Mannheim

Industriekletterer verstopft Löcher der grünen Halsbandsittiche

Stefan Aprill ist der Fassaden-Kümmerer - Vögel picken teils metertiefe Schächte

06.04.2020 UPDATE: 07.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 23 Sekunden
Stefan Aprill (blauer Helm) und sein Mitarbeiter Stefan Seitz bei der Arbeit über den Dächern von Heidelberg. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim/Heidelberg. Wie ein Hochseilartist schwingt er sich in schwindelerregender Höhe durch die Lüfte. Von Fenster zu Fenster, Stockwerk um Stockwerk. Stefan Aprill ist Industriekletterer. An Hochhäusern seilt er sich ab, um große Bürofenster zu säubern, Anlagen zu warten – oder Löcher zu stopfen. Zum Beispiel Löcher, die von den grünen Halsbandsittichen stammen. Löcher in den Fassade des Mannheimer Ursulinen-Gymnasiums oder der Baugenossenschaft Seckenheim nutzen die Höhlenbrüter. Dabei stammen die Löcher ursprünglich vom Buntspecht, die Halsbandsittiche profitieren von der Vorarbeit und optimieren die Löcher für ihre Bedürfnisse. Industriekletterer Stefan Aprill aus Mannheim hat sich auf das Stopfen solcher Löcher spezialisiert. Die RNZ begleitete ihn bei einem Auftrag im Neuenheimer Feld in Heidelberg.

Der 34-jährige gelangt dorthin, wo sonst nur Vögel hinaufflattern, und sich gern mal einnisten. An diesem Tag gilt es, sieben Löcher an zwei Universitätsgebäuden zu stopfen. Beziehungsweise ganz auszuhöhlen. "Die sichtbaren Löcher sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Sittiche picken bis zu zwei Meter tiefe Schächte", erklärt der Experte. Gemeinsam mit seinem Kollegen füllt er sie immer wieder auf. Mit Naturdämmstoff und Steinwolle, um die Umweltbelastung gering zu halten. "Das ist besser als Styropor oder Bauschaum", weiß Aprill. Das Verschließen der möglichen Brutstätten der grünen Sittiche gehört mittlerweile neben der Glasreinigung zu den Hauptaufträgen des Industriekletterers.

Zunächst werden wie bei einer echten Klettertour in den Bergen Anschlag- und Ankerpunkte gesetzt, Karabiner befestigt, und ein festes Seil gespannt. Dann wird sich von oben abgeseilt. Meter um Meter, Loch um Loch. Nicht frei hängend an einem Gurt, sondern relativ bequem auf einem Sitzbrett hockend macht er sich an die eigentliche, handwerkliche Arbeit. "Die Körperhaltung ist ganz wichtig, sonst würde das Blut versacken, sonst käme es zum Hängetrauma", erklärt Aprill. Von oben nach unten lautet die Devise. "Bei uns spart man das Gerüst. Dafür steigen wir den Leuten aufs Dach", scherzt der Mannheimer. Zur gängigen Praxis gehören neben Löcherstopfen und Fenster putzen insbesondere Dachdeckerarbeiten, Montagen und Demontagen sowie Reparaturen und Wartungen, zum Beispiel von Rauchabzugssystemen oder Sprinkleranlagen.

Das Höchste der Gefühle? "Bisher 140 Meter", erzählt Aprill, der sich für den Aufbau einer Windkraftanlage in Bayern von einem Helikopter aus Abseilen musste. Auch bei der Instandhaltung und der Sanierungen von Kirchtürmen ist seine Expertise gefragt. "Im Grund überall da, wo man mit einer Leiter nicht mehr herankommt", erklärt er. Insofern die beruflichen Einschränkungen durch die Corona-Epidemie dem Vorhaben keinen Strich durch die Rechnung machen, soll er noch in diesem Jahr eine Blitzschutzanlage auf dem 220 Meter hohen MVV-Gebäude installieren – damit würde er seinen Höhenrekord knacken.

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Stefan Aprill ist kein leidenschaftlicher Kletterer. Das ist für ihn nur Mittel zum Zweck, um zu meinem Arbeitsplatz zu kommen: "Ich bin kein Sportkletterer, aber Handwerker aus Leidenschaft", sagt er. Im Jahr 2005, als der Mannheimer noch im Stahlbau tätig war, kam er bei einem Einsatz am Berliner Hauptbahnhof zum ersten Mal mit dem nicht-alltäglichen Höhenarbeit in Berührung. In der Bundeshauptstadt absolvierte er dann seine Ausbildung. Heute ist er "aufsichtsführender Höhenarbeiter" und bildet selbst junge Kletter-Gesellen aus. "Man muss handwerklich ein Multitalent sein. Um ehrlich zu sein, bin ich damals mit Höhenangst gestartet", erinnert er sich.

Die Akrophobie ist inzwischen verflogen, der Respekt vor der täglichen Arbeit aber immer noch riesig. Die Abseilmomente seien immer noch gewöhnungsbedürftig. "Inzwischen aber ist eine Routine eingekehrt. Es muss ein Vertrauen da sein, in die Karabiner, das Seil. Man gewöhnt sich daran", sagt er über seinen abwechslungsreichen Beruf mit oftmals blendender Aussicht. Um die Kletterwand macht er in seiner Freizeit trotz seiner Begabung aber dennoch einen großen Bogen. Aprill ist froh, den Feierabend auf festem Boden zu verbringen.

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