Die Rückkehr des Ex-Oberbürgermeisters
1952 wird Carl Neinhaus zum Stadtoberhaupt gewählt. Er hatte dieses Amt schon unter den Nazis innegehabt.

Von Denis Schnur
Heidelberg. Die Liste reicht zurück bis ins Jahr 1805, zu Georg Daniel Mays, der Heidelberg von da an 14 Jahre lang als Stadtoberhaupt regierte. 20 Männer und eine Frau sind ihm seitdem im Amt des Oberbürgermeisters gefolgt – acht von ihnen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In der Serie "Heidelbergs Oberbürgermeister" wirft die RNZ vor der OB-Wahl am 6. November in mehreren Teilen einen Blick zurück auf die Amtsinhaber und Wahlen seit 1945.
Am Abend des 13. Juli 1952 staut sich der Verkehr in der Hauptstraße. Vor dem Verlagsgebäude der RNZ wartet eine gespannte Menschenmenge auf das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl. Es ist die zweite, bei der die Bevölkerung direkt über das Stadtoberhaupt abstimmt – aber die erste, die richtig polarisiert.
Erste Zwischenergebnisse verkündet die Redaktion gegen 19.30 Uhr auf Sonderdrucken. Da zeichnet sich bereits ab, dass mit Carl Neinhaus der ehemalige, 1945 von den US-Amerikanern abgesetzte Oberbürgermeister vorne liegt. Doch erst um 22 Uhr ist klar, dass er bereits im ersten Wahlgang mit 50,9 Prozent die absolute Mehrheit erzielt.
Von der Straße schallt "das laute Bravo-Rufen und Beifallklatschen der begeisterten Menge" herauf, so die RNZ. SPD-Kandidat Josef Amann muss sich – wie schon vier Jahre zuvor – mit einer Niederlage abfinden. Er landet sogar hinter Josef Harnisch, der von der DVP (die später in der FDP aufgeht) unterstützt wird.
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Hintergrund
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
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Die Wahlbeteiligung, 1948 enttäuschend gering, klettert bis zum Abend auf knapp 65 Prozent. Dies dürfte auch dem polarisierenden Wahlkampf geschuldet sein, der sich vor allem um die Person des späteren Siegers gedreht hat. Denn Carl Neinhaus ist alles andere als ein Unbekannter in der Stadt. Der gebürtige Rheinländer war bereits von 1928 bis 1945 Oberbürgermeister in Heidelberg – sowohl in der Weimarer Zeit als auch unter den Nationalsozialisten.
Aus dem parteilosen Politiker wird 1933 ein NSDAP-Mitglied. Die US-Amerikaner setzen ihn nach der Befreiung der Stadt ab. Die Spruchkammer stuft ihn 1946 jedoch nur als "Mitläufer" ein, sodass er seine politische Karriere neu starten kann – diesmal in der CDU. 1950 wird Neinhaus zunächst in den Landtag gewählt, zwei Jahre später sogar zum Präsidenten des Landesparlamentes.
Damit ist er klar der prominenteste Bewerber für das Amt des Stadtoberhaupts – aber eben auch der umstrittenste. So tut ihm der Heidelberger Ableger der Sozialistischen Reichspartei (SRP) – die im September 1952 als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten wird – keinen Gefallen, als er Neinhaus seine Unterstützung zusichert. Es dauert nur wenige Tage, bis die CDU in der RNZ erklärt, dass es mit "der SRP oder Anhängern dieser Partei keinerlei Besprechungen oder auch nur unverbindliche Fühlungnahmen" gegeben habe.
Doch Neinhaus’ Gegner sehen in ihm vor allem das ehemalige NSDAP-Mitglied und eine Gefahr für die Demokratie. Die Kommunistische Partei ruft zur Wahl des SPD-Politikers Amann auf, um eine "Wiederholung der hinter uns liegenden Katastrophe" zu verhindern. Die DVP stellt sich hinter den Beigeordneten Joseph Harnisch, auch für die Liberalen war Neinhaus’ "politische Vergangenheit nicht akzeptabel". Kurz vor der Wahl wird in Heidelberg zudem ein Flugblatt verteilt, in dem Neinhaus eine "nationalsozialistische Haltung" unterstellt wird.
Der CDU-Kandidat selbst bestreitet die Vorwürfe, entschuldigt sich auch nie bei Opfern der NSDAP. Stattdessen behauptet er im Wahlkampf, dass er Widerstand gegen die Nazis geleistet und überhaupt erst dafür gesorgt habe, dass Heidelberg im Krieg nicht zerstört wird. Außerdem verweist er auf seine langjährige Erfahrung im Rathaus und verspricht eine sparsame und fleißige Verwaltung. Bei einer Wahlkampfveranstaltung berichtet er, dass ihm ein Beamter gesagt habe: "Wenn du wieder kommst, dann müssen wir wieder schaffen."
Das kommt offenbar an bei der Mehrheit der Heidelberger. Sie schenken ihm erneut das Vertrauen. Zu den 17 Jahren im Rathaus vor 1945 kommen ab 1952 sechs weitere. Auf der Tagesordnung steht dabei vor allem die Bekämpfung der noch immer massiven Wohnungsnot. Die Stadt investiert in den Neubau von Wohnhäusern, Schulen und Straßen – und verschuldet sich ordentlich. 1955 kann Neinhaus den neuen Hauptbahnhof einweihen. Er macht sich zwar für die Rehabilitierung einiger ehemaliger Beamter stark, die die US-Amerikaner ebenfalls aus dem Dienst entfernt hatten, fällt aber nicht durch Nähe zu Rechtsextremen auf, wie seine Gegner vor der Wahl befürchtet hatten.
1958 wird Neinhaus nicht wiedergewählt. Zeitzeugen berichten, dass er diese Niederlage nie überwinden sollte. 1963 wird er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Zwei Jahre später stirbt er in Stuttgart, womit die Ehrenbürgerschaft erlischt. Es dauert dann noch einmal über 46 Jahre, bis der Gemeinderat Anfang 2022 dem ehemaligen OB mit NSDAP-Parteibuch auch das Ehrengrab aberkennt.



