Hat Theresia Bauer noch eine Chance?
Für Politikwissenschaftler Michael Wehner ist "die Messe noch nicht gelesen". Jetzt komme es darauf an, ob das Würzner-Lager noch ausreichend mobilisieren kann.



Leiter der Außenstelle Freiburg der Landeszentrale für politische Bildung
Von Denis Schnur
Heidelberg. Prof. Michael Wehner leitet die Außenstelle der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) in Freiburg und forscht an der Uni Freiburg außerdem unter anderem zu Kommunalpolitik. Warum der Politikwissenschaftler dennoch mit anderen Resultaten bei der OB-Wahl in Heidelberg gerechnet hätte und was Theresia Bauer seiner Ansicht nach tun müsste, um noch eine Chance zu haben, erklärt er im RNZ-Interview.
Herr Prof. Wehner, hat Sie das Ergebnis des ersten Wahlgangs überrascht?
Ich hatte – wie viele andere ja auch – mit einem deutlich knapperen Ergebnis gerechnet, vor allem nicht mit so einem schwachen Resultat von Theresia Bauer. Bei den vergangenen Wahlen war Heidelberg ja eigentlich eine grüne Stadt. Zudem trat mit Bauer eine relativ bekannte Persönlichkeit an, und die Partei hat einiges an Ressourcen in den Wahlkampf investiert. Sie hat ja auch das Ziel ausgegeben, die Rathäuser im Land zu gewinnen.
Wie erklären Sie sich das schwache Abschneiden der Ex-Ministerin?
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Vielleicht war es ihr Alter, vielleicht ihre Unbeliebtheit in studentischen Kreisen – Stichwort Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer. Daneben gibt es drei Faktoren, anhand derer man das Wahlverhalten bei Oberbürgermeisterwahlen erklären kann: Parteibindung, Programmatik und Persönlichkeit. Und da würde ich sagen, dass schon viele aufgrund ihrer Parteibindung abgestimmt haben.
Die Programme der wichtigen Kandidaten waren nur bedingt unterscheidbar – Würzner ist ja auch eher im schwarz-grünen Milieu zuhause. Deshalb spricht viel dafür, dass die Persönlichkeit eine zentrale Rolle gespielt hat. Bei Bauer haben die Menschen vielleicht gesagt: Sie kann Ministerin, aber nicht OB. Zumal die Stadt auch in Krisenzeiten gut dasteht und Würzner keine größeren Angriffsflächen geboten hat.
Und deshalb hat der Amtsinhaber-Bonus gegriffen? Lässt sich dieser Effekt denn wissenschaftlich belegen?
Das ist schwierig, weil Bürgermeister-Wahlen kaum erforscht sind. Die Zahl der Abwahlen hat zwar zuletzt zugenommen, aber sie bewegt sich immer noch im einstelligen Prozentbereich. Nur in sieben oder acht Prozent der Fälle, in denen Amtsinhaber zur Wiederwahl stehen, haben sie verloren.
Das waren vermutlich Fälle, in denen sie sich grobe Fehler geleistet haben?
Ja, denke ich auch. Dieter Salomon in Freiburg ist zu selbstsicher aufgetreten und hatte den Kontakt zur Basis verloren. Diesen Eindruck hatte ich bei Herrn Würzner nicht, der war ja im Wahlkampf sehr ordentlich unterwegs. Ich habe mir auch die wirtschaftlichen Rahmendaten Heidelbergs angeschaut. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist etwa deutlich niedriger als in Tübingen. Solche Faktoren machen deutlich, dass er eigentlich ordentlich regiert hat.
Was kann man aus dem Ergebnis für den zweiten Wahlgang ableiten?
Dass es jetzt extrem schwierig wird für Frau Bauer. Wenn alle anderen Kandidierenden zurückziehen und sich für sie aussprechen würden – was sehr unwahrscheinlich ist –, wäre die Lücke von 17 Prozent zu Würzner zwar rechnerisch geschlossen. Aber solche Wahlempfehlungen kommen nur bedingt gut an, weil sich die Wähler ja zurecht für mündig halten und selbst entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Ich denke nicht, dass dem viele folgen würden.
Also ist die Messe für Theresia Bauer eigentlich gelesen?
Nein. Man sollte so eine Messe nie ohne die Wähler lesen. Da ist ja auch noch die Frage der Wahlbeteiligung. Es wird spannend zu sehen, ob das Würzner-Lager ausreichend mobilisieren kann, oder ob man vielleicht zu siegessicher ist, sodass viele nicht mehr zur Wahl gehen, eben weil sie denken, die Messe sei gelesen.
Gilt das nicht genauso für die Grünen-Anhänger? Die könnten ebenso denken, die Wahl sei gelaufen.
Das stimmt. Deshalb werden die nächsten drei Wochen sehr interessant. Theresia Bauer hatte sich ja sehr angriffslustig gegenüber Würzner gezeigt, und bislang hat diese Angriffslust nicht unbedingt verfangen. Jetzt bleibt ihr aber nichts anderes mehr übrig, als zu versuchen, mit Angriffen zu punkten und so ihre Anhänger zu mobilisieren. Außerdem müsste die Partei den Wahlkampf extrem intensivieren – mit einem aufwendigen Haustürwahlkampf, vielen großen Plakaten, Medienkampagnen. Das ist aber auch alles sehr teuer. Da stellt sich die Frage, ob man bei den Grünen überzeugt davon ist, dass sich das lohnt.