Diskussion um Heidelberger Altstadtlärm: "Nicht die Kneipen sind das Problem"
Heidelberger Wirte fordern mehr Polizeipräsenz und ein Deeskalationsteams - Sie wollen an längeren Öffnungszeiten festhalten

"Die Altstadt war so, ist so und bleibt hoffentlich so": Die Wirte Simon Wakeling (links) und Daniel Wilson in der Kneipe ZKB. Foto: Rothe
Von Holger Buchwald
Ein Jahr ist es her, dass die Sperrzeiten für die Altstadt abgeschafft wurden. Seitdem gilt auch in diesem Stadtteil die liberalere Landesregelung für die Kneipenöffnungszeiten. Doch jetzt kommt das Thema wieder in den Gemeinderat. Am Mittwoch, 17. März, beschäftigt sich der Haupt- und Finanzausschuss damit. Die beiden Altstadtwirte Daniel Wilson (Jinx, Mel’s und Zimmer-Küche-Bar) und Simon Wakeling (Großer und Kleiner Mohr) betonen, dass eine einjährige Testphase nicht ausreicht.
IM GESPRÄCH
Wäre es wirklich so schlimm, wenn die Sperrzeiten wieder verlängert werden?
Wilson: Ja, wenn die Sperrzeiten nicht für das ganze Stadtgebiet gelten. Das wäre für uns ein extremer Wettbewerbsnachteil. Außerdem haben ja die drei Discos in der Altstadt eine Sondergenehmigung: Sie dürften weiter bis 5 Uhr öffnen. Deshalb würde sich nachhaltig nichts ändern.
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In der Altstadt gibt es viel mehr Kneipen als in anderen Stadtteilen. Wäre da nicht eine Sonderregelung zum Schutz der Anwohner angebracht?
Wilson: So hoch, wie es von den Gegnern immer behauptet wird, ist die Kneipendichte auch wieder nicht. Sie sprechen immer von 206 gastronomischen Betrieben in der Altstadt. Da gehört der Bäcker an der Ecke aber genauso dazu. Wenn wir jetzt mal wirklich nur von Kneipen reden, die abends frequentiert werden, sprechen wir von 15 bis 20 Betrieben.
Aber die rauben den Anwohnern den Schlaf.
Wakeling: Man muss doch auch mal an die vielen jungen Leute in der Stadt denken. Es stimmt doch irgendetwas nicht, wenn hier, im Zentrum des Zentrums, in einer Stadt mit weit über 30 000 Studenten, und in der jeder Dritte jünger als 30 Jahre alt ist, eine Gruppierung von alteingesessenen und mittlerweile auch etwas verbitterten Anwohnern die Belange des Stadtteils steuern will.
Wilson: Es gibt genügend Altstädte, die auch ein studentisches Leben haben. Regensburg zum Beispiel hat eine höhere Kneipendichte als Heidelberg, engere Gassen, ähnlich viele Einwohner und Studenten. Doch dort arbeiten alle zusammen. Wenn sich alle an einen Tisch setzen, können wir auch in Heidelberg die Situation verbessern. Wo viele Menschen sind, wird es immer ein bisschen Lärm geben, das ist normal. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, diesen zu verringern.
Jetzt hat man ein Jahr lang versucht, den Altstadtwirten entgegenzukommen und die Kneipenöffnungszeiten verlängert. Aber die Hoffnung, dass die Lärmproblematik dadurch abnimmt und die Besucherströme entzerrt werden, hat sich nicht erfüllt.
Wilson: Doch, ein bisschen schon. Ein Thema hatte man vor einem Jahr aber gar nicht auf den Schirm: Durch die Liberalisierung der Sperrzeiten haben nun auch die Imbisse in der Altstadt am Wochenende bis 5 Uhr geöffnet. Und die haben gar nicht die Kapazitäten, um vor ihrem Laden für Ruhe zu sorgen. Wir Wirte hingegen haben unsere Hausaufgaben gemacht und Türsteher angestellt. Nicht die Kneipen sind das eigentliche Problem, sondern der Lärm im öffentlichen Raum. Das bestätigt uns auch die Stadt in gemeinsamen Gesprächsrunden.
Die Polizei rechnet anders: Je länger die Kneipen öffnen, desto mehr Betrunkene, desto mehr Lärm und Schlägereien.
Wilson: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Wenn wir 2014 mit 2015 vergleichen, stimmt es, dass die Straftaten zugenommen haben. 2014 war aber ein glückliches Jahr mit niedrigen Zahlen. Das hatte etwas mit der WM und der guten Stimmung zu tun, aber auch mit dem verregneten Sommer. Tatsächlich hatten wir von 2011 bis 2014 mehr Straftaten und Lärmbeschwerden als im vergangenen Jahr. Und das trotz einer Lärmkampagne der Bürgerinitiative Linda in 2015.
