Über Tod und Trauer reden

"Kinder halten Wahrheit besser aus"

Trauer bei Kindern zeigt sich anders als bei Erwachsenen. Trauerbegleiterin Sarah Benz über offene Worte, Trauerpfützen, Trauermeere - und warum Abschiednehmen ein Recht ist. 

17.10.2025 UPDATE: 17.10.2025 08:17 Uhr 3 Minuten, 4 Sekunden
Wie Kinder Tod und Trauer miterleben, kann sie für Verlusterfahrungen stärken. Foto: Annette Riedl/dpa-tmn
Interview
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Sarah Benz

... ist Bestatterin, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin und Autorin.

Von Bettina Lüke

Wenn jemand stirbt, wollen viele Eltern Kinder vor dem Schmerz schützen – und sagen lieber nichts. Doch genau das kann mehr verunsichern als trösten, sagt Trauerbegleiterin Sarah Benz. Im Gespräch erklärt sie, wie Erwachsene ehrlich und kindgerecht über Tod und Trauer sprechen und Kinder einbeziehen können.

Viele Eltern wollen Kinder vor dem Thema Tod schützen. Warum ist Schweigen keine gute Idee?

Kinder spüren sofort, dass etwas nicht stimmt – auch wenn niemand etwas sagt. Dann fangen sie an, sich Geschichten zusammenzureimen: "Ich war schuld" oder "Ich darf nicht fragen". Das macht alles schlimmer. Sie brauchen klare, einfache Worte und Menschen, denen sie vertrauen können und die bei ihnen bleiben. 

Wie kann man Kindern überhaupt erklären, was "Tod" bedeutet?

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Trauer: Wie findet man die richtigen Worte für Trauernde?

Wahr und konkret. Ich sage gern: "Wenn jemand stirbt, hört das Herz auf zu schlagen, der Körper kann nichts mehr tun – nicht mehr atmen, essen, denken." Das verstehen auch Fünfjährige. Wir müssen nicht alles schönreden. Kinder halten Wahrheit besser aus als Unklarheit.

Ab wann verstehen Kinder, dass der Tod endgültig ist?

Unter drei merken sie vor allem die Trennung und unsere Stimmung. Im Vorschulalter glauben sie oft, der Tod sei rückgängig zu machen – wie ein Zaubertrick. Ab etwa sechs begreifen sie: Tod ist für immer. Dann kommen viele sachliche Fragen. Es hilft, wenn wir das akzeptieren und nicht abwinken. Kinder haben ein großes Bedürfnis, sich die Welt zu erklären. Natürlich wächst mit dem Todesverständnis die Todesangst, das ist normal. Dann ist es besonders wichtig Erwachsene zu haben, die bei diesen Prozessen begleiten und zeigen, wie man mit Ängsten gut umgehen kann.

Sollte man Kindern zeigen, wenn jemand gestorben ist – auch am offenen Sarg?

Ja, wenn sie wollen. Abschied mit allen Sinnen hilft, zu begreifen, dass der Mensch tot ist. "Behalte ihn lebendig in Erinnerung" reicht Kindern nicht. Sie dürfen sehen, berühren, mitgestalten – den Verstorbenen anziehen helfen, Blumen legen, den Sarg bemalen, niemand darf Zugehörigen den Abschied verwehren, darauf haben wir alle ein Recht. Wichtig ist, dass wir dabei gut begleitet werden, da braucht es, besonders bei Kindern, einen geschützten Raum, Zeit und eine Person, der sie vertrauen. 

Manche Bestatter raten davon ab – was dann?

Das passiert manchmal, wenn der verstorbene Mensch verletzt ist oder anderweitig versehrt. Aber Verletzungen können versorgt und Körperteile abgedeckt werden. Es ist meine Aufgabe als Bestatterin die Menschen in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung zu treffen, die für sie gut ist. Das braucht Zeit, besonders wenn sie diese Entscheidung auch für ihre Kinder treffen müssen. Aber wenn sie sich dafür entscheiden, darf es nicht verboten werden. Ich sage oft: "Der Körper ist nicht gefährlich, er ist nur tot." Wenn Menschen sich verabschieden können, werden sie oft ruhiger. Das gilt auch für Kinder. Wenn einem die Bestattenden gar nicht zusagen, ist es auch immer möglich das Bestattungsinstitut zu wechseln.

Viele Eltern fragen: Wie viel Trauer "verträgt" ein Kind?

Das lässt sich nicht allgemein sagen. Kinder haben auch ein Recht auf ihre Trauer. Aber sie trauern anders – sie springen durch Trauerpfützen: sie sind kurz sehr traurig, dann spielen sie wieder. Das wechselt schneller. Das ist keine Oberflächlichkeit, sondern Selbstschutz. Erwachsene gehen eher durch Trauermeere. Beides ist richtig. Wichtig ist, dass Kinder Erwachsene haben, die ihre Trauer aushalten und sie darin begleiten.

Welche Rituale helfen Kindern?

Kinder brauchen Handlung, um Gefühle ausdrücken zu können. Dann wird Trauer leichter begreifbar. Das geht schon mit kleinen, einfachen Gesten - eine Kerze anzünden, dem Stern am Himmel etwas erzählen, ein Herz aus Rinde bemalen und ans Grab legen.

Wie kann man über Glauben oder "Himmel" sprechen, ohne etwas Falsches zu sagen?

Indem man ehrlich sagt, was man selbst glaubt – und was andere glauben könnten. Kinder dürfen hören: "Manche denken, die Seele ist im Himmel; andere glauben, dass sie im Herzen weiterlebt." Es ist okay zu sagen: "Ich weiß es nicht." Das nimmt Angst und öffnet Raum für eigene Bilder.

Was, wenn ich selbst nicht stark bin und beim Reden weinen muss?

Dann kann ich die Tränen erklären: "Ich weine, weil ich auch ganz traurig bin – und wir halten unsere Trauer zusammen aus." Kinder dürfen sehen, dass Erwachsene auch Gefühle haben. Es geht nicht darum, stark zu sein, sondern echt.

Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft im Umgang mit Trauer?

Dass der Tod in unserem Leben seinen Platz haben darf. In der Schule, im Alltag, im Gespräch. Verluste prägen unser ganzes Leben, nicht nur durch Tod, auch durch Trennung, Umzüge, Schulwechsel usw. Wenn wir Kindern beibringen, wie man gut mit Verlusten umgehen kann, schenken wir ihnen etwas sehr Wertvolles.

Das Buch von Sarah Benz "Sarggeschichten – warum selbstbestimmtes Abschiednehmen so wichtig ist" (Mosaik, 2023) teilt wichtige Informationen, erzählt Beispiele aus der Praxis und zeigt Wege zu einem offeneren Umgang mit Sterben und Abschied.

«Sarggeschichten» von Sarah Benz, Katrin Trommler, Mosaik Verlag, 320 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-442-39403-6. Foto: Tara Wolff/Mosaik Verlag/dpa-tmn