, dass spätestens 2022 der Auszug erfolgen müsste. "Die Stadt kann die 200 Millionen Euro nicht aufbringen, und diese Summe wäre der Stadtgesellschaft auch nicht vermittelbar", so Kurz.
"Deshalb müssen Land und Bund einspringen." Kulturministerin Theresia Bauer (Grüne) saß unter den Zuschauern, hatte jedoch nur ihre Platzkarte und keinen Scheck in der Hand. Für jedes Jahr, das die Sanierung ab 2022 nach hinten verschoben werde, müsse man zehn Millionen Euro hinzu rechnen, gab Schmucker zu bedenken. "Was passiert, wenn es keine Unterstützung gibt?", fragte ein Bürger.
Dann bliebe wohl nichts anderes übrig, als die Mannheimer zu mobilisieren, nach Stuttgart und Berlin zu fahren und dort zu demonstrieren, bemerkte Kurz schmunzelnd - doch nicht ohne Ernsthaftigkeit.