Kläger gegen Sperrzeiten schlagen Friedensangebot aus
Verwaltungsgerichtshof schlug gerichtliche Mediation vor - Stattdessen kommt ein neues Lärmgtachten

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Die Entscheidung im Streit um die Kneipenöffnungszeiten in der östlichen Altstadt ist vertagt. Der Sechste Senat des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim (VGH) hat die Stadt verpflichtet, ein neues Lärmgutachten in Auftrag zu geben. So soll geklärt werden, wie stark die Belastung für die klagenden Anwohner ist, aber auch welchen Anteil die Gaststätten am nächtlichen Lärm haben. Ein Teil der Ruhestörung, so einer der Beweggründe für das neue Gutachten, könnte auch von den beiden "Spätis" in der Hauptstraße und der Kettengasse herrühren – Kioske, die rund um die Uhr Alkohol verkaufen dürfen.
Zahlreiche Altstadtbewohner, einzelne Wirte sowie die Stadträte Michael Eckert (FDP), Matthias Kutsch (CDU) und Hilde Stolz (Bunte Linke) waren nach Mannheim gekommen, um die mündliche Verhandlung unter strengen Corona-Regeln zu verfolgen. Und viele von ihnen wurden von einem Vergleichsangebot der Vorsitzenden Richterin Else Kirchhof überrascht. Sie schlug den Vertretern der Stadt, unter ihnen Bürgermeister Wolfgang Erichson und Bürgeramtsleiter Bernd Köster, sowie den vier anwesenden Klägern eine gerichtliche Mediation vor. Zwei Richterinnen des Verwaltungsgerichtshofs sollten die streitenden Parteien an einen Tisch holen, um eine dauerhafte Einigung zu erzielen, mit der dann sowohl die Altstadtbewohner als auch die Kneipiers leben können.
Hintergrund
> Die aktuelle Sperrzeitsatzung für die östliche Altstadt wurde am 17. Oktober 2019 mit 22 zu 20 Stimmen vom Gemeinderat verabschiedet. Seitdem dürfen die Kneipen werktags bis 1 Uhr und in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 4 Uhr ihre Gäste bewirten. Zugleich legten
> Die aktuelle Sperrzeitsatzung für die östliche Altstadt wurde am 17. Oktober 2019 mit 22 zu 20 Stimmen vom Gemeinderat verabschiedet. Seitdem dürfen die Kneipen werktags bis 1 Uhr und in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 4 Uhr ihre Gäste bewirten. Zugleich legten die Stadträte Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (VG) ein.
> Das VG-Urteil vom 1. August letzten Jahres gründet auf einer Klage von mehr als 30 Altstadtbewohnern, die die bis dahin geltenden Kneipenöffnungszeiten bis um 3 Uhr in der Nacht auf Freitag und bis 4 Uhr am Wochenende als gesundheitsgefährdend kritisiert hatten. Die Entscheidung der Richter: Die Gaststätten müssten werktags um Mitternacht und in der Nacht auf Samstag und Sonntag um 2.30 Uhr schließen.
> Im März 2018 hatten Anwohner schon einmal einen Sieg vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) errungen. Damals erklärte der VGH die damals aktuelle Sperrzeitsatzung für ungültig und begründete dies mit einem Lärmgutachten aus dem Jahr 2016. Die Richtwerte der Technischen Anleitung Lärm würden in der Zeit zwischen 3 und 5 Uhr nachts um bis zu 27 Dezibel überschritten. hob
Kirchhof begründete dies mit der festgefahrenen Situation. Während das Verwaltungsgericht Karlsruhe in der ersten Instanz noch davon ausgegangen war, dass der Gemeinderat in Sachen Sperrzeiten keinerlei Spielraum mehr habe, hält Kirchhof dies "für eine ganz heikle Geschichte". Prinzipiell liege die Entscheidungshoheit beim Gemeinderat, so die Richterin. Auf der anderen Seite hätten die Stadträte in ihrer letzten Sperrzeiten-Abstimmung die Vorgaben des Gerichts ignoriert. Bei einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 hatte Kirchhof nämlich deutlich gemacht, dass Kneipenöffnungszeiten bis um 4 Uhr am Wochenende ganz klar die Gesundheit der Anwohner gefährde – und erklärte die bis dahin geltende Satzung für rechtswidrig. Eine gerichtliche Mediation, so Kirchhof, sei jetzt ein Weg, der allen Interessen diene: "Die wunderschöne Altstadt ist für alle da." Mit einer gütlichen Einigung könnte der Streit endlich dauerhaft befriedet werden und sowohl die Kläger als auch die Stadt und die Wirte hätten endlich Ruhe.
Während der Anwalt der Stadt, Hartmut Stegmaier, dieses Vergleichsangebot sofort akzeptierte, lehnten es die Kläger ab. "Sie haben schlechte Erfahrungen mit der Stadt gemacht", begründete der Rechtsanwalt Werner Finger die ablehnende Haltung seiner Mandanten. Mehrmals habe der Gemeinderat gerichtliche Entscheidungen missachtet. Einer Mediation könne man nur zustimmen, wenn für die Dauer dieses Schlichtungsprozesses das Urteil des Verwaltungsgerichts vom Juli letzten Jahres umgesetzt wird: Das heißt, die Kneipen müssten werktags um Mitternacht und am Wochenende um 2.30 Uhr schließen. Das lehnte jedoch die Stadt ab, denn erstens gebe es dafür keinen Gemeinderatsbeschluss, und zweitens sei es unüblich, mit Vorbedingungen in eine Mediation zu gehen.
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Letzten Endes ist daher für den VGH klar: Ein neues Lärmgutachten muss her. Denn die letzten Gerichtsentscheidungen basieren alle auf der veralteten Untersuchung des Büros "Genest und Partner" von 2016. "Damals ging die Ruhestörung vielleicht von Kneipengängern aus, jetzt haben wir aber andere Lärmquellen", so Kirchhof. Erichson und Köster betonten unterdessen, dass einige lärmmindernde Maßnahmen erst umgesetzt werden müssten und ihr Effekt noch nicht klar sei: Der Nachtbürgermeister wird zum Beispiel erst im Oktober sein Amt antreten. Und dann ist da noch die Covid-19-Pandemie: "Viele Wirte kämpfen um ihre wirtschaftliche Existenz", so Köster: "Wir wissen noch gar nicht, ob alle Gaststätten wieder aufmachen."
Für das neue Gutachten wird der Lärm nun einen Meter vor den Fenstern der Kläger in der Kettengasse und der Dreikönigstraße gemessen. Und zwar über einen längeren Zeitraum als das letzte Mal in 2016. Anwalt Finger war nach der Entscheidung frustriert: "Jetzt sind wir am gleichen Punkt wie 2012."



