Wie eine 20-jährige Studentin die Amoktat verarbeitet
"Das Geschehene beschäftigt mich jeden Tag": Ihr Studium aufzugeben, kam für sie nicht infrage.

Heidelberg. Montag, 24. Januar 2022, es ist Mittagszeit, als ein 18-jähriger Student in den Hörsaal des Gebäudes INF 360 im Neuenheimer Feld stürmt. 30 Studierende sitzen dort im Tutorium für Organische Chemie für Biowissenschaften. Er gibt drei Schüsse aus einem Gewehr ab und verletzt mehrere Personen.
Eine 23-jährige Studentin wird tödlich getroffen. Anschließend verlässt der Täter das Gebäude und erschießt sich selbst. Auch ein Jahr danach ist das Geschehene für die meisten Betroffenen, für Studierende, Ersthelfer, Lehrende und Mitarbeiter der Uni noch immer präsent – zu präsent, als dass sie der Presse davon berichten möchten.
Mit Ausnahme einer 20-jährigen Bachelor-Studentin der Biowissenschaften, die ihren Namen zwar nicht öffentlich machen möchte, der es aber wichtig ist, zu erzählen. Davon, wie es ihr heute geht – und wie sie das Ganze verarbeitet. Die 20-Jährige erlebte die Tat vor einem Jahr hautnah, sie war Teil des Tutoriums und saß selbst im Hörsaal, als es passierte.
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Das Geschehene beschäftigt mich nach wie vor jeden Tag, es ist Teil meiner Persönlichkeit geworden, darüber kommt man nicht so schnell hinweg. In vielen Situationen habe ich immer noch Angst. Für diese Angst gibt es manchmal eindeutige Auslöser wie Knallgeräusche oder alles Schussähnliche. Silvester zum Beispiel war sehr schlimm für mich – gerade die Tage davor, als es vereinzelt schon geknallt hat, und nicht damit zu rechnen war.
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Aber auch Kleinigkeiten machen mir manchmal Angst: Wenn es in der Bahn ruckelt, wenn jemand hinter mir zu laut atmet oder zu laut in die Hände geklatscht wird. Ab und zu reicht es sogar schon, dass die Sonne scheint – weil das Wetter vor einem Jahr, als es passiert ist, auch so schön war.
Nach dem Ereignis wurden uns Therapieplätze von der Universität vermittelt. Das Angebot habe ich auch angenommen, ich war einige Male bei einer Therapeutin, was mir geholfen hat. Wir hatten zudem zwei Gruppentherapiesitzungen angesetzt von der Universität, da haben Betroffene berichtet, wie sie es erlebt haben. Das hat mir das Gefühl vermittelt, gehört zu werden.
Später haben wir uns auch nochmal mit ...
Heidelberg. Montag, 24. Januar 2022, es ist Mittagszeit, als ein 18-jähriger Student in den Hörsaal des Gebäudes INF 360 im Neuenheimer Feld stürmt. 30 Studierende sitzen dort im Tutorium für Organische Chemie für Biowissenschaften. Er gibt drei Schüsse aus einem Gewehr ab und verletzt mehrere Personen.
Eine 23-jährige Studentin wird tödlich getroffen. Anschließend verlässt der Täter das Gebäude und erschießt sich selbst. Auch ein Jahr danach ist das Geschehene für die meisten Betroffenen, für Studierende, Ersthelfer, Lehrende und Mitarbeiter der Uni noch immer präsent – zu präsent, als dass sie der Presse davon berichten möchten.
Mit Ausnahme einer 20-jährigen Bachelor-Studentin der Biowissenschaften, die ihren Namen zwar nicht öffentlich machen möchte, der es aber wichtig ist, zu erzählen. Davon, wie es ihr heute geht – und wie sie das Ganze verarbeitet. Die 20-Jährige erlebte die Tat vor einem Jahr hautnah, sie war Teil des Tutoriums und saß selbst im Hörsaal, als es passierte.
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Das Geschehene beschäftigt mich nach wie vor jeden Tag, es ist Teil meiner Persönlichkeit geworden, darüber kommt man nicht so schnell hinweg. In vielen Situationen habe ich immer noch Angst. Für diese Angst gibt es manchmal eindeutige Auslöser wie Knallgeräusche oder alles Schussähnliche. Silvester zum Beispiel war sehr schlimm für mich – gerade die Tage davor, als es vereinzelt schon geknallt hat, und nicht damit zu rechnen war.
