Warum Mütter das Vertrauen verlieren
Die Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges gegen die Ukraine belasten die Familien. Viele fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Warum das so ist und was sich ändern müsste.

Von Barbara Klauß
Heidelberg. Es ist ein erschreckender Befund: Eltern verlieren gerade rapide das Vertrauen in die Politik in diesem Land. Mütter noch stärker als Väter. 34 Prozent der Frauen, die Kinder haben, erklärten im vergangenen November bei einer Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, dass sie überhaupt kein Vertrauen mehr in die Bundesregierung haben. Das ist gut ein Drittel – und mehr als doppelt so viele wie bei einer Befragung im Jahr zuvor. Weitere 26 Prozent der Mütter sprachen von "wenig Vertrauen". Woher kommt dieser Vertrauensverlust? Und wie ließe sich gegensteuern?
Pandemie und Krieg
Erst die Corona-Pandemie, dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit all seinen Auswirkungen – die zurückliegenden drei Jahre haben das Leben aller Menschen in Deutschland auf den Kopf gestellt. Doch waren und sind Familien von diesen Krisen in besonderem Maße betroffen. Und offensichtlich vermissen sie Unterstützung durch die Politik: "Die befragten erwerbstätigen oder arbeitsuchenden Mütter sind deutlich unzufriedener mit dem Krisenmanagement als der Rest der Bevölkerung", erklärt die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch.
Corona: Schon während der Corona-Pandemie machte sich bei vielen Eltern das Gefühl breit, dass ihre Interessen und Bedürfnisse wenig Gehör fanden. Wie Mütter und Väter die Doppelt- und Dreifachbelastungen etwa während der Lockdowns bewältigten, wurde komplett ihnen überlassen. Auch die Diskussion, was Schul- und Kita-Schließungen für die Kinder bedeuteten, kam aus Sicht vieler Eltern zu spät.
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Und die Pandemie wirkt in den Familien bis heute nach. Beispiel Schulschließungen: Der Anteil der psychisch belasteten Kinder hat sich einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in dieser Zeit verdoppelt, von 15 Prozent auf 30 Prozent. Berichtet wird von chronischen Bauch- und Kopfschmerzen, von Schlaf- und Essstörungen.

Hilfe zu finden für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, stellt die Eltern jedoch vor Herausforderungen. Forschungsdaten zufolge hat sich die Wartezeit auf einen Platz in der Psychotherapie verdoppelt. "Im Bundesdurchschnitt sind es sechs Monate, und in ländlichen Gebieten geht es oft über ein Jahr oder noch länger hinaus", sagte der Leipziger Kinderpsychologe Julian Schmitz im September dem NDR.
Als großes Problem werden auch die Lernrückstände empfunden – die unter anderem daher rühren, dass das Bildungssystem in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wesentlich schlechter aufgestellt war bei den digitalen Voraussetzungen, etwa für den Fernunterricht.
Die Unterstützung, die die Familien in diesen Punkten von der Politik erhielten, seien zu geringfügig, meinen die Wissenschaftler des WSI – und Familien daher oft auf sich allein gestellt.
Hintergrund
Mütter stehen besonders unter Druck: Mütter fühlen sich einer Umfrage zufolge durch die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges stärker belastet als andere Bevölkerungsgruppen. Das geht aus einer Befragung von Erwerbstätigen des Wirtschafts- und
Mütter stehen besonders unter Druck: Mütter fühlen sich einer Umfrage zufolge durch die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges stärker belastet als andere Bevölkerungsgruppen. Das geht aus einer Befragung von Erwerbstätigen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor. Knapp 30 Prozent der Mütter, die im November 2022 befragt wurden, gaben an, sich aktuell insgesamt stark belastet zu fühlen. Im Durchschnitt aller Befragten waren es – ebenso wie bei den Vätern – nur rund 22 Prozent. Zudem berichteten 40 Prozent der besonders betroffenen Mütter von starken finanziellen Belastungen. Im Durchschnitt aller Befragten taten dies nur 27 Prozent.
Eltern verlieren das Vertrauen in die Politik, Mütter noch stärker als Väter: Das hat der Studie zufolge Auswirkungen auf das Vertrauen, das Eltern und insbesondere der Mütter der Politik in diesem Land entgegen bringen. Im Laufe des vergangenen Jahres verdoppelte sich der Anteil der Mütter, die bei der Befragung angaben, sie hätten "überhaupt kein Vertrauen" in die Bundesregierung. Im Jahr 2016 lag der Anteil bei 16 Prozent, Ende 2022 bei 34 Prozent. Weitere 26 Prozent sprachen von "wenig Vertrauen", lediglich 9 Prozent von "viel" oder "sehr viel Vertrauen". Auch unter den Vätern stieg der Anteil derer, die "überhaupt kein Vertrauen" in die Bundesregierung haben von 17 im Jahr 2021 auf 29 Prozent im Jahr 2022. Doch gaben immerhin noch 19 Prozent der Väter an, großes oder sehr großes Vertrauen in die Regierung zu haben, wie der Soziologe und WSI-Forscher Andreas Hövermann der "Badischen Zeitung" sagte. Für die Studie wurden im vergangenen November rund 5100 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt.
