Im Ernstfall hilft gegen die Kamera des Nachbarn nur eine Zivilklage
Den Landesdatenschutzbeauftragten erreichen zunehmend Beschwerden und Anfragen, handeln kann die Behörde aber nicht.

Von Ulrike Bäuerlein
Stuttgart. Hochentwickelte Überwachungstechnik ist mittlerweile für einen Spottpreis für jedermann zugängig. Der Nachbar installiert eine neue Videoüberwachungskamera an seinem Hauseingang, die auch aufzeichnen kann, wer das Nebenhaus betritt oder verlässt. Außerdem nimmt sie in Bild und Ton auf, was in einem Teil des Nachbargartens passiert. Aber darf der Nachbar das? Was geschieht mit den Aufnahmen? Darf ein Vermieter eigentlich den Eingang seines Miethauses oder den Mülltonnenbereich per Video überwachen? Kann man sich dagegen wehren? Was ist mit Videokameras in Cafés und Schwimmbädern, an der Supermarktkasse, in der Einfahrt zum Parkhaus, im Eingangsbereich zur Firma oder auf dem Friedhof? Wer sieht die Aufnahmen? Wie lange werden sie gespeichert?
Ein Großteil der Anfragen, die von Bürgern in Sachen Videoüberwachung an die Behörde des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI), Tobias Keber, gerichtet werden, betrifft Fälle der Videoüberwachung im privaten oder im öffentlichen Bereich. Tendenz: stark steigend. Waren es im Jahr 2024 bis Ende August 281 Anfragen zur Videoüberwachung, waren es im laufenden Jahr zu diesem Zeitpunkt bereits knapp 500 – eine Steigerung von 70 Prozent innerhalb eines Jahres. Beschwerden und Nachfragen kommen aber nicht nur von Restaurantbesuchern oder Kunden im Fitnesszentrum, sondern laut LfDI oft auch von Beschäftigten, die dort arbeiten. "In letzter Zeit beobachten wir auch einen Anstieg an anonymen Beschwerden von Beschäftigten, die sich über Videoüberwachung im Arbeitsumfeld beschweren". Baden-Württemberg ist eines der Bundesländer mit der höchsten Steigerung bei den Anfragen. Aber auch in anderen Bundesländern nimmt die Zahl im zweistelligen Bereich zu.
Die Gründe vermutet der oberste Datenschützer des Landes auch in den immer günstigeren und gleichzeitig technisch hochwertigeren Kameras, als Webcams, in Smartphones, Dashcams, Drohnen, Wildkameras, Tür- und Klingelkameras und Übertragungstechniken - und gleichzeitig immer mehr Anwendungsbereichen. "Alle werfen datenschutzrechtliche Fragen auf", sagt Keber an einem Mittwochabend im Bildungszentrum in seiner Behörde, an dem er eine Reihe dieser Fragen beantwortet. "Videoüberwachung – Störgefühl von gestern und neues Normal?" hat die Veranstaltung genannt, es geht um die Videoüberwachung im privaten und auch im öffentlichen Bereich – denn auch für Polizei und Behörden, aber auch Schulen gelten strenge Vorgaben, wenn Videoüberwachung eingesetzt werden soll.
Es ist die dritte in der Reihe seiner im Vierteljahresrhythmus angesetzten öffentlichen Infoveranstaltungen "Keber quaterly", die Aufgaben des Datenschutzes für Bürger greifbar und verständlich machen sollen. Gut 250 Personen – ein paar Dutzend sind live in den Räumen der Behörde in der Stuttgarter City, die meisten sitzen aber am Internet-Live-Stream - nehmen das Angebot und die Fragemöglichkeit wahr.
