Das "L" steht für Leben, nicht für Lärm
Die Mitglieder der Heidelberger Anwohnerinitiative ziehen eine gemischte Bilanz. Es geht um viel mehr als nur um die Nachtruhe.

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Lärm, Dreck und Randale waren noch nie das einzige Thema von "Leben in der Altstadt" (Linda). Seit mehr als zehn Jahren setzt sich die Anwohnerinitiative für einen lebenswerten Stadtteil ein, in dem auch Familien gerne wohnen. Und doch war der Kampf für die Nachtruhe in der Kernaltstadt das Thema, das in den regionalen und überregionalen Medien am meisten beachtet wurde. Da war die Bettlaken-Aktion im Gründungsjahr 2009, als Anwohner der Unteren Straße Tücher mit klaren Botschaften aus ihren Fenstern hängten: "Wir wollen schlafen". Und auch im Jahr 2020 kümmert sich "Linda" immer noch um die Themen Kneipenöffnungszeiten und nächtlicher Lärm. "Wir sind nicht die Kläger, aber wir unterstützen sie, auch finanziell", sagt Doris Hemler, eine der Linda-Sprecherinnen, als das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof angesprochen wird, in dem es um strengere Sperrzeiten für die Kernaltstadt geht.
Doris Hemler und Martin Kölle sind zwei der Gründungsmitglieder von Linda. Christoph Egerding-Krüger stieß vor fünf Jahren zu der Initiative, die etwa 50 Aktive zählt. Sowohl Hemler als auch Egerding-Krüger zogen mit ihren Familien vor Jahrzehnten in die Altstadt, als die Stadt versuchte, mit einem Sanierungsprogramm möglichst viele junge Familien in den Stadtteil zu holen. Kölle war noch früher dran: "Einige Bekannte haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie unser neues Haus gesehen haben, das wir mit Freunden saniert haben. Das war eine Bruchbude."

Anlass für die Linda-Gründung waren die liberaleren Sperrzeiten im Jahr 2009. Die damalige SPD-Stadträtin und heutige Vorsitzende des Stadtteilvereins Alt-Heidelberg, Karin Werner-Jensen, sowie einige Mitstreiter hatten die Idee, die zahlreichen Bürgerinitiativen im Stadtteil zusammenzuführen. Beim Gründungstreffen in der Griechischen Taverne in der unteren Bergbahn-Station waren Aktive von "Biest" ebenso dabei wie die "Bürger für Heidelberg", die "Initiative Lebendige Altstadt", "Dreikönig" und "Wohnen in der Altstadt." Das Gründungsdokument war ein 17-Punkte-Katalog, in dem sich "Linda" für eine öffentliche Diskussion zum Thema "Gesamtkonzept Altstadt" hinsichtlich der Stadt- und Tourismusentwicklung, für ein Bürgerhaus, für einen Ausgleich der Interessen von Einzelhandel, Gastronomie sowie Anwohnern und vieles mehr einsetzten.
"Für mich war immer der Schwerpunkt das Leben, nicht der Lärm in der Altstadt", erklärt Hemler ihr Engagement und zitiert ihren verstorbenen Mitstreiter Herbert Lehmann. "Er hat immer gesagt, der Lärm sei nur die Symptomatik für eine verfehlte Politik." Und so verschickten die Linda-Gründer im Herbst 2009 ihren 17-Punkte-Katalog an alle Stadträte und die Verwaltung. "Es gab praktisch keine Reaktionen", erinnert sich Kölle. Dann versuchten sich die Altstädter auf andere Weise Gehör zu verschaffen: Mit jährlichen Stadtteilfrühstücken und später, als es um den Umbau des Theaterplatzes ging, mit einer großen Unterschriftenaktion.
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Die Einbeziehung in die Planungen für den Theaterplatz gehört zu den positiven Erfahrungen der "Lindaner". Das Beteiligungskonzept funktionierte gut. "Die Zusammenarbeit mit dem Investor war außerordentlich positiv. Wir haben uns schnell auf das Konzept von Frau Ukas geeinigt." Leider sei der Entwurf der Landschaftsarchitektin in der späteren Planungsphase dann doch wieder deutlich verändert worden.

Dass einmal akzeptierte Ideen immer mal wieder infrage gestellt werden, diese Erfahrung macht "Linda" auch derzeit mit dem Verkehrsberuhigungskonzept Altstadt. Die Bürgerinitiative lud im Herbst 2016 den Salzburger Poller-Beauftragten Christian Morgner in den Saal der Providenzgemeinde ein. Sein Vortrag sorgte für so viel Begeisterung, dass die Stadt eine Bürgerbeteiligung ins Leben rief. Am Ende einigten sich die Wirtschaftsverbände, die Altstädter und die Stadtverwaltung schließlich darauf, alle Zufahrten zur Fußgängerzone mit versenkbaren Pollern zu versehen. Auch der Gemeinderat sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus – ohne bislang das erforderliche Geld bereitzustellen.
"Es gibt gute Ideen für die Altstadt, aber sie werden nur zögerlich oder gar nicht umgesetzt", bedauert Egerding-Krüger. Als Beispiel nennt er den vom "Runden Tisch Altstadt" verabschiedeten 58-Punkte-Katalog gegen nächtlichen Lärm und das Tourismus-Leitbild von 1993. Und genau diese fehlende Umsetzung führe nun zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. "Wir brauchen einen langen Atem", sagt auch Kölle. Und fügt zugleich hinzu: "Wir geben aber immer noch nicht auf."



