Fotojagd auf der Trollzunge
Die Trolltunga in Südnorwegen ist von Touristen überschwemmt - und dennoch einen Besuch wert

Von Wibke Helfrich
An Eurer Stelle würde ich morgen ganz früh - zum Sonnenaufgang - losgehen, da ist weniger los, und die Sonne scheint." Fragend schauen wir den vollbärtigen Wächter auf dem riesigen Parkplatz vor dem Ausflugslokal Øygards-stølen, von dem die Wanderung zum berühmten Kjeragbolten startet, an. Fragend deshalb, weil erstens der Parkplatz nicht so aussieht, als wäre hier jemals wenig los und zweitens, weil es gerade in Strömen regnet. Gemächlich zückt er sein Handy: "Hier, schaut: morgen früh ab 6.30 Uhr Sonne." Unsere Wetter-App zeigt Regen. "Ach" schnaubt er verächtlich. Morgen früh Sonne, morgen Mittag Regen, glaubt mir!".
Hintergrund
Anreise: Mit dem Auto mit der Fähre von Hirtshals/Dänemark nach Kristiansand/Norwegen; www. directferries.de. Per Flugzeug nach Stavanger oder Bergen. Von dort weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Mietwagen. Vom 1.7.-31.8. gibt es einen Expressbus
Anreise: Mit dem Auto mit der Fähre von Hirtshals/Dänemark nach Kristiansand/Norwegen; www. directferries.de. Per Flugzeug nach Stavanger oder Bergen. Von dort weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Mietwagen. Vom 1.7.-31.8. gibt es einen Expressbus zwischen den Startpunkten für die Wanderungen zum Preikastolen und zur Trolltunga; www. gofjords.com.
Übernachten: Das Trolltunga Hotel in Odda verfügt über 4er Zimmer oder Doppelzimmer. Von hier fährt ein Shuttle zum Ausgangspunkt der Wanderung. DZ mit Frühstück ab 124 Euro. www.trolltunga-hotel.no/en. Lofthus Camping liegt spektakulär über dem Hardanger Fjord. Zeltplatz ab 15 Euro, Bungalow für zwei ab 40 Euro, www.lofthuscamping.com.
Bergführer: Trolltunga-Active bietet geführte Wanderungen zur Trolltunga auch mit Übernachtung im Freien. Zwei-Tageswanderung ab 400 Euro; trolltunga-active.com.
"Und was machen wir gegen Menschenmassen?" fragen wir. "Früh aufstehen!" antwortet er grinsend. Noch sitzt uns die Wanderung zum berühmten Preikastolen in den Knochen - weniger, weil sie so anstrengend war, sondern eher, da wir dieses eigentlich wunderschöne Naturerlebnis mit gefühlt 1000 anderen Wanderern teilen mussten. Die Wanderung zur 25 mal 25 Meter großen Felskanzel über dem Lysefjord wäre grundsätzlich sehr hübsch - wenn man die Menschenmassen ausblenden könnte.
Warum der Preikastolen so beliebt ist? Im August letzten Jahres erschien in den Kinos ein neuer Teil von "Mission Impossible" mit Tom Cruise. In diesem Film hängt er spektakulär an der 604 Meter über dem Lysefjord thronenden Felskante, was für viele ein Selfie an dieser Location noch wünschenswerter macht. So hüpfen und posieren etwa 300.000 Besucher im Jahr auf der Felsplattform herum, um das beste Erinnerungsfoto mit nach Hause zu nehmen - Tendenz steigend.
Diesen Anblick würden wir uns beim mindestens ebenso beliebten Kjeragbolten gerne ein weiteres Mal ersparen, also quälen wir uns im Morgengrauen aus den Federn und stapfen noch ziemlich verschlafen in der Dämmerung los. Einige andere Wanderer hatten die gleiche Idee, aber da die Wanderung mit einem ziemlich anspruchsvollen Einstieg beginnt, der an einigen Stellen mit Drahtseilen gesichert ist, sind wir doch ziemlich bald alleine. Unser freundlicher Parkplatzwächter hat nicht gelogen: Über den Bergen geht die Sonne auf und lässt die noch feuchten Granitplatten glitzern. Ein rotes T markiert den gut ausgezeichneten Wanderweg, verlaufen können wir uns also nicht. 4,5 Kilometer gehen wir den Berg hinauf, um dann wieder auf der anderen Seite in ein grünes Tal abzusteigen, um dessen Fluss zu queren.
