Abschiebungen nach Afghanistan

Sollen selbst Gefährder im Land bleiben?

Die grün-schwarze Koalition streitet über Abschiebungen nach Afghanistan. Die Grüne fordern wegen der veränderten Sicherheitslage einen Stopp.

04.08.2021 UPDATE: 05.08.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden
Ankunft in Afghanistan: Immer wieder werden Menschen – auch aus Baden-Württemberg – zurück nach Kabul geflogen. Hier ein Foto aus dem Jahr 2019. Foto: Michael Kappeler

Von Martin Oversohl und Nico Pointner

Stuttgart. Trotz des Vormarsches der Taliban verteidigt Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek die Abschiebungen von Straffälligen nach Afghanistan als rechtsstaatlich und notwendig. "Es ist richtig und wichtig, dass wir Straftäter und Extremisten abschieben", sagte der CDU-Politiker. Der grüne Koalitionspartner sieht das ganz anders und verweist unter anderem auf den europäischen Norden. Norwegen, Schweden und Finnland hätten bereits entschieden, dass Rückführungen nach Afghanistan mit dem Schutz von Menschenleben nicht vereinbar seien, sagte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz am Mittwoch.

Dagegen sieht Lorek durch die Abschiebeflüge auch die Menschen in Baden-Württemberg geschützt. "Es sind Menschen, die die Sicherheit der Menschen hier vor Ort beeinträchtigen", sagte er. "Haben wir die Möglichkeit, sie rechtsstaatlich abzuschieben, dann müssen wir diese Möglichkeit auch wahrnehmen."

15 von 16 Bundesländern hielten bislang an den Abschiebungen fest. "Wir tun das auch", sagte Lorek. Ausschlaggebend sei der jeweils aktuelle asylpolitische Lagebericht des Bundes zu Afghanistan. "Wir beziehen uns auf das, was das Auswärtige Amt feststellt und festlegt", sagte der CDU-Staatssekretär. "Ändert sich die Bewertung des Auswärtigen Amts, dann werden wir uns natürlich als Land daran halten."

Der aktuelle Asyllagebericht stellt zwar eine stärkere Gefährdung bestimmter Gruppen durch den Vormarsch der Taliban fest, aber keine generelle Gefährdung von Rückkehrern. Er bildet allerdings den Stand im vergangenen Mai ab – also kurz vor dem Abzug der ausländischen Truppen.

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Zuletzt hatten sich auch CDU-Chef Armin Laschet und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ein Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen.

Die Bundeswehr hatte ihren Einsatz in dem Land am Hindukusch Ende Juni beendet. Parallel zu dem Abzug der internationalen Truppen haben die militant-islamistischen Taliban mehrere Offensiven begonnen und zahlreiche Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht. Wegen einer Explosion in Kabul war auch ein ursprünglich für Dienstagabend geplanter Flug mit sechs Straftätern an Bord kurzfristig verschoben worden.

In den vergangenen Jahren waren ausschließlich Männer – vorwiegend Straftäter und sogenannte Terrorgefährder – gegen ihren Willen nach Afghanistan zurückgebracht worden. Die Bundesbehörden organisieren zwar die Flüge. Wer abgeschoben wird, entscheiden aber die Länder.

Nach Angaben Loreks sind in diesem Jahr bislang 14 Menschen aus dem Südwesten heraus nach Afghanistan abgeschoben worden, im vergangenen Jahr waren es 22. "Das waren ausnahmslos Straftäter und Gefährder", sagte der Staatssekretär über die Betroffenen der vergangenen Monate. "Wenn wir genau so einen Menschen aus dem Flugzeug nehmen, und es wäre dann ein Attentäter von Würzburg oder vom Breitscheidplatz – diese Verantwortung möchte ich persönlich nicht übernehmen", sagte Lorek. "Und ich möchte nicht den Angehörigen der Opfer sagen müssen, dass wir, obwohl eine Abschiebung möglich gewesen wäre, aus humanitären Gründen darauf verzichtet haben." Wer gegen die Abschiebungen sei, müsse auch konkret sagen, dass er Gefährder definitiv hier im Land halten wolle, obwohl ihre Abschiebung rechtlich möglich wäre.

Dagegen bezeichnete Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand den Lagebericht als "Basis fataler Fehleinschätzungen" und völlig veraltet. "Er berücksichtigt nicht die aktuellen Entwicklungen rund um den Abzug der Bundeswehr und der internationalen Truppen und ist somit für die Einschätzung der Lage absolut unbrauchbar", sagte der Grünen-Politiker. Er forderte, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen und eine realistische Lageeinschätzung vorzunehmen. "Auf Basis von veralteten und falschen Tatsachen über Abschiebungen von Menschen nach Afghanistan zu entscheiden, ist schlichtweg verantwortungslos", sagte Hildenbrand.

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