Wie der Geist der Bibliotheca Palatina zurückkehren soll
Vor 400 Jahren verließ die berühmte Bibliothek als Kriegsbeute die Stadt. In der Heiliggeistkirche erinnerte ein Festakt daran. Die Protestanten wünschen sich eine Ausstellung.

Von Julia Lauer
Heidelberg. Mehr als 200 Jahre lang kamen Glaube und Wissen in der Heiliggeistkirche zusammen – bis der römische Gesandte Leone Allacci die Bibliotheca Palatina, die wichtigste Schriftensammlung nördlich der Alpen, im Februar 1623 in Richtung Vatikan abtransportierte.
Dass sich dieses Ereignis nun zum 400. Mal jährte, nahm die evangelische Kirche zum Anlass, des Verlustes am Freitagabend vor Ort, in der größten Kirche der Stadt, mit einem Festakt zu gedenken – und zugleich für ihre Idee zu werben, der Palatina in Zukunft eine Ausstellung auf den Nord- und Süd-Emporen von Heiliggeist zu widmen. Die Veranstaltung war öffentlich, knapp 400 Gäste kamen. Geladen waren auch all jene, die in der Stadt Rang und Namen haben.
Hintergrund
> Die Schriften: Die Bibliotheca Palatina umfasste vor ihrem Abtransport rund 3700 Handschriften und 13.000 Drucke, darunter das Falkenbuch des Stauferkaisers Friedrich II. und der Codex Manesse.
> Die Digitalisierung: Die Universitätsbibliothek
> Die Schriften: Die Bibliotheca Palatina umfasste vor ihrem Abtransport rund 3700 Handschriften und 13.000 Drucke, darunter das Falkenbuch des Stauferkaisers Friedrich II. und der Codex Manesse.
> Die Digitalisierung: Die Universitätsbibliothek Heidelberg hat nicht nur die deutschsprachigen Handschriften, die 1816 nach Heidelberg zurückgekehrt sind, sondern auch Schriften aus dem Vatikan digitalisiert.
> Das Interesse: Weltweit greifen Menschen auf diese Datenbank mit Digitalisaten der Palatina zu – allein 2022 waren 3,3 Millionen Seitenaufrufe aus 183 Staaten zu verzeichnen.
> Die Datenbank: Einblicke in die Palatina erhält man im Internet unter dem Link: https://kurzelinks.de/y9s4. jul
"Zur Geschichte der Palatina gehört, dass sie von Heidelberg in die Welt gelangte", sagte Christof Ellsiepen, Dekan der evangelischen Stadtkirche. Damit meinte er nicht nur, dass die Sammlung größtenteils im Vatikan ein neues Zuhause fand. Vielmehr bezog er sich darauf, dass die Schriftensammlung im Internet digital zugänglich ist und somit Interessierten aus allen Teilen der Welt offensteht. Dafür sorgte die hiesige Universitätsbibliothek, die die deutschsprachigen, lateinischen, griechischen und hebräischen Handschriften und Drucke bis 2019 einscannte und ins Internet stellte. Die Stiftung des MLP-Gründers Manfred Lautenschläger hatte das Projekt finanziell unterstützt – ein Aspekt, den nicht nur Ellsiepen an diesem Abend hervorhob.
Den Festvortrag hielt Dr. Veit Probst, Direktor der Universitätsbibliothek. "Die Palatina ist so etwas wie mein berufliches Lebensthema", bilanzierte er. Die Bücher, die von der Mitte des 14. Jahrhunderts an gesammelt worden seien, repräsentierten nicht weniger als "das über Jahrtausende gesammelte Wissen der Menschheit". Dabei hob er die Rolle von Kurfürst Ottheinrich für die Beschaffung der Bände hervor. Niemand habe mehr für die Palatina geleistet. "Er war geradezu als manischer Sammler tätig." Doch nachdem die Truppen der Katholischen Liga die Stadt erobert hatten, blieb die Palatina nicht mehr lange vor Ort. Die Schriften, die einst auf den Emporen von Heiliggeist gestanden hatten, verließen, sorgsam in Kisten verpackt, auf Frachtwagen die Stadt, 60 Musketiere sicherten den Transport. "In Heidelberg hinterließ die Wegführung ein Trauma", fasste Probst zusammen.
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Die Digitalisierung machte den Verlust wieder wett, wie die Redner durch die Bank betonten – jedenfalls ein Stück weit. "Mit den Mitteln der Digitalisierung kann man dieses Stück Geschichte wieder neu entstehen lassen", sagte etwa die grüne Landtagsabgeordnete Theresia Bauer. Und die badische Landesbischöfin Heike Springhart erklärte: "Heidelberg hat mit der Palatina eines der wichtigsten Kulturgüter verloren und doch auch wieder gewonnen."
Das gilt natürlich erst recht, wenn auf Grundlage der Digitalisierung eine Ausstellung auf dem Weg gebracht werden kann, wie es der evangelischen Kirche vorschwebt. Heiliggeist werde auch in Zukunft für das Miteinander, für Austausch, für Wissen und Glauben stehen, zeigte sich Oberbürgermeister Eckart Würzner von dem Projekt angetan. Und auch der katholische Dekan Alexander Czech äußerte seine Hoffnung, die Räume würden auch künftig "im Sinne der Palatina" genutzt.

Wie eine solche Ausstellung aussehen kann, dazu sammelte im Auftrag der evangelischen Kirche das Stuttgarter Atelier Brückner bereits einige Ideen. Allzu konkret wurden die Ausführungen am Freitagabend jedoch noch nicht. Die Ausstellung solle "multimedial, explorativ, flexibel, integrativ und partizipativ" werden, hieß es. Bereichsweise könne Künstliche Intelligenz oder Virtuelle Realität zum Einsatz kommen. Vielen der Anwesenden gefiel die Idee einer Ausstellung in Heiliggeist, die jedes Jahr viele Touristen anzieht. "Es ist notwendig, Aufmerksamkeit auf die Palatina zu lenken. Heidelberg ist so viel mehr als eine aussterbende Innenstadt", sagte etwa der Besucher Armin Klein. Die Vorschläge zur Umsetzung hinterließen jedoch auch offene Fragen. "Klingt wie eine Spielhölle", kommentierte eine Besucherin.
Noch ist das Vorhaben aber Zukunftsmusik, einen Fahrplan gibt es nicht. Die geplante Ausstellung ist Teil einer umfassenden Umgestaltung von Heiliggeist, die sich die evangelische Stadtkirche wünscht. Dazu gehören unter anderem auch der Umzug der Orgel auf die Westempore und eine Brücke zwischen Süd- und Nordempore. Das wird mehrere Millionen Euro kosten, die Finanzierung ist offen. Vor diesem Hintergrund wies Dekan Ellsiepen am Ende des Abends auf eine Spendenbox an der Kirchentür hin. Sie sei nicht zu übersehen, gab er den Anwesenden humorvoll mit auf den Weg: Sie leuchte sogar im Dunkeln.