Es gibt wieder mehr Lärm in der Heidelberger Altstadt
Nach der Liberalisierung der Kneipenöffnungszeiten zeigen die Anwohner häufiger als im Vorjahr Ordnungswidrigkeiten an

Des einen Freud des anderen Leid: In der Steingasse genießen Nachtschwärmer die Atmosphäre der Altstadt. Einige Anwohner fühlen sich aber durch den Lärm gestört. Foto: Rothe
Von Holger Buchwald
Es gibt wieder mehr Gröler und Wildpinkler in der Heidelberger Altstadt. Das legen zumindest die aktuellen Zahlen des Polizeireviers Mitte nahe. Laut Revierleiter Christian Zacherle beschwerten sich in den ersten vier Monaten dieses Jahres bereits 73 Anwohner wegen nächtlichen Lärms, im Jahr zuvor waren es 52. Bei den Wildpinklern stieg die Anzahl der Strafanzeigen gar von 28 auf 61, also um 118 Prozent.
Es ist ein Aufregerthema, denn im nächsten Jahr will der Gemeinderat die Kneipenöffnungszeiten in der Altstadt erneut überprüfen. Erst zum Jahresbeginn 2015 hatten die Stadträte die bis dahin geltende gesonderte Sperrzeit für den sensiblen Stadtteil gekippt. Seit 1. Januar dürfen die Lokale dort am Wochenende - wie im restlichen Baden-Württemberg auch - bis 3 Uhr unter der Woche und bis 5 Uhr am Wochenende geöffnet bleiben. Vorher mussten sie bereits um 2 und 3 Uhr schließen. Von daher sind weder Zacherle noch Bürgermeister Wolfgang Erichson von den Zahlen überrascht. Allerdings versuchen auch beide, die Zahlen zu relativieren. Zacherle: "Wir bewegen uns damit auf dem Niveau von vor zwei Jahren."
Noch vor Kurzem sah es allerdings so aus, als ob die Altstadt immer friedlicher wird. Stolz hatte Zacherle noch im Gemeinderat verkündet, dass von 2013 auf 2014 die Zahl der Lärmbeschwerden von 308 auf 244 und damit um 20,8 Prozent zurückgegangen sei. Die Statistik legte auch nahe, dass die Altstadtwirte einen wichtigen Beitrag für mehr Ruhe leisten. Gab es in 2013 nämlich noch 98 Anzeigen wegen Lärms aus Gaststätten, waren es im Jahr darauf nur noch 57, also 41 Prozent weniger. Zum Vergleich: In 2010 waren sogar 167 Kneipenpächter von ihren Nachbarn wegen Ruhestörung angezeigt worden.
Mit der Abschaffung der Altstadtsperrzeiten gibt es also erstmals seit Jahren wieder einen deutlichen Anstieg der Ordnungswidrigkeiten. Dabei hatten die Befürworter der Liberalisierung gehofft, dass durch die längeren Kneipenöffnungszeiten die Besucherströme entzerrt und damit auch die Ruhestörungen weniger werden. "Die Lärmspitzen um 3 Uhr morgens gibt es wirklich nicht mehr", glaubt Erichson. Allerdings werde nun auch nach diesem Zeitpunkt weiter Alkohol getrunken. Daher könne es jetzt auch geschehen, dass noch um 4.30 Uhr morgens einige Gröler durch die Gassen ziehen. Sowohl Zacherle als auch Erichson glauben, dass sich das Anzeigeverhalten der Altstädter in den letzten vier Monaten geändert hat. Da die Anwohner nämlich wissen, dass der Gemeinderat erneut über die Sperrzeiten entscheiden wird, würden sie sich nun sehr schnell wegen Lärms beschweren - wohl wissend, dass jede einzelne Beschwerde dokumentiert wird.
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Es gibt aber auch positive Signale: Die befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben. Derzeit gebe es kein einziges juristisches Verfahren, berichtet Erichson. Nur eine Familie hatte versucht, beim Regierungspräsidium gegen die Liberalisierung der Sperrzeiten vorzugehen. Ohne Erfolg. Die Aufsichtsbehörde in Karlsruhe hatte sich auf die Seite der Stadt gestellt.
Wildes Urinieren an Hauswänden sei zwar sehr ärgerlich für die Anwohner, kommentiert Zacherle die anderen Zahlen. Allerdings glaubt er nicht, dass dieses Problem schlimmer als in den Vorjahren geworden sei. Vielmehr habe der rasante Anstieg bei dieser Art von Ordnungswidrigkeit damit zu tun, dass derzeit viele Zivilfahnder der Polizei nachts auf Streife sind. Eigentlich haben sie es dabei auf Taschendiebe abgesehen. Aber wenn sie einen Wildpinkler erwischen, wird auch dieser angezeigt.
Erichson setzt im Kampf gegen die Störer in der Altstadt nun auf den Kommunalen Ordnungsdienst, dessen Personaldecke von acht auf zwölf Mitarbeiter aufgestockt wurde. Alle Stellen sind inzwischen besetzt. Allerdings weiß der Bürgermeister ebenso wie Polizeirevierleiter Zacherle: Die heiße Phase kommt erst noch - wenn es nachts wieder richtig schön warm bleibt und die Kneipengänger länger draußen bleiben.



