Ein Anruf bei Thorsten Schmidt

"So schnell geben wir nicht auf"

Der Intendant des "Heidelberger Frühlings" über das abgesagte Festival und was daraus entstehen kann

20.03.2020 UPDATE: 22.03.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 31 Sekunden
Freundlich grüßt das Team des Klassikfestivals „Heidelberger Frühling“ – vorne links im Bild Intendant Thorsten Schmidt – sein Publikum. Das Festivalzelt, in dem das Foto aufgenommen wurde, wird nun nicht mehr gebraucht. Foto: studio visuell.

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Der "Heidelberger Frühling 2020" war in der Vorbereitung sowieso schon eine Herausforderung, denn erstmals fehlt die Stadthalle als großer Konzertsaal. Dafür waren ganz besondere Formate geplant, die der Musikvermittlung und dem Genuss neue Möglichkeiten eröffnen sollten. Intendant Thorsten Schmidt und sein Team waren mit Freude "unterwegs", ehe ihr Festival vor einer Woche wegen der Corona-Krise abgesagt wurde. Wie man die Situation mit viel Kreativität meistert, erzählte Thorsten Schmidt der RNZ am Telefon.

Herr Schmidt, was machen Sie an diesem Samstagabend, an dem eigentlich die große Auftaktveranstaltung des "Heidelberger Frühlings" stattfinden sollte?

Das ist eine gute Frage. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht. Ich hatte gar keine Zeit. Vermutlich sitze ich mit der Familie zusammen, wie alle. Die letzten Tage waren so turbulent, da konnte ich morgens nicht sagen, was nachmittags passiert.

Was war so turbulent?

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Wir müssen eruieren, wo wir finanziell stehen, wir müssen eine Fülle von Entscheidungen treffen, was die Verträge betrifft. Dinge, die während des Festivals sukzessive erledigt werden konnten, kommen jetzt auf einmal. Vor allem müssen wir überlegen, wie wir mit unserem Publikum in Verbindung bleiben. Als Trotzreaktion nach dem Motto: So schnell geben wir nicht auf.

Oh! Was meinen Sie damit?

Wir sind dabei, mit einem engen Freund des Festivals Livestream-Konzerte zu veranstalten. Mit wem, das verrate ich noch nicht. Wir wollen auch versuchen, mit vielen Künstlern, die in diesem Jahr aufgetreten wären, audiovisuellen Kontakt zu halten. Sie werden berichten, wie es in ihrer Welt jetzt aussieht. Und wir wollen Gesprächsformate entwickeln für das Internet, eventuell auch mit dem Rundfunk gemeinsam. Es gibt eine Menge Überlegungen, die Gemeinschaft des "Frühlings" mit Angeboten und Aktivitäten beieinander zu halten. Denn das ist es, was den "Frühling" prägt. Vielleicht können wir auch über die Ticketbörse des Freundeskreises noch eine Nachbarschaftshilfe einrichten.

Gibt es das nicht schon genügend?

Beim Freundeskreis fällt die Hemmschwelle vielleicht etwas niedriger aus. Man kennt sich ja untereinander.

Das Festivalzentrum auf dem Uniplatz steht. Wie lange noch?

Das ist das Allerschlimmste. Ich fahre jeden Morgen mit dem Fahrrad daran vorbei. Wir können aber auch alle sehen, worauf wir uns im nächsten Jahr freuen dürfen. Wir prüfen im Moment noch, ob dieser Bau der Stadt in diesen Krisentagen noch nützlich sein kann. Ansonsten werden wir es so schnell wie möglich zurückbauen lassen.

Eigentlich sollte dieses erste Jahr nach der Schließung der Stadthalle ein Aufbruch sein und die Musik tatsächlich in die Stadt bringen, auch in Kirchen, Kneipen, Bars.

Unser Motto "Unterwegs" ist leider kontraproduktiv in diesen Zeiten. Unsere Verantwortung ist es, alles zu vermeiden, bei dem Menschen sich in einem größeren Radius bewegen und zusammenkommen.

Was machen die Künstler jetzt? Was wissen Sie von denen?

Sie sind in einer unglaublich kritischen Situation, weil sämtliche Engagements wegbrechen. Die meisten können nicht auf Rücklagen zurückgreifen. Selbst erfolgreiche Orchester sind betroffen. Sie brauchen Auftritte, sonst geraten sie in Existenznöte. Wenn wir unsere Institution in ruhigerem Fahrwasser haben, werden wir schauen, wie wir den Kollegen unter die Arme greifen können.

Was ist da die Idee?

Es gibt noch nichts Konkretes, wir sind erst in Gesprächen. Es wird wohl erst einmal einen Fonds geben, und wir müssen dann die Menschen dazu bringen, zu spenden. Für uns ist es sehr schön, dass wir jetzt eine unglaubliche Welle der Solidarität erfahren. Das betrifft auch die Rückzahlung der Ticketpreise für die ausfallenden Veranstaltungen.

Wie viele Zuhörer haben Ihnen gesagt, dass sie auf die Rückzahlung verzichten?

Es sind zum jetzigen Zeitpunkt etwa zehn Prozent der Kartenkäufer, aber ich kenne das finanzielle Volumen noch nicht. Ab und zu bekommen wir auch gezielt einen Spendenscheck zur Unterstützung der Künstler.

Ein schönes Zeichen der Solidarität und der Hoffnung auf bessere Zeiten. Ihre Sponsoren bleiben sicher auch dabei?

Wir haben ganz wunderbare Reaktionen von unseren Sponsoren bekommen. Viele haben sich gemeldet und gesagt, wir bleiben dabei. Jetzt müssen wir schauen, wie die Vertragssituation ist. Es waren ja auch Konzertprojekte und Kundenveranstaltungen vorgesehen. Da müssen wir im Gespräch klären, wie es weitergeht.

Was passiert mit Ihren Mitarbeitern, die jetzt vier Wochen lang auf Hochtouren gearbeitet hätten? Werden sie in die Corona-Ferien geschickt?

Wir haben erst einmal extrem viel zu tun, gerade auch mit den geplanten Digitalformaten. Unsere 24 Mitarbeiter – zur Hauptzeit des Festivals sind es natürlich mehr – sind gut beschäftigt, da etwas auf die Beine zu stellen. Wir haben aber viele ins Homeoffice geschickt, sodass in jedem Büro nur einer sitzt und der Abstand voneinander gewahrt bleibt. In der Vorbereitungszeit des Festivals waren sie wahnsinnig gefordert, und mit dem Spannungsabfall wird man ja oft krankheitsanfälliger. Es gibt auch noch immer diese Schockstarre bei uns. Wenn Sie jetzt Vertragsverhältnisse lösen und mit den Menschen sprechen, mit denen Sie den Auftritt ein Jahr lang vorbereitet haben, dann ist das schon schlimm.

Eigentlich planen Sie ja längst die nächsten Jahre. Passiert das jetzt auf Sparflamme?

Das nächste Festival vom 20. März bis 18. April 2021 muss in diesem Sommer geplant und finanziert sein. Und in diese Arbeit werden wir uns gerne stürzen.

Das schöne große Programmbuch des "Frühling 2020" kommt jetzt ins Altpapier. Was ist das für ein Gefühl?

Einfach schade. Es steckt so viel Liebe und Detailarbeit drin. Das geht schon an die Nieren. Aber wir stehen alle hinter der Entscheidung, den "Heidelberger Frühling" abzusagen. Jeder einzelne von uns hat jetzt Verantwortung dafür, wie es mit dem "Frühling" weitergeht, aber langsam überwiegt auch die Sorge um die Gesellschaft in diesen Zeiten.

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