"Aids ist kein Todesurteil mehr"
Seit damals ist unheimlich viel passiert - Diskriminierung noch immer ein großes Problem

Heute ist Welt-Aids-Tag - zum 30. Mal. Im RNZ-Interview erklären die beiden Vorstandsmitglieder der Heidelberger Aids-Hilfe, Karl-Heinz Riegler und Heidi Emling, wie erfolgreich ihre Arbeit ist - und was noch getan werden muss. Foto: Rothe
Von Katharina Kausche
Heidelberg. Seit 1988 ruft der Welt-Aids-Tag jährlich am 1. Dezember zu Solidarität mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken auf. Aids ist eine Infektion, die das Immunsystem schädigt, bis selbst eine Grippe tödlich enden kann. Eine HIV-Infektion bedeutet nicht gleich Aids. Erst wenn andere Krankheiten, etwa eine Lungenentzündung oder eine Pilzinfektion, auftreten, gilt die Krankheit als ausgebrochen.
Heute ist eine HIV-Erkrankung zwar behandelbar, aber weiterhin nicht heilbar. Karl-Heinz Riegler, Vorstandsmitglied der Heidelberger Aids-Hilfe, lebt seit mehr als 30 Jahren mit dem HI-Virus, seit 2000 unter der Nachweisbarkeitsgrenze. Das heißt: Die Viren sind nicht mehr in seinem Blut nachzuweisen und können nicht übertragen werden. Die RNZ sprach mit Riegler und seiner Vorstandskollegin Heidi Emling.
Seit 32 Jahren gibt es die Aids-Hilfe Heidelberg und seit 30 Jahren den Welt-Aids-Tag. Was hat sich für HIV-infizierte Menschen verändert?
Riegler: Wahnsinnig viel! Aids ist kein Todesurteil mehr. Man kann damit leben, arbeiten - und viel freier leben als Anfang der neunziger Jahre.
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Emling: Früher haben wir hier in der Aids-Hilfe fast nur Sterbebegleitung gemacht. Jetzt betreuen und begleiten wir Menschen über Jahre hinweg. Bei der medikamentösen Behandlung ist auch einiges passiert. Das war früher eine Tortur für alle HIV-Infizierten.
Riegler: Eine Handvoll Tabletten am Tag oder mehr. Heute reichen ein oder zwei.
Wie viele HIV-positive Menschen gibt es in Heidelberg?
Emling: Es gibt keine Erhebungen für Heidelberg. Wir betreuen etwa 150. Aber aus den Kliniken hören wir von 300 bis 400 Menschen, die in Behandlung sind.
Riegler: Aus Anonymitätsgründen gehen auch viele eher in anderen Städten zu den Beratungsstellen.
Sie betreuen neben Betroffenen auch die Angehörigen. Was bieten Sie an?
Riegler: Wir machen viel Präventionsarbeit und informieren über Übertragung. Und wir haben Selbsthilfegruppen für HIV-Positive. Viele öffnen sich aber erst ein paar Jahre nach der Diagnose für solche Angebote.
Emling: Ein großer Teil ist die psychosoziale Betreuung. Wir sind oft die ersten und einzigen, mit denen Betroffene reden. Es gibt viele Fragen: Wie geht es weiter? Kann ich noch Kinder bekommen? Muss ich die Diagnose der Versicherung melden? Viele betreuen wir über Jahre. Sie finden hier eine Art Zuhause.
Das Robert-Koch-Institut geht für 2017 erstmals von einem Rückgang der Menschen, die mit der Diagnose HIV-positiv leben, aus. In Baden-Württemberg gingen die Neuinfektionen von 270 auf 250 zurück. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Emling: Es zeigt, dass unsere Prävention greift. Wir machen seit zwei Jahren sehr stark Werbung für den Selbsttest. Früher wollten wir das nicht, weil wir denken, dass die Diagnose im Beisein eines Arztes besser verarbeitet werden kann. Aber durch den Selbsttest machen jetzt vermutlich auch diejenigen einen Test, die sich sonst nicht testen lassen würden.
Riegler: Mit unserer Aktion "Jugend zeigt Schleife" wollen wir gezielt Schüler durch Schüler informieren. Im Moment machen 24 Schulen mit, die noch bis heute Infomaterialien und Teddys abholen können. Der Erlös der Teddys geht dann etwa an den Förderverein der Aids-Hilfe.
Woran muss noch gearbeitet werden?
Emling: An der Diskriminierung. Das ist das größte Problem!
Riegler: Vor allem im Beruf. Wir hatten erst dieses Jahr wieder den Fall, dass jemand direkt nach Bekanntwerden der Diagnose gekündigt und damit geoutet wurde. Natürlich ohne ein Gespräch.
Emling: Es ist nie ganz klar, warum eine Person nicht eingestellt wird. Wir hören aber immer wieder, dass Chefs beim offenen Umgang mit der Diagnose HIV so argumentieren: "Ich habe ja nichts dagegen, aber die Mitarbeiter." Stigmatisierung und Ausgrenzung gibt es leider immer noch.
Am 3. Dezember ist wieder "Pink Monday" auf dem Weihnachtsmarkt, mitveranstaltet von der Aids-Hilfe. Warum eigentlich die Farbe Pink?
Emling: Pink ist die Farbe der Queeren. Früher stand sie für Stigmatisierung, heute für Stolz.
Riegler: Rathaus, Herkulesbrunnen, Heiliggeistkirche und das Hotel "Zum Ritter" werden pink angeleuchtet. Es geht darum, einen Treffpunkt für Queere in der Region zu schaffen. Heidelberg zeigt damit: Wir sind eine tolerante und weltoffene Stadt.