Sechs Monate nach der Ludwigshafener Gasexplosion ist das Unglück noch sehr präsent
Die Ursache der gewaltige Explosion in dem Wohnviertel bis heute unklar. "Diesen Knall werden wir nicht vergessen", sagen Anwohner.

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Von Jasper Rothfels
Ludwigshafen. Das versengte Verkehrsschild mit der kaum erkennbaren Bauarbeiter-Figur ist ein stummer Zeuge der tödlichen Gasexplosion. Es steht vor einem Wohnblock in Ludwigshafen, der am 23. Oktober in Ludwigshafen schwer beschädigt worden war. Nun ist das Gebäude fast wieder hergerichtet. Aber auch wenn immer mehr Schäden ausgebessert werden - in den Köpfen der Menschen hat das Unglück seine Spuren hinterlassen.
"Diesen Knall werden wir nicht vergessen, weil man so ein Geräusch nicht vergisst", sagt Maike Kaddatz. Die 50-Jährige gehört zu jenen Menschen, die damals die Katastrophe hautnah miterlebt haben. Deren Ursache ist auch ein halbes Jahr danach noch nicht bekannt.
Am Unglückstag hatten Arbeiter auf einem Brachgelände vor dem Wohnblock in der Jakob-Scheller-Straße eine Hochdruckgasleitung freilegen wollen. Sie war trotz der Arbeiten in Betrieb. Gegen Mittag erschütterte eine gewaltige Explosion das Viertel in der Nähe des BASF-Stammwerks. Ein Arbeiter war sofort tot, ein anderer starb Wochen später im Krankenhaus. 22 Menschen wurden verletzt, darunter zwei Kollegen der Getöteten. Zahlreiche Häuser wurden beschädigt. Die Hitze einer riesigen Flamme, die minutenlang Dutzende Meter hoch in den Himmel loderte, ließ noch in mehr als 100 Meter Entfernung Rollläden, Leuchtreklamen und Autoblinker schmelzen. Viele Anwohner gerieten in Panik und flüchteten.
Kurz nach dem Unglück begann die Suche nach Antworten. Die Arbeiter einer hessischen Firma hatten die Leitung ausgegraben, weil sie bei einer Kontrolle Unregelmäßigkeiten gezeigt hatte. Den Auftrag hatten sie vom Leitungsbetreiber Gascade, einem Gemeinschaftsunternehmen der BASF und des russischen Energieriesen Gazprom.
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Die Staatsanwaltschaft treibt die Frage um, welche Erkenntnisse nach der Kontrolle der Leitung an die Baufirma weitergegeben wurden und wie riskant die Arbeiten waren. Und ob die Leitung hätte abgesperrt werden müssen. Sie ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Brandstiftung und fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion gegen Unbekannt und hat einen Gutachter eingeschaltet. Wann die abschließenden Ergebnisse vorliegen, ist nicht bekannt.
Nach Einschätzung von Ortsvorsteher Udo Scheuermann (SPD) konnten inzwischen wieder alle Menschen in ihre Wohnungen zurück. Etwa 60 bis 70 Wohnungen im näheren Umfeld waren nach seinen Angaben beschädigt gewesen. Viele Bewohner hatten über Wochen anderweitig unterkommen müssen - weil die Explosion ihre Fenster eingedrückt und die Zimmer verwüstet hatte, weil es gebrannt hatte und die Fassaden aussahen, als hätten sie unter Beschuss gelegen.
Hilfsbereite Bürger spendeten rund 110 000 Euro. Davon bekamen jene 2000 Euro, die vorübergehend kein Heim hatten - "als Entschädigung", sagt Scheuermann. Der Versicherungskammer Bayern, dem größten Gebäudeversicherer in der Pfalz, wurden knapp 100 Schäden gemeldet. Die meisten betrafen nach Angaben von Sprecher Stefan Liebl Schäden an Wohnungen, in 17 Fällen waren Autos betroffen. "Das Gesamtschadensvolumen betrug bei uns 2,7 Millionen Euro", berichtet er.
Im einstelligen Millionenbereich liegt auch die Summe, mit der die Firma Gascade bislang geholfen hat. "Es gibt rund 3000 Geschädigte, die sich gemeldet haben", sagt Sprecherin Nicola Regensburger. In vielen Fällen gehe es um Autos, deren Lack von aufgewirbeltem Quarzsand oder von Feuerwehrschaum verschmutzt oder beschädigt worden sei. Ob Gascade darüber hinaus etwas zahlen muss - eventuell auch an Versicherungen - hängt wohl vom Ausgang der Ermittlungen und der Antwort auf die Frage ab, wer die Verantwortung trägt.
Nach Scheuermanns Einschätzung hat sich inzwischen alles wieder normalisiert. Die Verletzten seien wieder zu Hause. Aber: "Es ist schon wichtig, auch zu wissen, warum das so passiert ist", sagt er. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, soll es eine Bürgerversammlung geben, bei der darüber und über die Schadensregulierung gesprochen werden soll.
Für Maike Kaddatz, die in der Nähe des Unglücksortes ein Nagelstudio betreibt, ist der 23. Oktober noch nicht Geschichte - auch wenn das geschmolzene Ladenschild inzwischen ersetzt ist. "Das ist hier immer noch das Thema", sagt sie. "Allein schon, weil viele Schäden noch so sichtbar sind - und weil das dazugehört, so etwas zu bewältigen."