Fast hätten wir das Highlight der Wanderung gar nicht gefunden, denn der Zugang zum Kjeragbolten - ein etwa fünf Quadratmeter großer Granitkeil, der zwischen zwei fast 1000 Meter in den Lysefjord abstürzenden Wänden feststeckt - führt durch eine verdeckte Felsscharte. Um für ein Foto auf den Bolten zu steigen, muss man 100 Prozent schwindelfrei und der Fels nicht nass sein, denn von hier geht es ungeschützt 1000 Meter in die Tiefe. Schutzzäune sind hier Fehlanzeige, die Norweger setzen auf Eigenverantwortung.
Auch wenn die Norweger keine Sicherheitszäune um diese exponierten Felsen bauen, so versuchen sie trotzdem, die Touristen vor sich selbst zu schützen: Seit 2017 gibt es beispielsweise auf der beliebten Trolltunga-Wanderung in der Hochsaison Bergwächter (finanziert von den Parkplatzgebühren), die die Strecke ablaufen. Immer wieder müssen sie schlecht vorbereitete Wanderer retten, die das Wetter und die Anstrengung unter- und sich selbst überschätzen. Die Natur ist eben doch kein Selfie-Motiv, das man einfach abhaken kann.
Denn die Trolltunga ist der Star der sozialen Medien - sie wurde 2014 von einem Internetportal zum besten Selfie-Spot weltweit gekürt. Und obwohl ich nun wirklich keine Selfie-Königin bin, ging es mir genauso. Als ich das erste Mal ein Bild der "Trollzunge" sah, wusste ich sofort: Da will ich hin, das Foto möchte ich auch haben. Ausgesetzte Höhenlage, eine grandiose Weitsicht über den See, Wasserfälle, Gletscher und Berge. Und der Adrenalinschub beim Stand auf der schmalen Felszunge ist auch nicht zu verachten.
Dieses perfekte Bild muss man sich aber hart verdienen: wer die 27,5 Kilometer lange Wanderung angeht, muss gleichzeitig auch 1000 Höhenmeter überwinden. Trotzdem ist der mit "schwarz" bewertete Weg mit 100.000 Besuchern - alleine im letzten Sommer - gut besucht.
Oft ist ein Motiv, das man schon tausendmal auf Fotos gesehen hat, in der Realität etwas enttäuschend. Die Trolltunga gehört definitiv nicht dazu. Die zehn Meter lange Felszunge, die sich von einer Breite von fünf Metern auf wenige Zentimeter verjüngt, ragt waagrecht aus der Wand über den See. Die umliegenden Berge und der See schimmern im Nachmittagslicht bläulich, in der Ferne strahlt der Folgefonna - mit 214 Quadratkilometern drittgrößter Festlandgletscher Norwegens. Wir haben Glück und können direkt auf der Trollzunge posieren, ohne in einer Warteschlange zu stehen. In der Hochsaison kann die Wartezeit durchaus bis zu vier Stunden lang sein.
Wandern in Norwegen ist aber keinesfalls nur etwas für Outdoor-Enthusiasten oder von Selfie-Touristen übervölkert. Laut Wanderführerin Akhila von Tolltunga-Active beschränken sich die meisten auf diese drei Highlights in Südnorwegen. Alle anderen Wanderwege sind immer noch so verlassen und natürlich, wie es in Norwegen sein sollte. Akhila liefert gleich noch Tipps mit: Der Dronningstien, der 2013 von Königin Sonja eingeweiht wurde, oder die Wasserfälle von Kinsarvik. "Da werdet ihr nicht viele Leute treffen und die Landschaft ist mindestens genauso spektakulär."