Mannheimer Stadtteile

Herzogenried ist ein Viertel aus der Retorte

Die Hochhaussiedlung wurde als städtebauliche Entwicklungsmaßnahme 1975 aus der Taufe gehoben und ist ein Kind der Bundesgartenschau.

06.12.2020 UPDATE: 07.12.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden
Blick auf die typische Hochhausbebauung im Stadtteil Herzogenried, der viel Grün zu bieten hat. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Ein Park als Herzstück, ein Schwimmbad als blaue Lebensader – und zwischen all den Beton-Hochhäusern eine erstaunlich grüne Lunge. Der Stadtteil Herzogenried ist den meisten nur aufgrund der gleichnamigen Parkanlage sowie dem größten Freibad Mannheims ein Begriff. Sonst verirrt man sich eher selten in das Viertel in der Neckarstadt-Ost, wenn nicht gerade die "Mannheimer Mess" ansteht, man zur Polizeiwache oder gar ins Gefängnis muss. Von der Justizvollzugsanstalt bis zum Herzogenriedpark erstreckt sich das Wohnquartier. Und genau dort, im Park, beginnt auch seine Geschichte.

Hintergrund

> Fläche: 1,38 km2

> Einwohner: 7590

> Einwohner pro km2: 5439

> Altersschnitt: 41,4

> Migration: 61,9 Prozent

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> Fläche: 1,38 km2

> Einwohner: 7590

> Einwohner pro km2: 5439

> Altersschnitt: 41,4

> Migration: 61,9 Prozent

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Es ist ein Viertel aus der Retorte. Vom Reißbrett geplant, ein Kind der Bundesgartenschau. Die Hochhaussiedlung Herzogenried wurde als städtebauliche Entwicklungsmaßnahme anlässlich der Buga 1975 aus der Taufe gehoben. Bis zu 13-geschossige Hochhäuser aus Fertigbetonteilen wurde binnen drei Jahren aus dem Boden gestampft. Die Bebauung galt damals als bundesweites Modellprojekt für "Wohnen im Grünen". Dabei entstanden die für die 1970er Jahre so typischen Großwohnanlagen nach dem Vorbild der Berliner Gropiusstadt. Mit großen Betonbalkonen und einer noch größeren Anonymität. Der Durchgangsverkehr wurde aus dem Wohngebiet ausgeschlossen, dafür ein direkter Zugang zum Herzogenriedpark geschaffen.

"Damals galten sie wirklich als sehr modern, heute rufen diese Gebäude oftmals ein Stirnrunzeln hervor. Aber innen sind die Wohnungen gut und geräumig geschnitten", sagt Hans Georg Dech. Der Bezirksbeiratssprecher der SPD lebt seit 2005 im Herzogenried. "Am Anfang fremdelt man ein wenig mit der Umgebung. Der Stadtteil erschließt sich einem erst auf den zweiten Blick", so der Berufsschullehrer. Mittlerweile hat er den Herzogenried in sein Herz geschlossen.

Fast 8000 Menschen aus 127 verschiedenen Nationen leben in dem Stadtteil. Gerade die unzähligen Namen auf den Klingelschildern der Hochhäuser und das mögliche Aneinander-vorbei-Leben sind die offensichtlichen Problemzonen. Aber auch das Reizvolle für Politik, Vereine und soziale Träger, diese Anonymität in eine gemeinsame Identität, in einen Zusammenhalt zu verwandeln. Mit dem Quartiersmanagement wurde ab 2004 so etwas wie die Seele in den zunächst ziemlich identitätslosen Ort eingebaut. Davon zeugen vielleicht am eindrucksvollsten die auf den Hochhäuser-Fassaden verewigten Kunstprojekte.

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Hans Georg Dech lebt gerne in diesem Teil Mannheims. Foto: Gerold

"Aber es fängt schon im Kleinen an", weiß Dech. Hier ein Bücherschrank, dort ein Bürgergarten: In Kooperation mit Bewohnern, Stadtteilakteuren und der Interessengemeinschaft wird das Image und Wir-Gefühl des Stadtteils nach und nach aufgewertet. Die Gartenklause mit Biergarten ist ein beliebter Sommertreff und wartet für gewöhnlich auch mit einem kleinen Weihnachtsmarkt auf. Auch das Jugendhaus sowie das JUZ sind beliebte Adressen. Mit dem MFC Phönix 02 und der Radrennbahn beherbergt das Viertel viel Mannheimer Sportgeschichte. Mit der Idee eines Sportkindergartens möchte man ein wenig an alte Zeiten anknüpfen. Alles kleine, aber wichtige Bausteine, die dem Viertel hinter der Hochhaus-Fassade ein Gesicht geben.

Und auch in die Mini-Wolkenkratzer kommt Bewegung. Wohnblock für Wohnblock werden die Gebäude saniert, die mittlerweile 45 Jahre auf dem Betonbuckel haben. Aktuell wird das wie eine Hotelburg wirkende, einstige Studierendenwerk im Brunnengarten mit neuen Fenstern, Bädern und Küchen ausgestattet. Auch am Rande des Viertels gibt es Nachwuchs. Mit dem Neubaugebiet "Centro Verde" wurde zwischen Radrennbahn und Riedstrecke eine neue Wohnanlage in der ehemaligen Ludwig-Frank-Kaserne geschaffen.

Vor allem aus der guten Verbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zieht das Viertel für viele Bewohner seinen Reiz. Mit der Versorgung sieht es dagegen eher mau aus. Zwei kleine Einkaufszentren, ein paar Bäckerei-Filialen und ein Vollsortimenter decken zumindest den täglichen Bedarf ab.

Der Herzogenriedpark lockt zahllose Besucher aus der Region an. Foto: Gerold

Den größten Schub erfährt der Stadtteil künftig dort, wo alles begann. Das Herzogenriedbad soll bis 2023 mit einem Kombi-Bad erweitert werden. Und auch der stets im Schatten des Luisenparks stehende Herzogenriedpark erfährt eine Aufwertung. "Wir sind enttäuscht, dass er nicht in den Bugaplänen als Satellit berücksichtigt wurde", sagt Dech. Doch unabhängig davon soll die aus dem Dornröschenschlaf erwachte Multihalle für fünf Millionen Euro saniert werden.

Die Halle mit ihrer unter Denkmalschutz stehenden Holzgitterkonstruktion ist eines der bizarren Bauwunder, welche der Stadtteil zweifelsohne zu bieten hat. Der Herzogenried wirkt immer noch ein wenig wie aus der Zeit gefallen, die Bewohner scheinen das Erbe aus den 70ern aber immer mehr mit Stolz zu tragen. Am Sonntag unternimmt Dech gerne einen Spaziergang durch das Viertel, das mit Kleingärtner-Siedlung und Sportanlagen auch am Rande des Parks viel Grün und Freizeitoptionen zu bieten hat. Man spürt: Auch fern der Parkblumen wächst im Herzogenried etwas heran.

"Mittlerweile verschweigen die Leute nicht mehr ihren Wohnort. Es macht sich auch in der Schule bemerkbar: Die Jugendlichen gehen mit einer Hauptschulempfehlung rein, und nicht wenige kommen mit dem Abitur wieder raus", betont Dech.

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