Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Seit dem Wintersemester 2019/2020 arbeitet das Land Nordrhein-Westfalen bei der Vergabe von Studienplätzen in der Humanmedizin mit der Landarztquote: 145 Plätze werden an Bewerber vergeben, die später mindestens zehn Jahre als Arzt in Regionen mit Ärztemangel arbeiten wollen, nach den herkömmlichen Kriterien aber keine Chance auf einen Studienplatz hätten. Das Interesse war enorm: 1305 Bewerbungen gingen für die 145 Plätze ein. Bei der Auswahl zählten neben Abiturnote und Medizinertest praktische Vorkenntnisse, etwa als Krankenpfleger oder Rettungsassistent, und das Abschneiden im Auswahlgespräch.
Das Beispiel NRW macht inzwischen bundesweit Schule. Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben die Einführung der Landarztquote beschlossen, in Hessen steht sie im Koalitionsvertrag. Nun kommt sie auch in Baden-Württemberg. Darauf haben sich nach langen Querelen am Mittwoch die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Wolfgang Reinhart, verständigt. Danach soll die Hälfte der 150 zusätzlichen Studienplätze in der Humanmedizin, die das Land 2020 schaffen will, per Quote vergeben werden.
"Die CDU hat sich durchgesetzt", reklamierte Reinhart die Einführung als Erfolg seiner Partei. Tatsächlich hatten die Medizinischen Fakultäten und der grüne Koalitionspartner lange Zeit versucht, die Quote zu verhindern – zuletzt mit dem Vorschlag, stattdessen Stipendien an Studierende ab dem 5. oder 7. Semester zu vergeben. Dieser Vorschlag ist jetzt vom Tisch.
Mit der Quote könne das Land nun "effektiv gegen den Ärztemangel in unterversorgten Regionen vorgehen", sagte Reinhart. Die auf Initiative der CDU erfolgte Erhöhung der Studienplätze in der Humanmedizin um 10 Prozent auf künftig 1650 Plätze sei mit der klaren Erwartung verbunden gewesen, dass mit den Zusatzplätzen Landärzte ausgebildet werden. "Das passiert jetzt."
Unstrittig ist, dass es Handlungsbedarf gibt. Die Landesregierung geht davon aus, dass rund 665 000 Menschen im Südwesten keinen Hausarzt in ihrer Heimatgemeinde haben. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg spricht von rund 600 Stellen für Hausärzte, die derzeit unbesetzt sind. Zudem ist nach Angaben des Sozialministeriums jeder dritte Hausarzt über 60 Jahre alt. Das Problem dürfte sich in den nächsten Jahren folglich drastisch verschärfen, wenn die Politik nicht gegensteuert.
Die bislang offene Frage war nur: wie? Die fachlich zuständige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) macht keinen Hehl daraus, dass sie sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. "Das ist jetzt beschlossen, also probieren wir es mit der Landarztquote, auch wenn ich skeptisch bleibe, dass sie wirkt", sagte Bauer. Die Wirkung zeige sich erst in 15 Jahren. "Wir werden aber nicht so lange warten".
Damit spielt Bauer auf ihre wegen des Streits um die Quote von der CDU seit Monaten stillgelegte Kabinettsvorlage an, die neben dem Ausbau der Medizinstudienplätze eine inhaltliche Weiterentwicklung des Curriculums vorsieht.
"Wir Grüne setzen auf eine systematische Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium mit einem Landarztförderprogramm", sagte Grünen-Fraktionschef Schwarz. Dazu gehöre ein neues Neigungsprofil "ländliche Hausarztmedizin" und eine stärkere Vernetzung mit den akademischen Lehrkrankenhäusern und Lehrpraxen.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Landärzte-Mangel in Baden-Württemberg
> Wie viele Hausärzte fehlen?
Die Landesregierung geht davon aus, dass rund 665 000 Menschen im Südwesten keinen Hausarzt in ihrer Heimatgemeinde haben. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg spricht von rund 600 Stellen für Hausärzte, die derzeit unbesetzt sind.
> Wo fehlen besonders viele Hausärzte?