Oft geht es dabei um konkrete Einzelfälle. Keber, selbst Jurist, Hochschullehrer für internet- und Medienrecht sowie unter anderem Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD), gibt Antwort – verweist aber gleichzeitig darauf, dass kein Fall mit dem anderen vergleichbar sei, jeder Einzelfall einer Überwachung geprüft werden müsse. "Für normaldenkende Bürger ist das unfassbar schwer verständlich und auch schwer zu vermitteln, warum etwas in einem Fall geht und im anderen nicht. Und wir haben im öffentlichen Bereich noch einmal ganz andere Voraussetzungen als im privaten Bereich", sagt der Jurist.
Zumindest im Fall der Nachbarschaftsüberwachung per Video ist die Antwort aus datenschutzrechtlicher Sicht relativ eindeutig. "Nur die Überwachung des eigenen oder familiär genutzten Grundstücks ist datenschutzrechtlich grundsätzlich zulässig, auch des ausschließlich eigengenutzten Wohnraums und der dazu gehörenden Flächen", stellt Keber klar und verweist auf das "Erste-Hilfe-Merkblatt zur Videoüberwachung", das - neben zahlreichen weiteren Handreichungen - im "virtuellen Datenschutzbüro" der Behörde (https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/praxishilfen/) heruntergeladen werden kann. Es beantwortet kurz die wichtigsten Fragen und bennent auch auf, was die Behörde unternehmen kann, wenn sich ein privater Kamerabetreiber uneinsichtig zeigt: reichlich wenig. Die Aufsichtsbehörde ist zwar für die Überwachung und Einhaltung der Datenschutzregeln zuständig und Aufforderungen verschicken, hat aber keine Kontrollbefugnis. Und den Abbau von Videokameras kann sie auch nicht anordnen. "Da hilft im Ernstfall nur, Zivilklage zu erheben", sagt Keber.
Vor Gericht freilich sind die Chancen, eine ungewollte Videoüberwachung durch Nachbarn oder Vermieter zu beenden, groß. "Eine Rundumüberwachung des sozialen Lebens kann auch anhand zivilrechtlicher Maßstäbe nicht mit dem Schutz vor Schmierereien, Verschmutzungen oder einmaligem Vandalismus gerechtfertigt werden", verweist Keber auf gängige Rechtsprechung.
Weitere Informationen:
Auszug aus dem Erste-Hilfe-Blatt zur Videoüberwachung des LfDI:
Unzulässig ist die Überwachung in Bereichen, die Mieter oder sonstige nicht dem Familienkreis angehörige Bewohner oder Anwohner rechtmäßig mitbenutzen (z.B. Zuwege zu einem Mehrfamilienhaus, Treppenhaus, gemeinsam genutzte Waschküche).
Ist die Überwachung des öffentlichen Bereichs erlaubt?
Die Videoüberwachung öffentlicher Fläche (Straßen, Gehwege etc.) ist regelmäßig unzulässig.
Darf die Überwachung auch nachbarliche Grundstücke erfassen?
Die Videoüberwachung nachbarlicher Grundstücke ist unzulässig.
Wie kann ich meine Kamera so einstellen, dass sie nur zulässige Bereiche erfasst?
Bildbereiche lassen sich durch geeignete softwareseitige (z.B. Schwärzungen) oder physische (z.B. Blenden) Vorkehrungen einschränken. Soweit Videoaufnahmen gespeichert werden, dürfen softwareseitige Maskierungen von Bildbereichen (wie Schwärzungen) nicht rückgängig machbar sein.
Darf ich eine Türklingelkamera installieren?
Die Nutzung von Türklingelkameras ist zulässig, wenn die Bildübertragung erst mit dem Klingeln aktiviert wird und keine Aufnahmen gespeichert werden.
Ist eine Liveübertragung datenschutzrechtlich erlaubt?
Beim Betrieb einer Videoüberwachungsanlage ist es grundsätzlich unerheblich, ob lediglich eine Liveübertragung ohne Aufnahme und/oder eine Speicherung des Kamerabildes erfolgt. In beiden Fällen liegt eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten und damit ein datenschutzrechtlich relevanter Vorgang vor. (Quelle: www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/erste-hilfe-bei-videoueberwachung-in-der-nachbarschaft/)