10 Jahre Emmertsgrund-Entscheid

Die Geschichte des ersten Heidelberger Bürgerentscheids

Es ging um die Zukunft der GGH-Wohnungen - Eigentlich war es ein Fehlschlag

12.07.2018 UPDATE: 13.07.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden

Von Micha Hörnle

Heidelberg. Eigentlich war der erste Heidelberger Bürgerentscheid vor zehn Jahren ein Fehlschlag. Zwar gab es eine überwältigende Mehrheit gegen den Verkauf der 610 städtischen Wohnungen in der Emmertsgrundpassage an den weitgehend unbekannten Investor Dreges.

Allerdings wurde das Quorum von 25 Prozent verfehlt, das das Votum rechtlich bindend gemacht hätte. Und doch kam alles am Ende so, wie es die Betreiber des Plebiszits erhofft hatten: Die Kommunalpolitik erklärte sich bereit, das Ergebnis des Entscheids anzuerkennen - und den längst projektierten Verkauf abzusagen.

Eckart Würzner, der erst gut eineinhalb Jahre zuvor Oberbürgermeister geworden war, hatte wenig eigene Karten in diesem Spiel, denn er war gegen den Verkauf (wie auch seine Vorgängerin Beate Weber-Schuerholz), wohingegen Baubürgermeister Raban von der Malsburg den Immobiliendeal energisch befürwortete.

Hintergrund

Wie GGH-Chef Peter Bresinski den Bürgerentscheid heute sieht

hö. Peter Bresinski ist seit 2003 Geschäftsführer der GGH. Vor zehn Jahren wollte er noch die 610 Emmertsgrundwohnungen aus seinem Bestand verkaufen.

Herr Bresinski, wenn Sie auf den

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Wie GGH-Chef Peter Bresinski den Bürgerentscheid heute sieht

hö. Peter Bresinski ist seit 2003 Geschäftsführer der GGH. Vor zehn Jahren wollte er noch die 610 Emmertsgrundwohnungen aus seinem Bestand verkaufen.

Herr Bresinski, wenn Sie auf den Bürgerentscheid zurückblicken: War er gut oder schlecht für die GGH?

Auf jeden Fall hat er nicht geschadet. Er hat die Wahrnehmung der GGH als sozial verantwortungsbewusstes und gleichzeitig wirtschaftlich agierendes kommunales Unternehmen gestärkt. Dass bestimmte Entscheidungen bei Unternehmen der öffentlichen Hand schon einmal einem solchen Prozess unterworfen werden, muss man hinnehmen und den Diskurs führen.

Hätten Sie sich manchmal das Geld aus dem Verkauf der Emmertsgrundwohnungen gewünscht?

Selbstverständlich. Das Geld hätten wir sehr gut gebrauchen können. Das war damals eine Konsolidierungsphase, in der wir überlegt haben, wie man die vorhandenen finanziellen Ressourcen effektiver einsetzen und Verluste aus einzelnen Liegenschaften vermeiden kann.

Teilen Sie die Zweifel, die viele am damaligen Käufer, der Dreges, hatten?

Inhaltlich nicht so sehr, denn die Dreges hatte sich auf einen Vertrag eingelassen mit Sozialaspekten und Instandhaltungsverpflichtungen inklusive eines wirtschaftlich sehr harten Rückübereignungsrechts, das deutschlandweit seinesgleichen gesucht hätte. Von der Darstellung her allerdings schon, denn die Dreges konnte die Öffentlichkeit nicht durch einen transparenten Auftritt überzeugen. Das war sicher ein Fehler.

Andererseits verkaufte die Baugenossenschaft Neu-Heidelberg ihre Emmertsgrund-Wohnungen erst an die Dreges, dann an eine weitere Gesellschaft. Wissen Sie, wie sich das auf die Mieter am Jellinekplatz ausgewirkt hat?

Wie ich von den Kollegen der Genossenschaft weiß, gibt es dort keine Probleme. Die neue Eigentümerin, die GWH aus Frankfurt, bewirtschaftet die Wohnungen professionell im Sinne eines Dauerengagements eines typischen Bestandshalters. Viele Bewohner sind wohl auch Genossenschaftsmitglieder geblieben.

Ist der Emmertsgrund immer noch das ungeliebte Kind der GGH?

Das ist definitiv nicht der passende Ausdruck. Wir haben uns ja nach der Entscheidung über den Verbleib der Wohnungen bei der GGH nicht von den Bewohnern abgewendet. Wir bewirtschaften die Wohnungen dort mit genau demselben Engagement wie bei unserem übrigen Bestand. Wir haben die Emmertsgrundpassage 1986 leider zu teuer bezahlen müssen, das können wir nicht mehr zurückdrehen; aber dafür können ja die Mieter nichts.

Manches im Stadtteil wurde schon saniert, aber an die Hochhäuser hat sich die GGH noch nicht herangetraut, oder?

Teils, teils. Wir haben beispielsweise die Hauseingänge und Treppenhäuser der Emmertsgrundpassage 21 bis 31 und des Otto-Hahn-Platz 2 für sehr viel Geld saniert, ebenso die Tiefgarage. Bei den geraden Hausnummern zum Tal hin wurden die Dächer und Kellerdecken gedämmt und die Fassade renoviert. Außerdem haben wir zwei Gästewohnungen und zwei Studenten-WGs eingerichtet. Das Café vor der Passage 1 wurde aufgegeben, und wir haben dort für die Stadt das neue Seniorenzentrum gebaut. Das ehemalige Dienstleistungszentrum der GGH wurde zu einer Kinderarztpraxis umgebaut, und wir haben ein Sicherheitskonzept aufgelegt. Darüber hinaus haben wir über das Metropolink-Festival eine Fassadenmalerei erhalten, die identitätsstiftend wirkt. Eine Generalsanierung der Hochhäuser wird wohl ohne Fördermittel nicht machbar sein. Das ist aber auch nicht dringend nötig.

