Ohne drastischen Sparkurs droht Heidelberg die Zahlungsunfähigkeit
Am Rande des Machbaren: Es fehlen 90 Millionen Euro für einen ausgeglichenen Doppelhaushalt. Der Kämmerer appelliert, dass es beim Sparen "keine Tabus" geben dürfe.

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Ohne drastischen Sparkurs droht der Stadt die Zahlungsunfähigkeit. Allein im laufenden Jahr fehlen 32,5 Millionen Euro für einen ausgeglichenen Haushalt. Der neu gewählte Gemeinderat muss daher in seiner ersten regulären Sitzung einen Nachtragshaushalt verabschieden, der auch eine Haushaltssperre beinhaltet.
Noch herausfordernder werden für Stadtkämmerer Wolfgang Polivka und sein Team die Vorarbeiten für den nächsten Doppelhaushalt: Nach den derzeitigen Prognosen muss die Stadt in den nächsten beiden Jahren insgesamt 90 Millionen Euro einsparen, um ihre laufenden Ausgaben zu decken. "Das ist das Mindestziel", sagt Polivka.

Denn werden auch noch die Verpflichtungen aus den laufenden Krediten eingerechnet, müssten streng genommen sogar 200 Millionen Euro zusätzlich erwirtschaftet oder eingespart werden. Neue Investitionen – sei es in die Schulsanierung oder den Brückenbau oder die Anpassung an den Klimawandel – sind da noch gar nicht eingerechnet. Die erforderlichen Kredite dafür können nur mit einem ausgeglichenen Ergebnishaushalt aufgenommen werden.
> Allein im laufenden Jahr fehlen 30 Millionen Euro an Gewerbesteuer. Die stagnierende Konjunktur, die Inflation und die steigenden Personalkosten macht Polivka dafür verantwortlich, dass die Erträge der Unternehmen und damit auch die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt sinken. Hinzu kämen singuläre Ereignisse wie der Wegzug oder die Verlagerung von Firmen.
Aktuelle Beispiele darf der Stadtkämmerer aus Datenschutzgründen nicht nennen. In der Vergangenheit verließen aber zum Beispiel die Heidelberger Druckmaschinen oder MLP die Stadt. "Das Bemühen um die Wirtschaft ist besonders wichtig", sagt Polivka: "Denn nur so können wir uns auch Ausgaben für Kultur und Freizeit oder neue Wohnangebote leisten."
> Die Auswirkungen des Zensus sind noch nicht absehbar. Zum Stichtag der bundesweiten Volkszählung am 15. Mai 2022 lebten in Heidelberg 153.809 Menschen – damit lag die Zahl fast 10.000 Einwohner unter den Berechnungen des Statistischen Landesamtes. Da die Stadt über den kommunalen Finanzausgleich einen bestimmten Betrag pro Einwohner vom Land erhält, wird sich diese Zensuserhebung auch auf den Haushalt auswirken.
Zwar hat der Zensus für ganz Baden-Württemberg niedrigere Einwohner-Zahlen ergeben. Heidelberg sei davon aber überdurchschnittlich betroffen, daher könnte das 90-Millionen-Euro-Loch noch größer werden. Nach der Herbst-Steuerschätzung werden die Ausgleichszahlungen bekannt gegeben. Polivka: "Anfang November sehen wir klarer."
> Das Konnexitätsprinzip – wer bestellt, der bezahlt – gilt nicht mehr. Immer mehr kostspielige Aufgaben werden von Bund und Land auf die Städte und Gemeinden übertragen, ohne dass es dafür einen angemessenen Ausgleich gibt. "Wir sind am Rand des Machbaren", warnt Polivka.

So werden zum Beispiel die städtischen Ausgaben für die Kinderbetreuung von 85 Millionen Euro (2021) auf 123 Millionen Euro (2026) steigen. Die Erträge über Gebühren steigen im gleichen Zeitraum nur von 52 auf 58 Millionen. Das neue Bundesteilhabegesetz lässt die Kosten der Kommunen ebenfalls ansteigen. Im Fall Heidelbergs von 24 auf 42 Millionen Euro. So hat jetzt jeder Mensch mit Behinderung das Recht auf eine individuelle Betreuung, wodurch der Personalbedarf stark gestiegen ist.
"Unsere Kritik richtet sich nicht gegen das Gesetz", betont Polivka: "Wir bestehen aber auf eine Kostenbeteiligung von Bund und Land." Insgesamt stiegen die Personalkosten der Stadt Heidelberg wegen der höheren Tarifabschlüsse und eines Stellenausbaus von 170 Millionen (2021) auf 221 Millionen Euro (2024).
> Auch die Kosten für den Nahverkehr explodieren. Statt 32 Millionen Euro (2021) muss die Stadt bis 2026 stolze 51 Millionen Euro jährlich an die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH und an die Betreiber der Regionallinien bezahlen. Auch hier steigen die Ausgleichszahlungen unter anderem wegen des bundesweit eingeführten Deutschlandtickets.
Hinzu kommt in Heidelberg das Neun-Euro-Ticket für Kinder, Jugendliche und Schüler unter 21 Jahren und Inhaber eines Heidelberg-Passes. Die Kosten für das Projekt "HD4Mobility" beziffert Polivka auf rund fünf Millionen Euro jährlich. Auch darüber werde der Gemeinderat bei den Haushaltsberatungen sicherlich diskutieren müssen, glaubt Polivka: "Es darf keine Tabus geben."
> Ohne Hilfe sind die Zukunftsaufgaben nicht zu stemmen. "Die Wärmewende wird nur stattfinden können, wenn der Fokus aller darauf liegt", warnt Polivka und fordert damit mehr Engagement von Bund und Land. Dasselbe gelte für die Anpassung an den Klimawandel und die Mobilitätswende. Die Entwicklung von Patrick-Henry-Village müsse über eine Entwicklungsgesellschaft gehen. "Wir brauchen die Einwohnerzuwächse und die Wirtschaftsflächen." Und bei den anstehenden Investitionen – sei es in die verkehrliche Infrastruktur, in Schulen oder Turnhallen – müsse priorisiert werden.