Krieg: Hinzu kommen nun seit einem Jahr weitere Belastungen: Laut einer – allerdings nicht repräsentativen – Umfrage des SWR, an der gut 3400 Menschen teilnahmen, sind finanzielle Sorgen und Ängste im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine derzeit bestimmende Themen für Eltern in Baden-Württemberg. Ein großer Teil sorgt sich demnach angesichts der drastisch gestiegenen Preise, ob das Geld reicht. Hinzu kommen emotionale Belastungen und Ängste aufgrund des Krieges sowie Sorgen um die Zukunft der Kinder – auch mit Blick auf den Klimawandel. Insgesamt ergab sich auch bei dieser Umfrage ein ähnliches Bild: Viele Familien stehen unter großem Druck – und fühlen sich mit ihren Problemen allein gelassen.
Auch Männer sind stark belastet
Die Krisen der letzten Zeit belasten natürlich nicht nur Väter und Mütter. Sie hinterlassen deutliche Spuren in weiten Teilen der Gesellschaft. So verzeichnete etwa die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) im Jahr 2022 rund 16 Prozent mehr Krankschreibungen und Fehltagen wegen seelischer Leiden.
Zwar betreffen Depressionen, chronische Erschöpfung oder Angststörungen nach wie vor häufiger Frauen – doch holten die Männer den Daten der Krankenkasse zufolge zuletzt deutlich auf. KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick führt das unter anderem auf die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs, insbesondere die Rekordinflation, zurück: "Da sich Männer häufig mehr Sorgen um ihre Perspektiven im Job und die wirtschaftliche Situation ihrer Familie machen als Frauen, leiden sie möglicherweise besonders stark unter Existenzängsten", erklärt sie. Frauen hingegen nennen häufiger den Spagat zwischen Job und Familie als Ursache psychischer Belastung.
Sorge ist Frauensache
Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Noch immer hängt der größte Teil der Sorgearbeit an den Frauen. So gaben bei der Umfrage des WSI 63 Prozent der Mütter an, den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung zu leisten – und nur 6 Prozent der Väter. An dieser grundlegenden Aufteilung hat sich den Wissenschaftlern zufolge auch durch die Corona-Pandemie nichts geändert. Es sind also vor allem die Mütter, die Betreuungsausfälle kompensieren, die verzweifelt Fiebersaft suchen, wenn in den Apotheken keiner mehr vorrätig ist, und die versuchen, die psychosozialen Folgen der Pandemie und des Krieges aufzufangen.
Das Private wird politisch
Spätestens hier wird das Private politisch. Selbstverständlich ist allen Eltern die Entscheidung, wie sie Sorgearbeit aufteilen, selbst überlassen. Doch sind dieser Freiheit Grenzen gesetzt – auch durch gesetzliche Rahmenbedingungen.
Derzeit machen es die Betreuungszeiten in deutschen Kitas und Schulen fast unmöglich, dass beide Elternteile Vollzeitstellen haben. In aller Regel reduziert einer die Stunden – in Deutschland meist die Frau. 70 Prozent der Frauen, die Kinder haben, arbeiten hier in Teilzeit. Bei den Vätern waren es im Jahr 2021 dem Statistischen Bundesamt zufolge knapp 8 Prozent.
Dabei würden viele Frauen (17 Prozent) in Deutschland gerne mehr arbeiten – und die Hälfte der Männer weniger, wie eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung 2021 ergab. Doch insbesondere Müttern falle es schwer, die Zahl ihrer Arbeitsstunden zu erhöhen, hieß es. Zurückzuführen sei das vor allem auf den Mangel an Betreuungsmöglichkeiten oder die zu hohen Kosten dafür.
Der traditionelle Status Quo in vielen Familien behindere die Erwerbschancen von Frauen ganz erheblich, warnt denn auch WSI-Direktorin Kohlrausch. "Daran etwas zu ändern, ist nicht nur Sache der Väter und Mütter", meint sie. "Unternehmen und auch die Politik müssen bessere Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine fairere Aufteilung der Sorgearbeit gelingt", sagt sie . Hierzu gehöre auch, in den Betrieben Maßnahmen für mehr Arbeitszeitsouveränität und Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen und einer zunehmenden Verdichtung von Arbeit entgegenzuwirken. "Wir müssen bei der Organisation der Erwerbsarbeit die Sorgearbeit mitdenken und nicht umgekehrt."