Es gab einen Leerstand von zehn Prozent in den Hochhäusern. Gibt es den noch?

Nein, der Leerstand liegt aktuell bei rund einem Prozent. Das ist für ein Ensemble mit dieser Struktur die absolute Untergrenze. Wir profitieren natürlich auch von der allgemein starken Nachfrage nach Wohnraum.

Wo steht Ihrer Meinung nach der Emmertsgrund in zehn Jahren?

In etwa wie heute. Ich rechne nicht mit nennenswerten Veränderungen in einer solchen Zeitspanne. Dafür müssten deutliche strukturelle Eingriffe erfolgen, die ich zunächst nicht erwarte.

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22 Jahre zuvor, 1986, war die städtische Wohnungsgesellschaft GGH von der Stadt gedrängt worden, die Wohnanlage vom insolventen Gewerkschaftskonzern "Neue Heimat" zu übernehmen. Weil die GGH aus dem Rathaus damals nicht finanziell unterstützt wurde, musste sie den Kaufpreis von 33,7 Millionen Euro auf Pump finanzieren.

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Den Schuldenberg konnte die GGH nur sehr langsam abtragen - schließlich waren die Mieteinnahmen im Emmertsgrund gering -, 2008 waren es noch 20 Millionen. Die restlichen zehn Millionen aus dem Verkauf an Dreges - sie sollte 31,3 Millionen Euro für die Hochhäuser bezahlen - wollte man für bezahlbaren Wohnraum verwenden, gedacht war in erster Linie an die Bahnstadt, die damals noch im Planungsstadium war.

Fast zeitgleich wurde bekannt, dass die Baugenossenschaft Neu-Heidelberg 307 Wohnungen am Jellinekplatz für 12,6 Millionen Euro an genau dieselbe Dreges verkauft hatte - ohne dass es zu Protesten gekommen war. Im Herbst des Jahres machte Neu-Heidelberg den Deal rückgängig, später sprang dann der Frankfurter Konzern GWH ein.

Hintergrund

Text des Bürgerentscheids: "Sind Sie für den Erhalt der 610 sozialgebundenen Wohnungen in der Emmertsgrundpassage als städtische Wohnungen im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (GGH)?"

Wahlberechtigte: gesamt: 100.675.-

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Text des Bürgerentscheids: "Sind Sie für den Erhalt der 610 sozialgebundenen Wohnungen in der Emmertsgrundpassage als städtische Wohnungen im Besitz der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (GGH)?"

Wahlberechtigte: gesamt: 100.675.- Emmertsgrund: 4475

Abgegebene Stimmen: 22.524.- Emmertsgrund: 1398

Davon gültig: 22.462.- Emmertsgrund: 1392

Beteiligung: 22,4 Prozent - Emmertsgrund: 31,2 Prozent

Ja-Stimmen: 18.481.( 80,3 Prozent) - Emmertsgrund: 1178 (84,6 Prozent)

Nein: 3981 (17,7 Prozent) - Emmertsgrund: 214 (15,4 Prozent)

Höhe des Quorums 2008: 25 Prozent - 25.169 Stimmen

Höhe des Quorums seit 2015: 20 Prozent - 20.135 Stimmen hö

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Zunächst sah alles ganz klar und in Malsburgs Sinne aus: Denn am 30. Januar 2008 beschloss der Gemeinderat mit 22 zu 17 Stimmen den Verkauf. Dabei waren die Lager durchaus bunt gemischt: Dafür stimmten damals CDU, FDP und Freie Wähler, aber auch die eine Hälfte der GAL-Grünen (die sich kurz darauf trennen sollten) sowie Generation-HD, dagegen waren SPD, Bunte Linke, die andere Hälfte der GAL-Grünen, aber auch die "Heidelberger".

Die einen hatten großes Vertrauen in Dreges, sahen die GGH von Altlasten befreit und beteuerten, dass sich für die Mieter sowieso wenig ändern würde, weil die Mietpreisbindung bis 2029 gelten würde. Die anderen fürchteten, dass sich Dreges am Emmertsgrund schadlos halten und zu wenig investieren würde - ihn womöglich am Ende sogar weiterverschachern könnte.

Schon bei der Gemeinderatssitzung hatten die Verkaufsgegner, das "Bündnis für den Emmertsgrund", angekündigt, 10.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zu sammeln - um den ersten Heidelberger Bürgerentscheid überhaupt zu ermöglichen.

Am 17. März 2008 waren schließlich 11.128 gültige Unterschriften zusammengekommen und wurden Würzner vor dem Rathaus übergeben. Spätestens da gab es kein Zurück mehr - auch wenn ein juristisches Gutachten der Stadt zum Schluss kam, das Bürgerbegehren sei nicht zulässig. Schließlich entschied der Gemeinderat am 3. April, von sich aus einen Bürgerentscheid zu initiieren.

Dann begann ein Wahlkampf, der stellenweise sehr hart geführt wurde. Da sich die Stadt aus allem heraushielt, musste die GGH ganz ungewohnt eine Kampagne aus dem Boden stampfen - aber hatte nie eine richtige Chance gegen die erprobten Parteiorganisationen und den Enthusiasmus des "Bündnisses für den Emmertsgrund".

Der Gemeinderat war es auch, der das an sich ihn nicht bindende Ergebnis des Bürgerentscheids am 24. Juli anerkannte - und für den Verbleib der Wohnungen bei der GGH stimmte. Allerdings war die Mehrheit mit 21 zu 18 Stimmen sehr knapp. Entscheidend waren ein paar GAL-Grüne, die ihre frühere Entscheidung revidierten.

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