Die Zahlen sind das eine. Das andere sind die Uhrzeiten, zu denen die Taten begangen werden. Die Polizei beschwert sich, dass ihre Kräfte bis in den Morgen in der Altstadt gebunden sind.
Wilson: Die Verstärkung des Kommunalen Ordnungsdienstes kam im Jahr 2015 noch nicht richtig zum Tragen. Die Leute wurden im April eingestellt, doch sie durften die ersten Monate nur in Zivil mitlaufen. Was die Polizei angeht: Bei jedem Fußballspiel werden Hunderte Beamte bereitgestellt, aber ein Stadtteil, der pro Abend mehrere Tausend Leute beherbergt, wird weitgehend sich selbst überlassen. Da darf man sich nicht wundern, wenn etwas aus dem Ruder läuft.
Die Wirte ärgern sich darüber, dass einige Dinge, die im Zuge der Sperrzeitdiskussion vom Gemeinderat beschlossen wurden, noch gar nicht umgesetzt wurden. Welche sind das?
Wilson: Die Stadträte hatten den Einsatz von Deeskalationsteams angeregt. Doch das hat man in Heidelberg bisher noch gar nicht versucht. München und bald auch Regensburg hingegen setzen Streetworker ein, die auf die Besucher einwirken und sie für die Lärmproblematik sensibilisieren. Hier in Heidelberg versucht der Jugendgemeinderat auch schon seit Jahren, durchzusetzen, dass die Nachtbusse halbstündlich fahren. Doch da geschieht auch nichts. Zudem gibt es noch immer zu wenige öffentliche Toiletten, um das Wildpinkeln einzudämmen.
Sie nennen immer wieder Regensburg als Beispiel. Was könnte Heidelberg von dieser Stadt lernen?
Wilson: Dort haben Stadt und Polizei ein Konzept erarbeitet, wodurch die Lärmbeschwerden und die Straftaten tatsächlich signifikant abgenommen haben. Die Polizei hat mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei ihre Präsenz in der Altstadt verstärkt. Zudem wurde am Gericht ein Schnellrichter installiert, der die Delikte in der Altstadt innerhalb von wenigen Tagen auf dem Tisch hat und aburteilt, was eine abschreckende Wirkung hat - nicht erst ein Dreivierteljahr später wie bei uns. Zudem würde ich mir in Heidelberg mehr Fußstreifen der Polizei wünschen und nicht nur, wenn etwas passiert ist. Außerdem finde ich die Strafen viel zu niedrig: 50 bis 80 Euro fürs Wildpinkeln. Da lachen die sich doch tot, das muss 500 bis 1000 Euro kosten.
Was haben denn die längeren Öffnungszeiten aus Ihrer Sicht für Ihre Lokale gebracht?
Wakeling: Früher musste ich um 3 Uhr 200 Leute auf einen Schlag auf die Straße schieben. Das war schwierig. Alle waren noch in Feierlaune und haben dementsprechend gegrölt. Heutzutage läuft es ganz entspannt. Sie gehen nach und nach, wenn sie ausgetrunken haben. Mal schließe ich um 4 Uhr, mal um halb fünf. Eines liegt mir übrigens schon die ganze Zeit auf dem Herzen: Ich selbst wohne seit 35 Jahren hier in der Altstadt, mit drei kleinen Kindern, der Jüngste ist jetzt acht. Ich weiß, was die Altstadt ist. Und wir wollen uns das nicht kaputtmachen lassen. Die Altstadt war so, ist so und bleibt hoffentlich so.
Sind Sie eigentlich sauer auf den Hotel- und Gaststättenverband? Die Stellungnahme für den Gemeinderat, dass sich die Situation in der Altstadt gebessert habe, ist ein bisschen dünn.
Wilson: Nein. Wir sind auf niemanden sauer. Weder auf den Dehoga noch auf die Anwohner. Wir finden einfach nur, man muss der Sache mehr Zeit geben. Wo gibt es sonst noch Stellschrauben, an denen man drehen kann? Das wäre doch eine interessante Frage. Wie können wir die Situation bei den Imbissen verbessern? Muss man deren Sperrzeiten verlängern oder sollte man auch für Ordnungspersonal sorgen? Es kann nicht sein, dass nur wir Wirte in der Pflicht sind.
Wakeling: Wenn ich meine Türsteher nicht hätte, würde ich meinen Verdienst verdoppeln. Ich spiele mit dem Gedanken, das Personal mal drei Monate lang abzuziehen. Damit die Anwohner endlich mal merken, wie ich auf der Straße für Ordnung sorge.
Wie lange soll der Testlauf noch gehen?
Wilson: Man braucht mindestens drei Jahre, um zu schauen, was Sache ist.