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Aber auch Kleinigkeiten machen mir manchmal Angst: Wenn es in der Bahn ruckelt, wenn jemand hinter mir zu laut atmet oder zu laut in die Hände geklatscht wird. Ab und zu reicht es sogar schon, dass die Sonne scheint – weil das Wetter vor einem Jahr, als es passiert ist, auch so schön war.
Nach dem Ereignis wurden uns Therapieplätze von der Universität vermittelt. Das Angebot habe ich auch angenommen, ich war einige Male bei einer Therapeutin, was mir geholfen hat. Wir hatten zudem zwei Gruppentherapiesitzungen angesetzt von der Universität, da haben Betroffene berichtet, wie sie es erlebt haben. Das hat mir das Gefühl vermittelt, gehört zu werden.
Später haben wir uns auch nochmal mit den Ersthelfern getroffen, um gemeinsam in den Hörsaal zu gehen. Das hat gut getan, auch um sich vergewissern zu können: Es ist wirklich passiert. Denn unmittelbar danach war das für mich schwierig zu greifen. Ich wusste nicht einmal, dass es mir schlecht geht.
Die darauffolgenden Tage und Wochen habe ich mich dennoch erst einmal schwergetan mit dem Studium. Im Hörsaal zu sein, Geräusche zu hören – das war nicht einfach. Inzwischen kann ich aber wieder relativ normal studieren. Ich habe zwar immer eine gewisse Grundnervosität in mir, aber es ist nicht so, dass es mich davon abhalten würde, in die Uni zu gehen.
Einige Monate später habe ich mir mal die Frage gestellt, ob ich mir nicht eine Pause vom Studium nehmen und etwas anderes machen sollte, aber ich wollte es letztlich nicht. Denn das war für mich immer der Ort, an dem ich gerne studieren wollte.
Heidelberg ist eine wunderschöne Stadt. Ich möchte hier bleiben und auch meinen Master machen. Die Macht, das aufzugeben, wollte ich niemandem geben. Mir war klar, dass ich mir das nicht kaputtmachen lassen konnte.
Am Jahrestag werde ich mich zunächst mit den anderen Betroffenen und Ersthelfern treffen – es ist das erste Mal seit Februar letzten Jahres, dass wir so zusammenkommen. Ich freue mich, auch ihre Geschichten zu hören, und zu erfahren, wie es ihnen in den letzten Monaten ergangen ist. Danach werde ich dann zu meiner Familie fahren.
Ich werde sicherlich angespannt und nervös sein, deshalb will ich nicht zu sehr in der Nähe sein und mich damit beschäftigen müssen, sondern wissen: Es geht mir gut, ich bin sicher und gut aufgehoben bei meinen Geschwistern und Eltern.
Dass die Universität ein Jahr danach an das Geschehene erinnert und darauf aufmerksam macht, finde ich schön. Das ist mir auch wichtig, wenn es um den zukünftigen Umgang damit geht: dass es nicht vergessen wird. Wie genau ein dauerhaftes Erinnern und Gedenken aussehen kann, darüber habe ich keine genauen Vorstellungen. Ich bin mir aber sicher, dass man da gemeinsam eine Lösung findet, die dem Ganzen auch gerecht wird.
Was mich selbst betrifft, so würde ich mir wünschen, dass ich irgendwann nicht mehr jeden Tag an das Geschehene denken muss und es weniger präsent für mich wird. Mir hat geholfen und mir hilft immer wieder, dass es Freunde gibt, die auch dabei waren und mit denen ich über das Erlebte sprechen kann. Und es ist gut, zu wissen, dass es vollkommen okay ist, Angst zu haben.
Wenn ich weiß, warum ich Angst habe, dann kann ich damit umgehen und auch viel schneller durchatmen und darüber hinwegkommen. Ich muss mir keinen Druck machen und denken, das Ganze ist schon so lange her, und es muss mir jetzt wieder gut gehen. Es ist wichtig, dass ich mir Zeit nehme, um alles zu verarbeiten – die braucht es einfach noch.
Protokoll: Philipp Neumayr