Kontroverse um Awo-Auftritt macht Buga zur "Buga der Sombreros"
Die Emotionen sind zwar raus, aber die Debatte ist weiter in vollem Gange. Eine Diskussionsrunde zum "Sombrero-Verbot" lotete die Grenzen des Sag- und Darstellbaren aus.

Mannheim. (mpt) Kein Sombrero und kein Kimono: Der Eingriff in die getanzte Weltreise des Awo-Balletts durch die Organisatoren der Bundesgartenschau sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Die Kontroverse um klischeehafte Kostüme hatte einen Nerv getroffen und eine große Diskussion um kulturelle Aneignung und Cancel Culture entfacht.
Inzwischen haben die Senioren ihren Auftritt (ohne Sombrero) längst hinter sich, davon entkoppelt kam es jetzt zur lange angekündigten Debatte mit dem Titel "Von Sombreros, Wokeness und kultureller Sensibilität". Vier Menschen, vier Ansichten: Nicht über-, sondern mehr miteinander reden, lautet die Botschaft. Das wird aber unterschiedlich aufgefasst.

Für Fabian Burstein war es eine "Frage der Sensibilität und Achtsamkeit". Es seien Kostümierungen dabei gewesen, "die Kränkungen hervorrufen können", blickt der Kulturmanager der Buga noch mal zurück. In Zeiten, in denen Museen unrechtmäßig erworbene Kulturgüter an kolonialisierte Länder zurückgeben, müsse man auch über die Wirkung von kränkenden Stereotypen nachdenken. Von einem "Sombrero-Verbot" will er aber nicht sprechen, es seien lediglich sechs Kostüme "beanstandet" worden.
Auch ein Wort-Framing wie "kulturelle Aneignung" habe man nicht betrieben. Den Seniorinnen habe man nie etwas unterstellt, dass das Awo-Ballett aber den "Gang durch alle Medien" angetreten ist, habe ihn entsetzt. Die Konsequenzen für die Buga-Verantwortlichen waren enorm. Ein Tsunami an wüsten Beschimpfungen sei in Form von Hassmails eingegangen, bundesweit wurden Strafanzeigen erstattet.
Den Vorwurf, den Sombrero-Hype erst entfacht zu haben, will Marianne Bade, die Vorsitzende des Awo-Ortsvereins in Rheinau, so nicht stehen lassen. "Der Rummel hat auch uns schockiert. Wir sind einfach nur eine Gruppe, die etwas für Fitness und gegen Einsamkeit unternimmt", betont sie. Für gewöhnlich tanzt man in Seniorenheimen, plötzlich stand man mitten auf einer kulturpolitischen Bühne. "Wir waren wie vom Donner gerührt, aber wir müssen ja auch Auskunft geben", erklärt sie.
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Tief in ihrem Inneren habe sie Verständnis für das genaue Hinschauen. Genau das aber hätte sie sich ein wenig früher gewünscht, die eingereichten Fotos der Kostüme seien erst spät von den Organisatoren bewertet worden. "So ist es jetzt die Buga der Sombreros", findet sie – und macht einen Trend aus: "Es werden bei Debatten zu schnell Fakten mit Das-darfst-du-nicht-Verboten geschaffen. Ich würde mir öfter ein ‚Ich finde, es ist so‘ statt ein ‚So ist es!‘ wünschen."
Damit läuft sie bei Michael Kötz offene Türen ein. Der Intendant des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen ist bekannt dafür, eine klare Position zu beziehen. Die Sombrero-Zensur bezeichnet er als absurd. Komödien oder auch TV-Serien würden ohne Klischees gar nicht funktionieren. "Dann müsste man auch den Bergdoktor oder den Tatort verbieten. Auch die griechische Kultur haben wir uns als humanistische Bildung kulturell angeeignet", betont er, sagt aber auch: "Klischees sind für Menschen, die gerade nicht nachdenken können."
Die Absichten der Woke-Bewegung könne er zwar verstehen, ihre Argumente aber nicht. "Es ist ein Phänomen reicher Gesellschaftsschichten, eine neue Form des Autoritarismus einer akademischen Herrschaftsschicht, die mit der Moralkeule und Verboten arbeitet, statt die Kommunikation zu suchen", erklärt er. Sich trauen, etwas offen auszusprechen, das nicht dieser Ansicht entspricht, sei fast schon zur Utopie geworden. "Mut und Offenheit aber sind der Kern der Demokratie. Das muss erlaubt sein, sonst tun wir nur so", betrachtet er Gender-Sternchen und Co. als "freiwillige Unfreiheit", die zur Spaltung führt.
Längst geht es bei der Debatte nicht mehr nur um mexikanische Hüte. Wie gut, dass mit Florence Brokowski-Shekete eine wahre Expertin in Sachen interkulturelle Kommunikation direkt neben Kötz sitzt. Die Schulamtsdirektorin und Autorin – ihre Biografie "Mist, die versteht mich ja" wurde ein Bestseller – greift die Argumente gern auf, zerredet sie nicht – und hat doch einen ganz anderen Blickwinkel. "Ich treffe bei meinen Lesungen auf viele Menschen, die verstehen möchten, in welche Fettnäpfchen sie treten können und wie man diese erkennen kann. Und sie gehören nicht nur der akademischen Bildungsschicht an", betont die Tochter nigerianischer Eltern, die die meiste Zeit aber bei einer deutschen Pflegemutter aufwuchs.
Es gehe darum, die Innensicht des anderen wirklich zu verstehen und bei seiner Wortwahl (oder in diesem Fall auch Kostümierung) mitzudenken. Den Seniorinnen habe sie niemals Rassismus unterstellt. Ohnehin mache sie einen Unterschied, ob ein 105-Jähriger das N-Wort benutzt, weil er es eben nicht besser weiß und gelernt hat, oder ob sie jemand wissentlich und mit Absicht beleidigen will. Miteinander reden und sich bewusst begegnen, sei das Wichtigste. "So kann man lernen, die Perspektive des anderen zu verstehen."
Auch im E-Mail-Postfach der Buga-Organisatoren sind mittlerweile Entschuldigungen eingegangen. "Manche schrieben, sie seien ausgetickt, und wüssten gar nicht mehr genau warum", erklärt Augstein. "Aber auch wir waren natürlich selbst nicht frei von Fehlern und haben viel dazugelernt", fasst er sich auch an die eigene Nase.



