Zundels Wiederwahl nach einem bewegten Jahrzehnt
Als Reinhold Zundel 1976 zum zweiten Mal zum OB gewählt wurde, war das Ergebnis eindeutig. Es gab keinen ernsthaften Gegenkandidat.

Von Steffen Blatt
Heidelberg. Die Liste reicht zurück bis ins Jahr 1805, zu Georg Daniel Mays, der Heidelberg von da an 14 Jahre lang als Stadtoberhaupt regierte. 20 Männer und eine Frau sind ihm seitdem im Amt des Oberbürgermeisters gefolgt – acht von ihnen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In der Serie "Heidelbergs Oberbürgermeister" wirft die RNZ vor der OB-Wahl am 6. November in mehreren Teilen einen Blick zurück auf die Amtsinhaber und Wahlen seit 1945.
Als die RNZ am 10. Mai über das Ergebnis der OB-Wahl vom Vortag berichtete, tat sie das nur mit einem kleinen Einspalter, der die nackten Zahlen verkündete: Reinhold Zundel (SPD) war im ersten Wahlgang mit 76,6 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Der FDP-Gegenkandidat Peter Menke-Glückert erhielt 17,4 Prozent, drei weitere Bewerber zwischen 0,14 und 1,38 Prozent. Grund für die schmale Berichterstattung war ein Streik der Drucker, die RNZ erschien an diesem Tag nur mit einer achtseitigen Notausgabe.
Ein kleiner Bericht mit Fotos über "Massive Störmanöver" während der Wahl hat es jedoch in die aktuelle Ausgabe geschafft. Weil eine Kandidatin des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) im Vorfeld nicht zugelassen worden war, machte die maoistische Kleinpartei mobil. Plakate der OB-Kandidaten wurden überklebt, in der Nacht auf den Urnengang wurde Wahllokale mit Parolen beschmiert. "Keine Stimme dem bürgerlichen Lumpenpack" war etwa an der Steinbachschule zu lesen.
An verschiedenen Stimmabgabestellen kam es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen, weil KBW-Aktivisten die Zugänge versperren wollten, vier von ihnen wurden verhaftet. Ein RNZ-Foto zeigt das Wahllokal im Rathaus unter Polizeischutz.
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Diese Ereignisse zeugten von einem außergewöhnlich bewegten Jahrzehnt, das Zundels erste Amtszeit umfasste. 1966 war er gewählt worden, wegen Einsprüchen, die vor Gericht gingen, konnte er erst zwei Jahre später vereidigt werden – darum die Verlängerung der normalerweise acht Jahre andauernden Amtsperiode.
Genau in diese Zeit fielen die Studentenproteste der 68er mit Sit-ins, Rektoratsbesetzungen, Demonstrationen, Polizeieinsätzen und Prozessen. Auf der einen Seite stand eine junge Generation, die einen repressiven, ja sogar faschistischen Staat heraufziehen sah, auf der anderen die "etablierten" Bürger, die um Ordnung und Stabilität fürchteten.
Dazu Politik und Polizeibehörden, die mit der Wucht und der Art des Protestes oftmals überfordert waren. Und mittendrin OB Zundel, der oftmals versuchte, Konflikte zu deeskalieren – und eigene politische und rechtliche Positionen hinterfragte, wie Katja Nagel in ihrem Buch "Die Provinz in Bewegung – Studentenunruhen in Heidelberg 1967 – 1973" feststellt.
Hintergrund
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
So nahm er etwa das 1967 etablierte Demonstrationsverbot in der Hauptstraße zurück, weil er anerkannte, dass zum Recht auf freie Meinungsäußerung auch gehört, in der beliebtesten Straße der Stadt zu marschieren.
Auch politisch hatte sich viel verändert seit 1966. Hatten CDU, FDP und Freie Wähler damals noch einen eigenen OB-Kandidaten aufgestellt und sogar vor der Wahl des jungen und in ihren Augen unerfahrenen Zundel gewarnt, scharten sie sich nun fast komplett hinter dem Amtsinhaber. Peter Menke-Glückert trat im Prinzip nur an, um eine demokratische Alternative zu bieten.
Interessant war, dass ausgerechnet die SPD keine eindeutige Wahlempfehlung für ihren Parteigenossen Zundel abgab. Zwar berichtet die RNZ, dass er die Mehrheit der Gemeinderatsfraktion hinter sich habe, die Kreisdelegiertenkonferenz jedoch gab keine Präferenz ab. Hier zeigten sich erste Risse im Verhältnis zwischen OB und Partei, die 1981 zum Bruch führen sollten.