Auch die Soziologin Sonja Bastin von der Universität Bremen sprach kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung" von Erwartung an die Politik in diesem Punkt: "Das, was im Moment getan wird, reicht nicht", erklärte sie.
Tatsächlich gibt und gab es Ideen, um Eltern den Spagat zwischen Beruf und Familie zu erleichtern. So wollte etwa Arbeitsminister Hubertus Heil einen Rechtsanspruch auf Homeoffice gesetzlich verankern. Ohne Erfolg.
Zudem besteht in Deutschland seit dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Doch lässt der sich in der Praxis nicht immer einlösen. Einem SWR-Bericht zufolge zogen im vergangenen Jahr 102 Eltern in Baden-Württemberg vor Gericht, um ihren Anspruch durchzusetzen.
Eines der Probleme ist der Fachkräftemangel, der sich immer weiter zuspitzt. Viele Kommunen können nicht genug Betreuungsplätze zur Verfügung stellen, weil ihnen schlicht das Personal fehlt. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen allein in Baden-Württemberg in diesem Jahr 57.600 Kitaplätze. Mancherorts schließen Kitas daher früher – wie etwa in Tübingen. Und auch an Schulen spitzt sich der Personalmangel weiter zu.
Eine derart angespannte Situation wirkt sich natürlich nicht nur auf die Betreuungszeiten aus. Die Gruppen und Klassen werden größer, die Erzieherinnen und Erzieher, die Lehrerinnen und Lehrer geraten unter größeren Druck. Laut fordern sie bessere Arbeitsbedingungen. Die fehlenden Kräfte, der steigende Stress – all das bekommen auch die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen zu spüren. Und mit ihnen die Eltern. Mancher stellt sich die Frage, welchen Stellenwert wir Menschen einräumen, die unsere Kinder betreuen.
Gefahr für die Gesellschaft
Ignorieren sollte man diese Befunde nicht. Die hohe Belastung insbesondere der Mütter, die finanziellen Sorgen, die Einschränkungen im Berufsleben, "das wird langfristige Folgen haben", sagte Soziologin Bastin der "SZ." "Familien produzieren nicht nur neue Menschen. Sie prägen sie fürs Leben." Wer als Kind vermittelt bekomme, dass der Staat nicht für ihn da ist, dass er nicht beachtet wird, der schüttele das nicht so schnell ab.
Und auch die Wissenschaftler des WSI fordern: Die Situation von Familien und insbesondere von Müttern müsse dringend einen höheren Stellenwert in der Politik erhalten.
Wie Vertrauen gewonnen werden kann
Als wichtigen Schritt bezeichnet Direktorin Kohlrausch etwa die von der Bundesregierung angekündigte Kindergrundsicherung. "Es würde zwei wichtige Verbesserungen darstellen, wenn die geplante Kindergrundsicherung erstens bessere Leistungen ermöglicht und zweitens Hürden abräumt, damit Ansprüche auch wirklich wahrgenommen werden können", sagt sie. 2025 soll die Grundsicherung Plänen des Bundesfamilienministeriums zufolge eingeführt werden. Zuletzt herrschte allerdings vor allem Streit in der Ampel-Koalition über die Ausgestaltung.
Dabei haben die Regierungsparteien durchaus Dinge auf den Weg gebracht, die Familien entlasten sollen: das Bürgergeld etwa oder die Erhöhung des Mindestlohns und des Kindergeldes. Zudem stiegen Bafög und Wohngeld. Am 1. Januar trat das KiTa-Qualitätsgesetz in Kraft: In den Jahren 2023 und 2024 unterstützt der Bund die Länder mit insgesamt rund vier Milliarden Euro bei Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung.
Bei vielen dieser Projekte aber, meinen Experten, spüren die Familien keine unmittelbare Wirkung – siehe Kindergrundsicherung. Oder sie werden als uneingelöste Versprechen wahrgenommen. Wie etwa die 200 Euro, die alle Studierenden als Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise erhalten sollen. Erstmals angekündigt wurden sie im September. Geld geflossen ist bislang jedoch nicht.
Und so verfestigt sich offenbar in vielen Familien in Deutschland seit nunmehr drei Jahren das Gefühl: Wer in dieser Gesellschaft für andere sorgt, wird nicht wirklich wertgeschätzt.