Wie eine Sprecherin der KV erläutert, sind weite Teile Baden-Württembergs mit Hausärzten unterversorgt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Problem auf dem Land. Zwar gehören zum Beispiel Regionen wie Horb am Neckar, Teile der Ostalb und Öhringen (Hohenlohekreis) zu den Gebieten im Südwesten, in denen es zu wenig Hausärzte gibt. Aber auch in Stuttgart können sich zum Beispiel noch Hausärzte niederlassen, weil dort Berechnungen der KV zufolge Bedarf besteht. Hingegen sind Gebiete wie Tübingen sowie Freudenstadt im Schwarzwald und Biberach - obwohl ländlich - relativ gut versorgt.
Was ist für die Zukunft zu erwarten?
"Unsere Hausärzte sind im Durchschnitt 55 Jahre alt", sagt die KV-Sprecherin. Zwar arbeiteten einige Ärzte weit über das Rentenalter hinaus. Dennoch sei absehbar, dass sich der Hausärztemangel verschärfe, wenn die Kollegen in den Ruhestand gingen und nicht genug Nachwuchs nachkomme. Nach Angaben des Sozialministeriums sind 36 Prozent der Hausärzte sogar über 60 Jahre alt.
> Was sind die Gründe für den Mangel an Hausärzten?
Die KV-Sprecherin meint, dass es zu wenig Studienplätze für Medizin gebe. Auch ließen sich Ärzte immer weniger nieder, weil sie die Verantwortung für eine eigene Praxis nicht übernehmen wollten. In einer Praxis angestellt zu sein, gelte als attraktiver. Denn junge Menschen wollten heute anders arbeiten als ihre Eltern: Hausärzte, die bereit seien, 60 Stunden in der Woche zu arbeiten und Hausbesuche am Wochenende zu machen, würden weniger. Vor allem viele Frauen im Arztberuf arbeiten laut KV gerne Teilzeit, um genügend Zeit für die eigene Familie zu haben. Das gelte aber zunehmend auch für junge Männer. Auch das Sozialministerium stellt fest: "Nach einer Faustregel braucht es drei neue Ärztinnen und Ärzte, um die Arbeit von zwei in den Ruhestand wechselnden Ärzten kompensieren zu können."
> Was tut man gegen den Mangel?
Das Sozialministerium verweist auf ein Förderprogramm für Landärzte, über das seit 2012 mehr als 130 Ärzte mit insgesamt 2,5 Millionen Euro bezuschusst wurden. Die KV Baden-Württemberg gewährt in besonderen Mangelgebieten finanzielle Zuschüsse von bis zu 80 000 Euro für den Aufbau einer neuen Hausarztpraxis. Die Landesregierung erhöht die Zahl der Plätze für Studienanfänger für Humanmedizin im Südwesten von rund 1500 um 150 auf dann 1650 im Jahr.
> Worauf hat sich die Koalition jetzt geeinigt?
Von den neuen 150 Studienplätzen sollen 75 Plätze nach einem Vorschlag der CDU vergeben werden ("Landarztquote"). Sie gehen an junge Menschen, die zwar Landarzt werden möchten, aber bislang keinen Studienplatz bekommen haben, weil ihr Notendurchschnitt zu schlecht war. Im Gegenzug sollen sie sich verpflichten, später zehn Jahre als Hausärztin oder Hausarzt in einer unterversorgten Region im Südwesten zu arbeiten. Zudem sollen die medizinischen Fakultäten an den Universitäten einen Schwerpunkt ländliche Hausarztmedizin einführen. Allen Studenten der Humanmedizin steht es dann frei, sich im Laufe des Studiums für diesen Schwerpunkt zu entscheiden.
> Welche Kritik gibt es an der "Landarztquote"?
Das von den Grünen geführte Wissenschaftsministerium hatte sich gegen den Vorschlag der CDU ausgesprochen. "Die Quotenlösung greift frühestens in zwölf Jahren", hieß es. Es gebe andere Maßnahmen, die schneller wirkten und besser geeignet seien als die Landarztquote, die zu lange dauere, nicht zielgenau und zu teuer sei. Baden-Württemberg habe verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Mittwoch, 18. Dezember 2019, 18.36 Uhr